Knotenpunkt in der Wiener Musikkultur des
19. Jahrhunderts: Josef Hellmesberger d. Ä. (1828–1893)

Viele Fäden laufen bei dem vor 125 Jahren verstorbenen Josef Hellmesberger d. Ä. zusammen: Als Sologeiger, Kammermusiker, Konservatoriumslehrer und -direktor, als Orchestermusiker, Kapellmeister und Dirigent war er fest eingebunden in ein umfangreiches Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern, Konzertveranstaltern, Intendanten, aber auch Musikschriftstellern, Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Mäzenatentum und so fort. Über die langfristige Besetzung ebenso verantwortungsvoller wie entscheidungsmächtiger Posten des Musiklebens nahm er wesentlichen Einfluss auf die Tradierung und Entwicklung der Violinästhetik und -pädagogik in Wien und reiht sich damit zugleich in eine familiäre Tradition ein: Über drei Generationen hinweg betrieben Mitglieder der Familie Hellmesberger – Georg Hellmesberger d. Ä., dessen Sohn Josef Hellmesberger d. Ä. und wiederum dessen Sohn Josef Hellmesberger d. J. – am Konservatorium der Gesellschaft der Musikfreunde Geigenausbildung und waren zugleich zentral in das Wiener Musikleben eingebunden. Viele ihrer Absolventen fanden wiederum Eingang in die Wiener Orchester sowie das Kollegium am Konservatorium und wurden damit Teil eines Netzwerks, das sich von außen als weitgehend undurchlässig erweist und als Effekt die konzentrierte Vermittlung einheitlicher Spieltechniken und Klangideale begünstigte. Über die Idee des „Wiener Klangs“ wird die damit konstituierte Traditionslinie noch heute bemüht.

Jenseits von Walzerklängen oder: Wer gehört zur „Familie“ Hellmesberger?

Dem Namen Hellmesberger begegnet man heutzutage abseits der Instrumentalausbildung (die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien führt das Josef Hellmesberger Institut für Streichinstrumente, Gitarre und Harfe in der Musikpädagogik unter ihren Abteilungen) allenfalls noch bei den Neujahrskonzerten der Wiener Philharmoniker, deren Programme der letzten Jahre wiederholt Polkas und Walzer von Josef Hellmesberger d. Ä. und Josef Hellmesberger d. J. enthielten. Als Interpreten, Lehrer, Kammermusiker oder Dirigenten haben die Musiker das kulturelle Gedächtnis hingegen nicht überdauert. Nach dem Tod Ferdinand Hellmesbergers 1940, der sich als Cellist zwar nicht in dieselbe Traditionslinie einreihte wie Vater (Josef Hellmesberger d. Ä.), Großvater (Georg Hellmesberger d. Ä.) und Bruder (Josef Hellmesberger d. J.), über seine Mitwirkung im Hellmesberger-Quartett und die Lehrtätigkeit am Konservatorium wohl aber als Vertreter der Familientradition gewürdigt wurde, verschwand das Wirken der Musiker noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts allmählich aus dem öffentlichen Bewusstsein. Alten Ruhm beschwört das „Salzburger Tagblatt“ (20. 12. 1947) anlässlich des Erscheinens der ersten und bislang auch einzigen Monographie über die Familie Hellmesberger aus der Feder Robert Maria Prosls herauf: „Das Wien der sogenannten guten alten Zeit ersteht vor uns und in seinem Mittelpunkt die Geschichte der Familie Hellmesberger, einer Familie, deren Name wohl mit der alten Stadt am Donaustrand, ihrer Kultur, ihrer Musik, ihrer Kunst ewig verbunden bleiben wird.“ Hier wie andernorts wird die Familie Hellmesberger zum Etikett Wiener Musiktradition stilisiert, vielfach auch im gleichen Atemzug genannt wie die Familien Strauß und Fahrbach. Dabei steht der Name totum pro parte vor allem für die drei Geiger Georg d. Ä., Josef d. Ä. und Josef d. J. Mit ihnen als Protagonisten und um sie herum konnte eine Traditionsgeschichte Wiener Geigenspiels konstituiert werden, die sich bis heute – etwa entlang der Diskussion des Wiener Klangstils um die Wiener Philharmoniker – beharrlich hält. Im Sinne einer solchen Geschichtsschreibung wurden und werden im Zuge notwendiger Verkürzungen jene Akteurinnen und Akteure ausgeklammert, die nicht unmittelbar am Kern der Tradition beteiligt waren: Historiografisch nahezu unbeachtet bleiben vor allem die Mütter, Ehefrauen und Töchter. Mit Blick auf den hier Biographierten betrifft es seine Mutter Anna, geb. Mayerhofer (Maierhofer; gest. 1867) ebenso wie seine Ehefrau. Dabei hatte sich Letztere, Rosa Johanna Wilhelmine Hellmesberger, geb. Anschütz (1830–1909), schon frühzeitig als Schauspielerin etabliert. Die Tochter des Schauspielerehepaars Emilie Anschütz, geb. Butenop (1795–1866), und Heinrich Anschütz hatte 9-jährig am Wiener Hofburgtheater debütiert, wo sie im Alter von 15 Jahren ein Engagement als k. k. Hofschauspielerin erhielt. Mit der Eheschließung 1851 zog sie sich von der Bühne und damit insgesamt aus dem öffentlichen Kulturleben zurück. Gemeinsam mit Josef Hellmesberger d. Ä. hatte sie vier Kinder: Josef d. J., Ferdinand, Rosa (Rosita) (geb. 1856) und Emilie (geb. 1870). Während Josef d. J. und Ferdinand in die Fußstapfen des Vaters traten, folgten Rosa und Emilie der Mutter und durchliefen erfolgreiche Karrieren als Bühnenkünstlerinnen. Rosa Hellmesberger reüssierte Anfang der 1880er-Jahre als Opernsängerin, erhielt eine Anstellung am Hofoperntheater, absolvierte als Sängerin diverse Gastspiele außerhalb Wiens und wirkte später als Schauspielerin am Deutschen Volkstheater in Wien. Hier kreuzen sich die beruflichen Wege mit denen ihrer Schwester. Selbige hatte am Konservatorium in Wien die Schauspielabteilung besucht und nach einem Engagement am Stadttheater Lübeck 1889 eine Anstellung am Volkstheater erhalten. In den 1880er-Jahren verliert sich die Spur des Wirkens beider Frauen – naheliegend ist der Rückzug aus dem öffentlichen Wirkungsbereich nach einer Eheschließung.

