EIN ORIGINAL SEINER ZEIT: IGNAZ FRANZ CASTELLI (1781–1862)

„Was ich gesungen, wird nicht lange tönen,
Es ist ja nicht von hohem Geist durchglüht,
Vielleicht doch singet Einer von den Söhnen
Der ländlichen Natur von mir ein Lied.
Die fragen nicht nach dem ästhetisch Schönen,
Nur ihr Gemüth sucht wieder ein Gemüth,
Auch macht manch Scherz von mir noch heitre Stunden,
Weil keiner Stacheln birgt, die auch verwunden.“

(I. F. Castelli, „Selbstschau an meine Freunde“, in: Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes, Erlebtes und Erstrebtes 4, 1861, S. 213)

Am 5. Februar 2022 jährte sich Castellis Todestag zum 160. Mal. Zu seinen Lebzeiten ein viel gelesener und allseits bekannter Schriftsteller, Dramatiker und Dichter, ist er heute bestenfalls als Begründer des Wiener Tierschutzvereins und als gemütvoller Chronist des Biedermeiers in Erinnerung.

WIEN ALS LEBENSMITTELPUNKT

Ignaz Franz Castelli wurde am 6. März 1781 als einziger Sohn von Ignaz Castelli und Dominika Castelli im sogenannten Hornmacherhaus, dem ehemaligen Pedellhaus der Alten Universität, in der heutigen Bäckerstraße 22 bzw. Postgasse 5 in der Wiener Innenstadt geboren. Sein Vater war Laienbruder bei den Jesuiten und wurde nach Auflösung des Ordens in die Stellung eines Rechnungsrates beim Staat aufgenommen. Er war bei seiner Heirat beinahe sechzig Jahre alt. Dem Sohn sollte einige Jahre später auch noch eine Tochter, Theresia, folgen. Als der Vater 1790 pensioniert wurde und seinen Lebensabend durch die Kontakte des befreundeten Pfarrers Leopold Föderl in Weitra im Waldviertel zubrachte, verblieb der Sohn in der Obhut der Großmutter Maria Katharina Mayr und seiner Tanten in Wien. Er wuchs in Mariahilf auf und besuchte nach der Elementarschule im Heiligenkreuzerhof in der Schönlaterngasse das Gymnasium zu Sankt Anna und das Akademische Gymnasium, das damals im Dominikanerkloster im ersten Bezirk untergebracht war. Die Schulferien verbrachte der junge Mann meist bei den Eltern in Weitra. Das im Jahr 1799 aufgenommene Jurastudium sollte ihm die idealen Voraussetzungen für eine künftige Anstellung im Staatsdienst bringen.

BEAMTER IM BROTBERUF

Castelli schlug – weniger aus Interesse, sondern vielmehr aus rein pragmatischen Gründen – die Beamtenlaufbahn ein, die ihm ein geregeltes Einkommen und eine fixe Anstellung garantierte. Durch Vermittlung seines Vaters wurde der junge Student als Praktikant im Hofkommissariat aufgenommen und 1801 Mitarbeiter der landständischen Buchhaltung, einer Abteilung der damaligen Landesregierung von Niederösterreich. Er diente mehr als 40 Jahre in der Finanzbuchhaltung und fand auch in seinen Memoiren nur lobende Worte für seine Aufgabenbereiche. Dies nimmt auch nicht Wunder, da seine Tätigkeit ihm oftmals die Gelegenheit zu reisen gab und generell seinen literarischen und poetischen Ambitionen kaum im Weg stand. Ob seine während der Napoleonischen Kriege und der Besetzung Österreichs verfassten patriotischen Lieder tatsächlich 1809 zu einer „Flucht“ nach Ungarn  führten oder er vielmehr lediglich wichtige Akten und Unterlagen über die Grenze bringen sollte, ist bislang nicht geklärt.

Seine Reise 1814 als Begleitung von Maximilian Graf von Cavriani nach Frankreich brachte ihn mit französischer Kultur und französischem Theater in Kontakt und diente wohl auch der Verbesserung seiner Sprachkenntnisse. Diese schon lang ersehnte Unternehmung wurde sicherlich auch dazu genützt, an französische Theatertexte zu gelangen. Nach diversen Beförderungen wie beispielsweise 1832 zum ständischen Rechnungsrat und Häuserrevisor trat Castelli im Mai 1843 nach fast 42 Dienstjahren in den Ruhestand. Er verfügte über eine stattliche Pension, die ihm weiterhin ausgedehnte Reisen und eine Vielfalt gesellschaftlicher Kontakte ermöglichte. Seine Funktion als Leiter der Niederösterreichischen Landesbibliothek, die er seit 1833 innehatte, übte er bis 1847 aber unverändert aus.

