Franz Marek (1913–1979) – ein europäischer Marxist

Franz Marek war „Kommunist von Beruf und Berufung“, wie sein Freund, der Historiker Eric Hobsbawm, festgehalten hat. Aufgewachsen in der Wiener Leopoldstadt, kam er in jungen Jahren zunächst mit dem Zionismus und schließlich mit dem Marxismus in Kontakt. Nach dem Februar 1934 war Marek führend im kommunistischen Widerstand gegen das Dollfuß-Schuschnigg-Regime und schließlich in der französischen Résistance gegen die NS-Besatzer aktiv. Als glühender Stalinist kehrte er 1945 nach Österreich zurück und wurde ein hochrangiger Funktionär der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ). Unter dem Einfluss der Ideen Antonio Gramscis und der Erschütterungen des Jahres 1956 wandelte er sich zu einem Kritiker der Sowjetunion und zum Reformkommunisten von europäischem Format. Seine Hoffnungen auf eine Erneuerung der Bewegung wurden mit der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 begraben. Die KPÖ schloss ihn 1970 als „Revisionisten“ aus. Fortan wirkte er als Chefredakteur des „Wiener Tagebuchs“ und formte es zu einem Forum der unabhängigen Linken. Im Juni 2019 jährt sich sein Todestag zum 40. Mal.

Geboren am 18. April 1913 als Efraim Feuerlicht im galizischen Przemyśl im heutigen Polen, kam seine Familie bereits ein Jahr später nach Wien. Wie viele andere Galizier, die die rücksichtlose Kriegsführung im Ersten Weltkrieg in die Flucht trieb, wuchs Marek in einem den jüdischen Glauben praktizierenden Haushalt in der Wiener Leopoldstadt in der Nähe des Praters auf. Seine Kindheit war durch ärmliche Lebensumstände, antisemitische Vorurteile, das sozio-politische Umfeld des 2. Bezirks und das Bekenntnis seiner Familie zum Judentum sowie zum Zionismus geprägt. Jüdische Literatur, zionistisch ausgerichtete Zeitungen, der Sportklub Hakoah und seine eigenen Liebe zum Fußball waren bestimmende Elemente.  
Mareks Hinwendung zur Politik begann im Gymnasium. In der 5. Klasse gründete er mit Klassenkameraden den Verband Zionistischer Mittelschüler. Seine Entwicklung hin zu explizit linken Standpunkten erfolgte durch seinen Eintritt in die sozialistisch-zionistische Jugendorganisation Haschomer Hatzair. Hier traf er das erste Mal mit Jugendlichen zusammen, die sich offen als Marxisten bezeichneten, und begann sich mit sozialistischen und kommunistischen Ideen auseinanderzusetzen. Eine Auswanderung nach Palästina, die er als zionistisch geprägter Mittelschüler noch anstrebte, stellte angesichts der sich zuspitzenden politischen Situation im Österreich und Europa der Zwischenkriegszeit bald keine Option mehr dar. Nach der Matura 1931 ging er auf die Walz nach Deutschland und erlebte dort die sich stetig verschärfenden politischen Spannungen und den Aufstieg der NSDAP hautnah mit. Er inskribierte an der Universität Wien Geschichte, Germanistik und Philosophie, doch am Studium verlor er rasch das Interesse. Zu sehr hatte ihn die Leidenschaft für die marxistische Theorie gepackt, die er mit seinem Studienkollegen und Freund Jura Soyfer diskutierte. Die Eskalation der politischen Lage in Österreich markierte schließlich eine Zäsur.

