Wien–Paris sans retour – das Leben des vergessenen Künstlers Erich Schmid

„Pariser Stadtveduten, in denen das Gegenständliche wie bei Turner schon abstrakten Charakter annimmt, verlassene Gassen, deren Romantik ebenso vorgestrig wie übermorgig sein kann, dicke, eher schmutzige Farben, in denen freilich manchmal ein aufregender roter Fleck oder ein geisterhaft gelbes Licht aufleuchtet“ – mit diesen Worten charakterisierte Jean Améry  in „Lefeu oder der Abbruch“ indirekt den Stil seines vom Schicksal gezeichneten Malerfreundes Erich Schmid, dessen Todestag sich 2019 zum 35. Mal jährt.

Ausbildung in Wien

Erich Schmid wurde am 14. Oktober 1908 als ältester Sohn des Herrenausstatters Hermann Schmid und dessen Frau Paulina in Wien geboren; seine Eltern waren Mitglieder der israelitischen Gemeinde in Wien. Er wuchs in einem behüteten und gutbürgerlichen Umfeld auf. Nach einem ersten Studium der Psychologie an der Universität Wien von 1925 bis 1930 unterzog er sich einer Psychoanalyse bei Wilhelm Reich. Mit dem jungen Wiener Hans Maier (Mayer), der später als Schriftsteller Jean Améry bekannt wurde, verband ihn bald eine enge Freundschaft, die nicht zuletzt auf beider Interesse an Literatur fußte. Im Anschluss an sein Psychologiestudium absolvierte Schmid von 1930-1934 ein Studium der Malerei an der Wiener Kunstgewerbeschule bei Eugen Steinhof. Dort lernte er auch Eva Mendel Miller kennen, die Tochter des Industriellen Frederick Salomon Mendel, der in den 1950er-Jahren eine wichtige Rolle für Schmids Ausstellungstätigkeit spielen sollte, nachdem dieser mit seiner Familie nach Kanada gezogen war und dort die Mendel Art Gallery gegründet hatte. Für kurze Zeit besuchte Schmid auch die Kunstschule Reimann in Berlin. Er beteiligte sich an ersten Ausstellungen in der Wiener Secession und schloss Bekanntschaften mit den damals schon arrivierten Künstlerkollegen Oskar Kokoschka, Alfred Kubin und Hans Böhler, die ihn zu Ausstellungsbeteiligungen ermutigten. Die in den folgenden vier Jahren entstandenen Arbeiten sind bis dato jedoch alle verschollen, wahrscheinlich wurden diese von den Nationalsozialisten zerstört.

Flucht nach Frankreich

Im Jahr 1938 fand Schmids Leben als junger, aufstrebender Maler ein jähes Ende und er musste vor den Nazis aus Wien flüchten. Er gelangte von Wien über Belgien nach Frankreich, wurde 1940 in Paris gefasst und in das französische Internierungslager Gurs überwiesen. 1943 konnte Schmid aus dem Internierungslager Rivesaltes, in das er verlegt worden war, flüchten und tauchte bis 1945 unter. Er zog durch Frankreich und verdiente sich mit Gelegenheitsarbeiten auf Bauernhöfen seinen Lebensunterhalt. Ständig in der Angst, deportiert zu werden, änderte er häufig seinen Aufenthaltsort. Am längsten hielt er sich in dieser Zeit in der Gegend Le Chambon-sur-Lignon in Südostfrankreich auf. Während dieser Jahre entstanden mehrere kleinformatige Arbeiten auf Papier. Einige Monate vor Ende des Krieges schloss er sich im Juni 1944 der französischen Résistance in der Gegend um Lyon an.

