Sie verfasste die Protokolle zu den Sitzungen und Debatten des Wiener Kreises. Anlässlich ihres 40. Todestags würdigt die Biographie des Monats die zu ihrer Zeit verkannte Philosophin.
Rose (Rozalia) Rand wurde am 14. Juni 1903 in Lemberg als Tochter einer Händlerfamilie geboren. Nach der Volksschule in ihrer Geburtsstadt besuchte sie ab 1913 das dortige Josefa S. Goldblatt-Kamerling-Privatgymnasium. 1914 übersiedelte die Familie nach Wien, wo Rose in das polnische Gymnasium ging. 1920 wechselte sie in die Währinger Mädchen-Mittelschulen und 1922 in das Öffentliche Reform-Realgymnasium im 2. Wiener Gemeindebezirk. Dort maturierte sie schließlich 1924. Im selben Jahr schrieb sie sich für die Fächer Physik und Philosophie an der Universität Wien ein, wo sie bei prominenten Lehrern wie Robert Reininger, Karl Bühler, Heinrich Gomperz und Moritz Schlick studierte. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie während dieser Zeit mit Nachhilfeunterricht.
In den Jahren 1924 bis 1938 nahm Rose Rand regelmäßig und aktiv an den Diskussionsrunden des Wiener Kreises, einer Gruppe von Wissenschaftlern um Moritz Schlick, die sich der Verwissenschaftlichung der Philosophie mittels moderner Logik widmete, teil. Sie führte dabei – auf Bitten ihres lebenslangen Freundes Otto Neurath – Protokoll und erstellte damit jene Dokumente, die für die Jahre 1931 bis 1933 die einzigen Quellen zu den Treffen des Wiener Kreises darstellen, nur wenige Jahre, bevor im Juni 1936 der Leiter des Kreises und Rands Doktorvater Moritz Schlick im Stiegenhaus der Universität Wien erschossen wurde. Von 1930 bis 1937 arbeitete Rand an der Psychiatrisch-Neurologischen Universitätsklinik, wo ihre unveröffentlichte Arbeit „Die Begriffe ‚wirklichʻ und ‚nichtwirklichʻ auf Grund der Befragung Geisteskranker“ entstand. Neben ihrer Dissertation, die sie 1937 über das Werk des polnischen Philosophen Tadeusz Kotarbiński verfasste, hielt sie 1933/34 Vorlesungen zur Philosophie des Wiener Kreises an der Volkshochschule Ottakring und übersetzte polnische Fachliteratur für den Springer-Verlag. 1936 nahm sie am Philosophenkongress in Krakau teil. 1938 wurde sie im Zuge einer „Nichtarierpromotion“ zum Dr. phil. graduiert. Damit verbunden war ein Berufsverbot innerhalb des Deutschen Reichs und somit ein Ende ihrer wissenschaftlichen Karriere in Wien.
Als Rose Rand 1939 vor dem Nationalsozialismus aus Österreich nach England floh, lebte sie bei Susan Stebbing, Philosophin und erste Lehrstuhlinhaberin im Vereinigten Königreich, ein Kontakt, den ihr Neurath vermittelt hatte. Sie fand eine Anstellung als Krankenschwester in einem Kinderspital und arbeitete daneben in einer Maschinenfabrik. Mit fast religiös anmutendem Eifer – der die Zeitgenossen an den eigenwilligen amerikanischen Philosophen Henry David Thoreau erinnerte – plante sie die Fortsetzung ihrer jäh unterbrochenen akademischen Karriere. Schließlich wurde sie 1940 Visiting Scholar an der Moral Faculty der Universität Cambridge, wo sie bis 1943 Vorlesungen bei Ludwig Wittgenstein und George Edward Moore hörte und ebensolche über Wittgensteins Werk abhielt. Ihr Enthusiasmus wurde allerdings in den 15 Jahren, die sie in England verbrachte, auf eine harte Probe gestellt, da sie über ihr Gaststipendiat hinaus keine akademische Fixanstellung erhielt. Über 1.600 Briefe, die sie mit Größen wie Neurath, Wittgenstein, Alfred Tarski und Karl Popper austauschte, zeugen von ihrer zähen Ausdauer. Nachdem sie 1943 die Universität aus Gründen der Mittellosigkeit verlassen musste, arbeitete sie bis 1950 als Inspektorin für Maschinenkomponenten in einem Industriebetrieb und unterrichtete abends an der Luton Polytechnic. Schließlich konnte ihr Karl Popper 1950 ein Forschungsstipendium an der Oxford University verschaffen. Dort besuchte sie zahlreiche Seminare, hielt (informelle) Philosophiekurse und (formelle) Lehrveranstaltungen in deutscher Sprache für Wissenschaftler am University College London und an der School of Art.