„Die glücklichste Zeit meines Lebens“: im Widerstand

Der Februar 1934 machte Marek endgültig zum Kommunisten. Er trat der KPÖ bei, fand sich umgehend im Widerstand gegen das Dollfuß-Schuschnigg-Regime wieder und nahm den nom de guerre Franz Marek an. Er verinnerlichte alle Regeln, die für ein Leben in der Illegalität notwendig waren, wie etwa strikte Konspiration. Sein Aufstieg in der Partei erfolgte rasch. Bereits 1935 wurde er mit der Leitung des illegalen Apparats betraut. Zu seinen Aufgaben gehörten die Sicherung der Verbindung zwischen Österreich und der Tschechoslowakei, wohin die Parteiführung der KPÖ emigriert war, und der Vertrieb von Büchern, Broschüren und der Parteizeitung „Rote Fahne“. 1936 folgte der Aufstieg zum Leiter der Illegalen Agitation und Propaganda. Sein Glaube an die Sowjetunion und an Stalin war unerschütterlich und trübte seine Sicht auf den Terror in der UdSSR.
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland im März 1938 ging Marek ins Exil nach Frankreich. Auch dort betätigte er sich politisch. Für eine kommunistisch geprägte Hilfsorganisation betreute er Emigranten und arbeitete für die Zeitschrift „Nouvelles d’Autriche – Österreichische Nachrichten“. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde Marek, wie alle Angehörigen des Deutschen Reichs, interniert. Erst 1941 konnte er sich wieder aktiv am Widerstand beteiligen. Er wurde in Paris eingesetzt und Teil der Führungsspitze der Travail allemand (TA), die gezielt antifaschistische Aufklärung unter den deutschsprachigen Soldaten leistete. Marek schrieb Texte für die Agitationszeitung „Soldat im Westen“ und organisierte die „Mädelarbeit“, deren Ziel es war, durch Gespräche Deutschen Soldaten von der Sinnlosigkeit des Kriegs zu überzeugen. Die Tätigkeit war gefährlich, bereitete ihm aber dennoch große Freude, war er doch endlich zurück am Schauplatz des Geschehens. Er ordnete sein ganzes Leben dem Kampf gegen den Faschismus unter. Und beinahe hätte ihm dies auch sein Leben gekostet. Im August 1944 wurde er verhaftet und wartete im Militärgefängnis Fresnes auf seine Hinrichtung. Es war dem Glück geschuldet, dass seine führende Rolle in der TA im Verborgenen blieb. So erlebte er die Befreiung von Paris im August 1944. Die Jahre der Illegalität waren nun vorbei und nach dem Krieg beorderte ihn die KPÖ zurück nach Österreich.

Zwischen Hoffnung und Resignation: Vom Stalinisten zum Reformkommunisten

Trotz zahlreicher innerparteilicher Gegner – Westemigranten waren mitunter Misstrauen ausgesetzt – gelang es Marek rasch in führende Positionen in der KPÖ aufzusteigen. 1946 übernahm er die Chefredaktion des theoretischen Organs der Partei „Weg und Ziel“, 1948 wurde er Mitglied des Politischen Büros. Beide Posten hatte er bis 1969 inne. Als Autor und Redner wurde er neben dem ungleich prominenteren Ernst Fischer, dem er aber erst Ende der 1950er-Jahre näherkam, zu einem Gesicht der Partei. Sein Engagement änderte aber nichts daran, dass die KPÖ ihren Einfluss im besetzten Österreich nach anfänglichen Erfolgen kaum noch ausbauen konnte. Vor dem Hintergrund der bis 1955 andauernden sowjetischen Besatzung und den kommunistischen Machtergreifungen in den östlichen Nachbarstaaten blieben innenpolitische Erfolge aus. Eine schwere Erschütterung erfuhr Mareks Glaube an Stalin und die Sowjetunion mit Chruschtschows Geheimrede und der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstands im Jahr 1956. Seine nun einsetzende Wandlung zum Reformkommunisten und Kritiker der Sowjetunion wurde aber nur langsam sichtbar. Die entscheidenden Impulse kamen aus Italien: Nach einem schweren Autounfall 1951 hatte er, ans Krankenbett gefesselt, die Schriften Antonio Gramscis gelesen und nach 1956 wurde die Politik der italienischen Kommunisten immer mehr zu seinem Vorbild. Die Lage der KPÖ frustrierte ihn nach deren Ausscheiden aus dem Nationalrat 1959 zunehmend. Während er weltpolitisch noch vollkommen auf der Seite der Sowjetunion stand, äußerte er im Rahmen der ab 1963 geführten Diskussion über die sowjetische Kulturpolitik erstmals offene Kritik an den Zuständen im Mutterland der Revolution. Fortan forderte Marek immer deutlicher einen „Anschauungsunterricht“ hinsichtlich der Überlegenheit des real existierenden Sozialismus ein und legte sich sukzessive darauf fest, dass der Weg zum Sozialismus in Westeuropa nur ein demokratischer sein könne.
In jenen Jahren machte er „Weg und Ziel“ zu einer innerparteilichen und europäischen Diskussionsplattform. Neben seinen italienischen Freunden Ernesto Ragionieri und Lucio Lombardo Radice publizierten dort auch Eric Hobsbawm oder Santiago Carrillo. Die Diskussionen drehten sich u. a. um „Demokratie und Sozialismus“. Auf ihrem Parteitag 1965 beschloss die KPÖ ein in weiten Teilen von Marek verfasstes Programm, das in Fragen von Autonomie und Demokratie über alle bis dahin von westlichen kommunistischen Parteien beschlossenen Dokumente hinausging. Marek, der seit Mitte der 1960er-Jahre glücklich mit der Journalistin Barbara Coudenhove-Kalergi liiert war – seine erste Ehe mit der Publizistin Tilly Spiegel, mit der er zusammen im Widerstand gekämpft hatte, wurde 1974 geschieden, – engagierte sich für einen Austausch zwischen diesen Parteien. 1966 war er Gastgeber einer Diskussionskonferenz in Wien. Seine Vorwegnahme „eurokommunistischer“ Ideen war aber der Zeit voraus. Zudem wurde der Reformkurs in der KPÖ immer stärker in Frage gestellt. Hoffnung und Resignation kulminierten im Jahr 1968: Der „Prager Frühling“ schien Mareks Hoffnung auf einen demokratischen Sozialismus „mit menschlichem Antlitz“ zu erfüllen. Seine Niederschlagung durch Truppen des Warschauer Paktes wurde von der KPÖ verurteilt. Daraufhin brachen die innerparteilichen Fronten offen auf. Der KPÖ-Parteitag im Jänner 1969 endete mit einer Niederlage der Reformer, die der Partei nun den Rücken kehrten oder ausgeschlossen wurden. Marek legte seine Funktion als Chefredakteur von „Weg und Ziel“ zurück, schied aus dem Politischen Büro aus und wurde 1970 aus der Partei ausgeschlossen.