Geigenausbildung als Familienunternehmen

Josef Hellmesberger d. Ä. (geb. Wien, 3. 11. 1828; gest. ebd., 24. 10. 1893) hatte zusammen mit seinem Bruder Georg d. J. eine frühe musikalische Ausbildung durch Georg Hellmesberger d. Ä. erhalten. Derselbe hatte am Konservatorium bei Josef Böhm studiert, der nicht nur als Begründer der institutionellen Geigenausbildung (mit Eröffnung der Geigenabteilung am Konservatorium 1819), sondern als Wegbereiter bzw. Gründer der neueren Wiener Geigerschule rezipiert wird. 1821 als Substitut Böhms angestellt, wurde Georg Hellmesberger d. Ä. in den 1830er-Jahren zum Professor ernannt. Seine Söhne Josef und Georg begleitete er bei ihren frühen Schritten – sowohl als Lehrer als auch im öffentlichen Musikleben. Bereits 1839 lassen sich erste Auftritte Josef Hellmesbergers nachweisen. Seit 1840 erfolgten gemeinsame Auftritte mit dem Bruder Georg, die sich bald zu einer Art Wiener Modeerscheinung entwickelten. In den Konzertbesprechungen zeichnet sich indes ein Gefälle ab: Während Josef Hellmesberger d. Ä. als Violinist auffallend positive Resonanz fand, hielt Georg Hellmesberger d. J. dem geigerischen Vergleich mit seinem Bruder in den Konzertbesprechungen kaum stand. Ob und inwiefern die Besetzung mit Georg Hellmesberger d. J. an der Violine und Josef Hellmesberger d. Ä. am Klavier oder der Physharmonika einen Versuch abbildet, Georg erfolgreicher als Geiger zu platzieren und damit die Familientradition zu befördern, bewegt sich im Rahmen von Spekulation. Im Anschluss an eine erfolgreiche Konzertreise nach England im Jahr 1847 nahmen die gemeinsamen Auftritte der Hellmesberger-Brüder 1848 ein Ende. Georg Hellmesberger d. Ä. hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits erfolgreich als Komponist eingeführt, einige Werke hatten wiederholt auch in die Programme der Brüder Aufnahme gefunden. 1850 ging er als königlicher Konzertmeister nach Hannover und starb 1852 im Alter von nur 22 Jahren.

