Er zählt zu den bedeutendsten Historikern Oberösterreichs, seine knapp 100 Publikationen zur Geschichte der Klöster, Pfarren und Adelsgeschlechter des Landes sind durch ihre archivalische Fundiertheit von bleibendem Wert. Vor allem aber wird Stülzʼ Name immer mit dem „Urkundenbuch des Landes ob der Enns“ verbunden bleiben, einer nach wie vor unentbehrlichen historischen Quelle.
Jodok Stülz wurde am 23. Februar 1799 in Bezau im Bregenzer Wald als Sohn eines Tischlers geboren. Nach dem Besuch der Gymnasien in Kempten und Innsbruck wechselte er 1817 nach Salzburg, wo er ebenfalls am Gymnasium und am Lyzeum studierte und daneben als Hauslehrer tätig war. Zu seinen Schülern zählten etwa der spätere Jurist und Schubert-Freund Franz von Hartmann sowie dessen Bruder Ludwig, die ihm zeitlebens treu verbunden blieben.
Nicht zuletzt die profunden Geschichtsbücher des Augustiner-Chorherrn Franz Kurz führten Stülz in das Stift St. Florian, wo er am 1. Oktober 1820 eingekleidet wurde. Nach der Priesterweihe am 19. August 1824 bestellte ihn Propst Michael Arneth zum Kooperator des Stiftspfarrers Kurz und zum zweiten Stiftsarchivar und ermöglichte ihm so die weitere Zusammenarbeit mit seinem Mentor. Der „Archivwurm“, wie er sich scherzhaft nannte, teilte den Bestand des Stiftsarchivs in Urkunden, Handschriften und Akten auf und legte Findbehelfe und Regesten an. Dabei entdeckte Stülz wertvolle mittelalterliche Fragmente, u. a. des „Ruodlieb“ (11. Jh.) und der Verserzählung „Der arme Heinrich“ von Hartmann von Aue. Die Publikation überließ er Germanisten wie Franz Pfeiffer, der ihn ermunterte: „Um Gotteswillen, verwerten Sie doch Ihre Kenntnisse! Sie sind einer der besten Germanisten, die mir unterkamen.“ Stülz sah sich aber als Historiker und wollte nicht in der Germanistik dilettieren. 1835 veröffentlichte er die erste „Geschichte des regulirten Chorherrn-Stiftes St. Florian“.
Als Anton von Spaun 1833 in Linz den Musealverein begründete, zählte Stülz zu den ersten Mitgliedern. 1836 wurde er zum Leiter der historischen Sektion ernannt und mit der Sammlung der ältesten Geschichtsquellen betraut, die zu seiner wissenschaftlichen Lebensaufgabe werden sollte. Jahrzehntelang suchte er in den Ferienzeiten die oft schwer zugänglichen Archive der Klöster, Schlösser, Städte und Pfarren des Landes auf und sicherte Urkunden durch genaue Abschriften oder Erwerb der Originale. In einer Fülle von Artikeln, u. a. über die adeligen Familien Khevenhüller, Capellen und Schaunberg sowie über die Geschichte Vöcklabrucks, wertete er die Dokumente aus.
1837 und 1838 ordnete Stülz das Stiftsarchiv Wilhering, anschließend jenes von Reichersberg. 1840 erschien seine voluminöse „Geschichte des Cistercienser-Klosters Wilhering“. Der Rezensent der Wiener „Jahrbücher der Literatur“ lobte die „rühmenswerte Detailkenntniß“, kritisierte aber die „auffallende Heftigkeit“ bei der Behandlung der Reformationszeit; hier fehle dem Autor die „Ruhe des nach beyden Seiten hin sorgfältig abwägenden Geschichtschreibers“.
Nach dem Tod von Franz Kurz folgte ihm Stülz 1843 als Stiftsarchivar und Stiftspfarrer von St. Florian nach. Sein guter Ruf in Historikerkreisen führte 1844 zur Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Daraufhin honorierte man seine Leistungen auch in der Heimat: 1846 ernannte ihn Kaiser Ferdinand zum „k.k. Reichshistoriographen“ und 1847 zählte Stülz zu den ersten Mitgliedern der neu gegründeten Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Wien.
Im selben Jahr wählten ihn seine Mitbrüder zum Stiftsdechanten. Als Stülz das Amt ablehnte, setzte ihn Propst Arneth als Stiftspfarrer ab – angeblich, um ihn für historische Forschungen freizustellen, musste diesen Schritt aber nach Protesten der Pfarrgemeinde wieder zurücknehmen. In einer vom Linzer Bischof angeforderten Klarstellung ließ Stülz mitteilen, er sehe in der Seelsorge die „Hauptaufgabe seines Lebens“ und wolle sein Arbeitsfeld als Historiker nicht weiter ausbauen. 1852 konnte er den ersten Band des „Urkundenbuchs des Landes ob der Enns“ vorlegen. Die noch von ihm selbst gesammelten und redigierten Bände 2 bis 5 mit 2.388 Urkunden samt Registern erschienen in relativ rascher Folge von 1856 bis 1868.