„Zum Kommentar verurteilt“: Chefredakteur des „Wiener Tagebuchs“

Bereits während der innerparteilichen Auseinandersetzungen in der KPÖ hatte Marek die Chefredaktion des „Wiener Tagebuchs“ übernommen. Er formte die Zeitschrift nicht nur zu einer Heimat für die unabhängige österreichische Linke, sondern auch zu einem Referenzmedium der europäischen Neuen Linken. Die Gründung einer neuen Partei lehnte er ab und betätigte sich fortan als linker intellektueller Publizist, der sich mit dem Stalinismus, den sozialistischen Staaten, den Anliegen der Dissidenten, der Studentenbewegung, der chinesischen „Kulturrevolution“ und insbesondere mit der Entwicklung der westeuropäischen kommunistischen Parteien auseinandersetzte. Seine „Chronik der Linken“ wurde zu einem integralen Bestandteil des „Wiener Tagebuchs“. Bis zu seinem Tod am 28. Juni 1979 genoss Marek in Teilen der Alten und vor allem in der Neuen Linken großes Ansehen als europäischer Marxist – nicht zuletzt in der italienischen kommunistischen Partei, die sein Schaffen auch nach seinem Parteiausschluss weiterhin würdigte.


Werke: Die Parabel. Ein kritischer Leitfaden zur Geschichte des Bürgertums, 1934 (unter dem Pseudonym Franz Licht); Philosophie der Weltrevolution. Beitrag zu einer Anthologie der Revolutionstheorien, 1966; Was Marx wirklich sagte, 1968 (gemeinsam mit Ernst Fischer); Was Lenin wirklich sagte, 1969 (gemeinsam mit Ernst Fischer); Was Stalin wirklich sagte, 1970.


Literatur: Franz Marek. Beruf und Berufung Kommunist. Lebenserinnerungen und Schlüsseltexte, ed. M. Graf – S. Knoll, 2017.

(Maximilian Graf - Sarah Knoll)

Hinweis: Demnächst erscheint im Wiener Mandelbaum Verlag die von Maximilian Graf, Sarah Knoll, Ina Markova und Karlo Ruzicic-Kessler verfasste Biographie „Franz Marek – Ein europäischer Marxist“.