Josef Hellmesberger d. Ä. hatte nach Ende der gemeinsamen Konzerttätigkeit 1849 zusammen mit Matthias Durst (2. Violine), Carl Heissler (Viola) und Karl Schlesinger (Cello) das Hellmesberger-Quartett gegründet. Bis 1887 gehörte er dem Ensemble als Primarius an. (In diesem Jahr übernahm sein Sohn Josef Hellmesberger d. J. die Leitung, der zuvor schon als 2. Violine mitgewirkt hatte). Als das zunächst einzige regelmäßig öffentlich konzertierende Quartett in Wien und mit seinem vielfältigen, teils progressiven Repertoire übte das Ensemble in diesen vier Jahrzehnten einen entscheidenden Einfluss auf die Kammermusiktradition der Stadt aus. 1851 übernahm Josef Hellmesberger d. Ä. die artistische Direktion der Gesellschaft der Musikfreunde und stand nicht nur den Gesellschaftskonzerten als Dirigent vor, sondern war zugleich Direktor des von der Gesellschaft getragenen Konservatoriums, an dem er gleichfalls eine Professur für Violine innehatte. Als solcher unterrichtete er Geigerinnen und Geiger wie Leopold von Auer, Natalie Bauer-Lechner, Adolf Brodsky, Eugenie Epstein, Josef Maxintsak, Arthur Nikisch, Franziska Schön und Ludmilla Weiser. Bereits mit der Lehrtätigkeit zeichnen sich Parallelen zur Vita seines Vaters ab, die sich auch in der Laufbahn seines Sohnes Josef Hellmesberger d. J. fortsetzen. Mit dem 1878 erfolgten Eintritt Josef Hellmesbergers d. J. als Professor in die Geigenabteilung befanden sich schließlich drei Generationen der Familie an dem Haus, die in enger Verzahnung über Jahrzehnte hinweg die Geigenausbildung in Wien wesentlich bestimmten und ihren Einfluss auch in das Wiener Musikleben hinein ausdehnten. Josef Hellmesberger d. Ä. wurde 1860 Konzertmeister des Hofopernorchesters und damit auch der Wiener Philharmoniker, 1863 wurde er zum ersten Violinisten der Hofkapelle ernannt. Interimistisch übernahm er 1870 die Leitung des Singvereins der Gesellschaft der Musikfreunde. 1876 folgte die Ernennung zum Vizehofkapellmeister und mit dem Tod Johann von Herbecks 1877 jene zum Hofkapellmeister. – Die Länge der Aufzählung bildet das hohe Arbeitspensum ab, dem der Musiker kaum mehr nachkommen konnte und das er reduzierte, indem er nach dem Studienjahr 1878/79 seine Professur am Konservatorium niederlegte. Seine übrigen Ämter behielt er bei. Während chronische Schmerzen in der Hand 1887/88 die Aufgabe des Violinspiels bedingten, blieb Hellmesberger weiterhin Konservatoriumsdirektor sowie Dirigent der Hofkapelle und war damit noch bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1893 eng in das musikkulturelle Netzwerk in der Donaumetropole eingebunden. Noch Jahrzehnte nach seinem Ableben wurde der Musiker für seinen ausgelassenen Humor gewürdigt. Schon zu Lebzeiten galten die „Hellmesberger-Witze“ als eine „Wiener Spezialität wie der Gumpoldskirchner, die Sachertorte und das Schlagobers“ (Tenschert 1947, S. 20), posthum wurden sie in Sammlungen publiziert. (Barthlmé 1908; Tenschert 1947) Nicht zuletzt ob ihres teils antisemitischen Grundtenors sind sie kritisch zu betrachten. Zugleich offenbaren sie neben Wortwitz und Selbstironie zahlreiche humoristische, zuweilen bissige Spitzen gegen die Musikerkollegen, die sämtliche Bereiche Hellmesbergers künstlerischen Schaffens durchziehen und bis zur eigenen Trauerfeier hinreichen: „Ich habe im Leben so viel musiziert und Musik hören müssen, daß ich ein Recht darauf habe, ein unmusikalisches Begräbnis zu bekommen.“ (Prosl 1947, S. 78)


Literatur: Der Adler, 21. 12. 1839; WZ, 16. 2., 29. 4. 1844; Der Humorist, 12. 2. 1845, 22. 4. 1888, 5. 9. 1889, 1. 1. 1892; Prager Morgenpost, 10., 13. 7. 1858; Die Presse, 26. 11. 1859; Eu. Eiserle, J. H. als Quartettspieler, in: Der Zwischen-Akt, 2. 2. 1860; Wiener Allgemeine Zeitung, 4., NFP, 6. 12. 1882; Deutsches Volksblatt, 25. 10. 1893; Salzburger Tagblatt, 20. 12. 1947; Czeike; Eisenberg 1; Wurzbach; Wiener allgemeine Musik-Zeitung 7,  1847, S. 243f.; Blätter für Musik, Theater und Kunst 6, 1860, S. 38; E. Hanslick, Geschichte des Concertwesens in Wien 1–2, 1869–70;  Musikalisches Wochenblatt 1, 1870, S. 708ff. (mit Bild); Anonym, Josef Hellmesberger, 1877 (mit Bild); Signale für die Musikalische Welt 1882, S. 1079, 1883, S. 579; A. Ehrlich, Berühmte Geiger der Vergangenheit und Gegenwart, 1893 (mit Bild); [R. Hirschfeld], Nachruf, gesprochen vor den Lehrern und Schülern des Conservatoriums … (Archiv der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien); Vom alten H. Komische Aussprüche und Anekdoten, ed. A. Barthlmé, 1908 (mit Bild); A. Gutmann, Aus dem Wiener Musikleben. Künstler-Erinnerungen 1, 1914, S. 45ff. (mit Bild); Illustriertes Musiklexikon, ed. H. Abert, 1927; R. Tenschert, Vater H. Ein Kapitel Wiener Musikerhumor, 1947 (mit Bildern). Ch. Merlin, Die Wiener Philharmoniker 2, 2017.

(Annkatrin Babbe)

Wir bedanken uns beim Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek für die kostenlose Überlassung von Bildmaterial.