DER LEBENSTRAUM THEATER

Castelli kam bereits als junger Mann mit dem Theater in Berührung, da er ab 1795 regelmäßig das nahe gelegene Theater auf der Wieden besuchte. Aufgrund seiner Begabung als Geigenspieler wurde er gelegentlich als Substitut im Theaterorchester eingesetzt, wodurch er rasch mit Schauspielern und Bühnendichtern bekannt wurde. Seine Fähigkeiten als Laienschauspieler in diversen Dilettantengesellschaften konnte er schließlich durch seinen ersten offiziellen Auftritt am Theater an der Wien 1807 in Franz Xaver Karl Geweys „Der seltene Prozess“ unter Beweis stellen. Allerdings erkannte er sehr rasch, dass das unstete und unsichere Leben eines Schauspielers nicht unbedingt seinem eher gemäßigten und zurückhaltenden Wesen entsprach, und er begann sich dem Bereich der dramatischen Textproduktion zu widmen. Vor allem sein guter Freund Joseph Ritter von Seyfried  half Castelli regelmäßig bei dessen Übersetzungen von französischen Stücken. Seine erste vollständige Bearbeitung des Melodrams „Coeline“ von Guilbert de Pixérécourt wurde – allerdings anonym – im Oktober 1802 unter dem Titel „Die Mühle am Ardennerfelsen“ unter großer Zustimmung aufgeführt. Zu jener Zeit erschienen auch seine ersten Gedichte, „Rosenfelds poetische Versuche“, bei Wallishausser in Wien. Zu seinen größten frühen Erfolgen zählte das Libretto zu dem Singspiel „Die Schweizer-Familie“, das in der Vertonung durch Joseph Weigl am Wiener Theater nächst dem Kärntnertor 1809 seine Uraufführung erlebte.

Wahrscheinlich verdankte Castelli seine Anstellung durch Fürst Josef Franz Maximilian Lobkowitz als Hoftheaterdichter in den Jahren 1811 bis 1814 dem großen Erfolg der „Schweizer-Familie“. Die Versorgung der österreichischen Theater mit Bearbeitungen französischer Textvorlagen behielt er bis zu seinem Lebensende bei; die eigene dramatische Produktion fiel hingegen eher bescheiden aus. Bereits im Oktober 1810 rechtfertigte er sich für den ihm bereits damals zum Vorwurf gemachten Mangel an „selbst erzeugte[n] Blümchen“, so die Kritik in der „Thalia“ vom 24. Oktober 1810. Er sah sich vielmehr als „Gärtner, welcher manche liebliche Blume des Auslandes in den heimischen Boden verpflanzte“. In seinen Memoiren gab er in einer selbst erstellten Übersicht eine Anzahl von 199 Opern, Sing- und Schauspielen an; lediglich zehn davon deklarierte er als sein eigenes literarisches Eigentum. Walter Martinetz kommt in seiner minutiösen Auflistung gar auf eine Anzahl von fast 230 dramatischen Werken, die größtenteils mit respektablem Erfolg auf den österreichischen Bühnen aufgeführt wurden.

KRITIKER, JOURNALIST UND REDAKTEUR IM DAUEREINSATZ

Castelli sparte nicht mit Kritik an der Tätigkeit seiner Kollegen im In- und Ausland. Auch als Herausgeber und Redakteur diverser Periodika erwies er sich als äußert rege und unermüdlich. So polemisierte er beispielsweise in seinem Theaterjournal „Thalia“ (1810–1814) gegen die italienische Oper. 1809–1810 redigierte er auch die Zeitschrift „Der Sammler“ und 1821 das „Wiener Conversationsblatt“. Seine zahlreichen Bearbeitungen veröffentlichte er in der von 1809 bis 1835 herausgegebenen Taschenbuchreihe „Dramatisches Sträußchen“. Parallel dazu kam zwischen 1812 und 1817 eine weitere Reihe unter dem Titel „Selam. Ein Almanach für Freunde des Mannigfaltigen“ heraus. Das Taschenbuch „Huldigung den Frauen“ erschien ab 1822 in 26 Jahrgängen, in dem neben Castelli auch Franz Grillparzer, Karoline Pichler oder Christian Friedrich Hebbel Beiträge publizierten. Neben dieser journalistischen Tätigkeit im Inland verfasste Castelli ab 1817 regelmäßig Berichte aus seiner Heimatstadt für die Dresdner „Abend-Zeitung“.