„Das Alte muß zugrunde gehen, da es nur noch leeres Formelwerk ist, aus dem der Geist schon längst gewichen“, schrieb Stülz in einem Brief Ende März 1848. Als romantisch geprägter Monarchist war er jedoch ein strikter Gegner der Aufklärung und lehnte jede Form des Konstitutionalismus und der Partizipation ab. Im Mai 1848 wurde Stülz überraschend zum Abgeordneten seiner Vorarlberger Heimat für die Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche gewählt. Er ließ sich zunächst von einem Ersatzmann vertreten und nahm das Mandat erst an, als ihm die Begegnungsmöglichkeit mit Gelehrten wie Jakob Grimm und Johann Friedrich Böhmer vor Augen gestellt wurde. Nur widerwillig suchte er die Parlamentssitzungen auf. Angesichts der kleindeutschen Lösung steigerte sich seine Aversion gegen die konstitutionelle Monarchie, sodass sie ihm schließlich als die „elendste aller Regierungsformen“ erschien.
Stülz hatte sich schon früh zur katholischen Romantik hingezogen gefühlt und bei einer Archivreise nach München Joseph von Görres und Johann Nepomuk von Ringseis, die Väter des politischen Katholizismus in Deutschland, kennen und schätzen gelernt. Nach der Revolution von 1848 hielt er eine religiöse Erneuerung der Gesellschaft für unumgänglich. Er begrüßte die Demokratisierung des kirchlichen Lebens durch stärkere Involvierung der Laien und förderte das katholische Vereinswesen. In Linz unterstützte er seinen einstigen Schüler Franz von Hartmann bei der Gründung eines Katholikenvereins, plädierte aber dafür, dass sich derartige Vereine karitativ betätigen und nicht politisieren sollten. Auch in seinen historischen Forschungen beschäftigte er sich mit spirituellen Impulsgebern wie der Inklusin und Santiago-Pilgerin Wilbirg von St. Florian (gest. 1289), mit Propst Gerhoch von Reichersberg (gest. 1169) sowie Bischof Altmann von Passau, der 1071 das Stift St. Florian reformiert hatte.
Am 8. April 1850 ernannte ihn der Linzer Bischof zum Konsistorialrat. Als Stülz noch im selben Jahr das Ritterkreuz des Franz Joseph-Ordens verliehen wurde, regte sich in der „Grazer Allgemeinen Zeitung“ Kritik daran, dass „einer der eifrigsten Ultramontanen und Feudalisten“ Österreichs diese Auszeichnung erhalten habe und nicht seine moderaten Mitbrüder Arneth oder Josef Chmel. Eine ihm angebotene Lehrkanzel für Geschichte an einer Universität soll Stülz im September 1851 abgelehnt haben. Zur vierbändigen Monographie über Kardinal Melchior Khlesl von Joseph Freiherr von Hammer-Purgstall, seines Zeichens erster Präsident der Wiener Akademie, verfasste Stülz eine vernichtende anonyme Rezension. Später gab er sich versöhnlicher und toleranter: „Mit den Jahren macht man immer öfters die Erfahrung, dass auch der Gegner seine guten Gründe habe und bescheidet sich mit der Einsicht, dass in vielen Dingen Gewissheit nicht zu erlangen sei.“
1854 wurde Stülz von seinen Mitbrüdern zum Stiftsdechanten gewählt, fünf Jahre später zum Propst. Stülz setzte die von seinen Vorgängern eingeleitete behutsame Modernisierung der barocken Stiftskirche fort und führte den noch jungen Orden der Kreuzschwestern in Oberösterreich ein, dem er die Leitung des Stiftsspitals, der neu gegründeten Kinderbewahranstalt und der Mädchenarbeitsschule übertrug.
Zahlreiche gelehrte Gesellschaften im In- und Ausland ernannten Stülz zum Mitglied, neben den bereits erwähnten etwa auch die Kopenhagener Altertumsgesellschaft (1857) und die Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde in Frankfurt und Berlin (1863). Von 1862 bis 1866 gehörte Stülz als Abgeordneter des Großgrundbesitzes dem oberösterreichischen Landtag an, wo er sich für höhere Lehrergehälter und eine bessere Armenfürsorge einsetzte. Am 3. August 1865 verlieh ihm die Universität Wien das Ehrendoktorat der Theologie. Während eines Kuraufenthalts erkrankte Jodok Stülz an einer Lungenentzündung, an deren Folgen er schließlich am 28. Juni 1872, also vor 150 Jahren, in Bad Hofgastein verstarb.
Weitere Werke: siehe K. Rehberger u. a., Bibliographie zur Geschichte des Stiftes St. Florian, 2006, S. 364ff.
Literatur: ADB; ÖBL; Wurzbach; W. Pailler, Jodok Stülz, Prälat von St. Florian. Ein Lebensbild, 1876; B. O. Černík, Die Schriftsteller der noch bestehenden Augustiner-Chorherrenstifte Österreichs, 1905, S. 102ff.; H. Sturmberger, in: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs 3, 1954, S. 233ff.; H. Slapnicka, Oberösterreich – Die politische Führungsschicht 1861 bis 1918, 1983, S. 207ff.; A. Niederstätter, in: Jahrbuch des Oberösterreichischen Musealvereines 157, 2012, S. 543ff.; Stiftsarchiv St. Florian, Oberösterreich; Pfarre Bad Hofgastein, Salzburg; Pfarre Bezau, Vorarlberg.
(Friedrich Buchmayr)
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