Schmids künstlerisches Wirken in Paris

Nach dem Krieg schlug sich Schmid mittellos nach Paris durch, wo er Unterkunft in einem von dem jüdischen Kinderhilfswerk OSE geführten Lehrlingsheim für junge Männer fand. Ein paar Monate nach seiner Ankunft in Paris lernte er die Wiener Jüdin Eva Friedmann, Überlebende eines Konzentrationslagers, kennen. Durch Arbeiten im Heim und Betreuung der anderen Bewohner verdiente Schmid das Wohnrecht für sich und seine Lebensgefährtin in den ersten Nachkriegsjahren. 1954 verstarb Eva Friedmann und Schmid entzog sich ab diesem Moment der Vermarktung seines Werkes, ebenso wie jeder Abhängigkeit seiner Person und wahrte sowohl als Künstler als auch als Mensch seine Unabhängigkeit und Distanz. Der Mensch war ihm durch die Gräueltaten des Nationalsozialismus und durch die Erfahrung der Ermordung seiner eigenen Familie in Auschwitz fremd geworden. Schmid, Mitglied der Freimaurer, hatte interessante Bekannte in den Pariser Sammler-, Künstler- und Intellektuellenkreisen und frequentierte die Pariser Künstlercafés „Le Dôme“, „Les Deux Magots“ und „Le Flore“, doch hatte er keine wahren Freunde. Allein Améry kam ihm näher als andere. Zahlreiche gegenseitige Besuche zwischen Paris und Brüssel, ein umfangreicher Briefwechsel und der Roman „Lefeu oder Der Abbruch“, in dem der „unbekannte Maler E.S.“ die Hauptfigur ist, lassen auf eine sehr enge Verbindung schließen. 1951 konnte Schmid 20 Ölgemälde bei dem Pariser Galeristen Micheline Grandier ausstellen.

Die Beziehung zu Gail Singer

1958 lernte Schmid die amerikanische Malerin Gail Singer kennen, welche schon nach kurzer Zeit der wichtigste Mensch in seinem Leben wurde. Gemeinsam präsentierten die beiden ihre Bilder in verschiedenen Gruppenausstellungen mit Malern des Lyoner Kreises, wie Jean Fusaro und Jacques Truphémus. Zeit seines Lebens kehrte Schmid nicht mehr nach Österreich zurück. Jedoch führte ihn seine Ausstellungstätigkeit während der 1960er- und 1970er-Jahre nicht nur nach Belgien und in die Schweiz, sondern auch nach Amerika und Kanada, wo er durch seinen alten Bekannten Frederick Mendel gefördert wurde. Im Jahr 1978 beging sein enger Freund Améry während einer Vortragsreise in Österreich Selbstmord. Die nächsten Jahre stellte Schmid nicht mehr aus, auch die schwere Erkrankung seiner Frau an Multipler Sklerose setzte dem Künstler zu. 1983 starb Gail Singer und jeglicher Lebenswille Schmids mit ihr.

Bereits ein Jahr später verstarb auch der Künstler in seinem Pariser Appartement in der Rue Rollin am 30. Dezember 1984 und wurde am Friedhof Père Lachaise begraben. Schmids Persönlichkeit spiegelt sich in seinen Werken wider: melancholische Darstellungen der Stadt Paris an grauen Herbsttagen oder einsame Objekte, die leblos in kleinen, dunklen Räumen liegen, charakterisieren das Œuvre des Künstlers und gleichzeitig seinen zurückgezogenen und eremitischen Lebensstil. Die expressionistische Ader Schmids wird durch seinen Pinselauftrag angedeutet, die Farbigkeit seiner Werke beschränkt sich auf kühle Farben, nur hin und wieder blitzt ein leuchtendes Rot oder ein sonniges Gelb zwischen den gräulichen Flächen seiner Leinwände hervor. Im Jahr 1991 widmete ihm die Galerie Saint-Georges in Lyon eine große Retrospektive, ebenso wie die Pariser Galerie Guenegaud 1994. In Österreich wurde Schmids Œuvre erstmalig 2002 vom Kunsthandel Widder in Wien präsentiert.


L.: Erich Schmid, Galerie Kriegel, 1972; Jean Améry, Lefeu oder der Abbruch, 1974; Erich Schmid. Un peintre de l’Europe d’aujourd’hui, 1991; Erich Schmid …, ed. Claudia Widder - Roland Widder, 2002; Ivonn Kappel, „In fremden Spiegeln sehen wir das eigene Bild“. Jean Amérys Lefeu oder Der Abbruch, 2009, S. 131ff.

(Sabrina Bübl)

Wir danken dem Kunsthandel Widder für die kostenlose Überlassung von Bildmaterial.