VEREINSMITGLIED, MUNDARTDICHTER UND TIERLIEBHABER

Erstaunlich, dass Castelli neben seiner literarisch und journalistisch ungemein fruchtbaren Tätigkeit noch Zeit für gesellschaftliche Aktivitäten finden konnte. So war er unter dem Namen „Cif Charon, der Höhlenzote“ Mitglied der Künstlervereinigung „Ludlamshöhle“, die 1826 durch die Polizei aufgelöst wurde, und an der Gründung der „Concordia“ und der „Grünen Insel“ beteiligt. Nach seiner Pensionierung zog er sich auf seinen Landsitz in Lilienfeld in Niederösterreich zurück.

In dem 1839 erworbenen, vom Wiener Architekten Moritz von Löhr in ein Biedermeierschlösschen umgebauten Berghof verbrachte Castelli das turbulente Revolutionsjahr 1848. Er ging dort einerseits seiner regen Sammelleidenschaft für Tabakdosen, Theaterzetteln und Künstlerporträts nach, nützte aber auch seine guten Kontakte, um 1847 den Wiener Tierschutzverein zu gründen. Seinen Lebensabend verbrachte Castelli allerdings wieder in seiner Geburtsstadt. 1854 verkaufte er die Villa Berghof an den Wiener Arzt Rudolf von Vivenot.

Bereits 1828 offenbarte Castelli sein Interesse und seine Liebe für Dialektdichtung in der Veröffentlichung seiner vierbändigen Sammlung „Gedichte in niederösterreichischer Mundart“, die großen Beifall fand und sogar Vertonungen einzelner Stücke zur Folge hatte. Noch 1848 versuchte er sein sprachwissenschaftliches Faible in seinem „Wörterbuch der Mundart in Österreich unter der Enns“ unter Beweis zu stellen.

Am 5. Februar 1862 starb Castelli in seiner Wohnung im Heiligenkreuzerhof, nicht unweit seines Geburtshauses, an den Folgen von „Gedärmbrand“, einer Darminfektion. Er wurde am 7. Februar 1862 neben seiner langjährigen Lebensgefährtin Friederike Dorothea Mayer (1788–1833) auf dem Hütteldorfer Friedhof bestattet. 1895 bettete man seine sterblichen Überreste in ein Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof um.

Castelli war unverkennbar ein emsiger, unermüdlicher Vielschreiber und ein umtriebiger Chronist seiner Zeit. Seine poetische, dramatische und journalistische Aktivität ist in ihrer Fülle und ihrer Vielfalt beinahe unüberschaubar. Die ihm attestierte Mittelmäßigkeit und Schlampigkeit sind sicherlich Gründe dafür, dass seine Werke kaum Neuauflagen und seine literarische Tätigkeit bis auf kleine Ausnahmen keine genauere Beachtung fanden. In Erinnerung blieb er als Chronist des Biedermeiers („Wiener Lebensbilder“, 1828; „Memoiren meines Lebens“, 1861) und als typischer Vertreter der Wiener Gemütlichkeit und der harmlosen Spaßigkeit, der den melancholischen Tiefgang eines Ferdinand Raimund oder die bissige Satire eines Johann Nestroy bewusst ausblendete.


Weitere W. (siehe auch http://lithes.uni-graz.at/downloads/castelli_bibl.pdf): Memoiren meines Lebens. Gefundenes und Empfundenes, Erlebtes und Erstrebtes, 4 Bde., 1861; Wiener Lebensbilder. Skizzen aus dem Leben und Treiben in dieser Hauptstadt, ed. W. Katzenschlager, 2012; https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/castelli.html (Zugriff 3. 2. 2022). – Nachlass: Österreichische Nationalbibliothek, Wien.


L.: ÖBL; oeml; F. Bermann, C. als Zeitdichter, phil. Diss. Wien, 1927; W. Martinetz, I. F. C. als Dramatiker, Diss., Wien 1932; K. Wache, Jahrmarkt der Wiener Literatur, 1966; P. Ernst, Wiener Literaturgedenkstätten, ed. F. Czeike, 1990; W. Litschauer, I. F. C. als Textdichter für Schubert, in: Schuberts Lieder nach Gedichten aus seinem literarischen Freundeskreis, ed. W. Dürr u. a., 1999, S. 241ff.; H. Schneider, I. F. C. als Übersetzer und Librettist, in: Österreichische Oper oder Oper in Österreich? Die Libretto-Problematik, ed. P. Béhar – H. Schneider, 2005, S. 157ff.; B. Tumfart; „… aus fremden Gärten in unseren deutschen Boden von mir verpflanzt“. I. F. C. als Übersetzer französischer Theaterstücke, in: Übersetzen im Vormärz, ed. B. Kortländer – H. T. Siepe, 2007, S. 85ff.; Wien Geschichte Wiki (Zugriff 3. 2. 2022); Pfarre Maria Rotunda, Wien.

(Barbara Tumfart)

Für die kostenlose Bereitstellung des Bildmaterials danken wir dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek (Wien) und der Autorin.