Ihre akademische und damit finanzielle Situation besserte sich auch mit ihrer Auswanderung in die Vereinigten Staaten 1954 nicht. Nach einer Tätigkeit als Lecturer für Mathematik an der Universität von Chicago 1955-56 übernahm sie eine Stelle als Research Associate an der Notre Dame University in Indiana. Schließlich ging sie nach Princeton, wo sie sich um die Förderung weiterer Projekte bemühte. Kurze Stipendien bei der National Science Foundation 1960 und 1962 sowie bei der Philosophical Society 1963 und 1965 erlaubten ihr, an ihren Übersetzungen zu arbeiten. Im Zuge ihres kurzen Gaststipendiums 1962 bei der Polnischen Akademie der Wissenschaften (und als persönlicher Gast von Tadeusz Kotarbiński) erschien auch ihr eigenes Werk „The Logic of Demand-Sentences“. Nichtsdestotrotz war die Zeit in Princeton von Unzulänglichkeiten geprägt: In den Archives of Scientific Philosophy an der Universität Pittsburgh befindet sich ein ganzer Ordner, der von Rands Kampf um einen Schreibtisch in der Bibliothek der Princeton University zeugt. Obwohl sie dort von 1959 bis zu ihrem Tode tätig war, erhielt sie keinen ständigen Zugang zu jener Literatur, die sie für ihre Forschungen so dringend benötigte. Die Einzelgängerin bewohnte ein winziges, lautes und abgelegenes Zimmer in Princeton und war sowohl für ihre Arbeit als auch für zwischenmenschlichen Kontakt völlig auf die Bibliothek angewiesen. Gerade deshalb war es für sie ein schwerer Schlag, als der neue Leiter der Bibliothek 1975 ihre Ausleihrechte deutlich beschnitt. Als Begründung wurde genannt, Rand habe keine offizielle Verbindung mit der Universität. Vor allem ihre Arbeiten zu einer kritischen Abhandlung über logische Probleme litten darunter. Bis 1979 verfasste sie zahllose Anträge, in denen sie die unerkannte Dringlichkeit und den Wert ihrer Arbeit darlegte, um als Gastwissenschaftlerin anerkannt zu werden – doch ohne Erfolg. Rose Rand verstarb am 28. Juli 1980 in Princeton.
Es wäre ein Trugschluss zu meinen, Rands Persönlichkeit und ihre wissenschaftlichen Ideale wären durch ihre Zeit als polnisch-jüdische Studentin in Wien, als Staatenlose in England und in den Vereinigten Staaten verändert worden. Wirft man einen Blick auf ihre bereits angesprochene ausführliche Korrespondenz, kommt man zu einem anderen Schluss: Rand verfolgte ihre Vorstellung von einem Leben als „gute Philosophin“ stets mit einer unglaublichen Beharrlichkeit. Sie übte sich in minimalistischer Bescheidenheit, war Vegetarierin, gründete keine Familie und verschrieb sich gänzlich der Wissenschaft. Kollegen beschrieben sie als schwierig, da sie jede Form von Unterstützung strikt ablehnte – ein weiteres Faktum, das die Kluft zwischen ihr und der eng miteinander verbundenen „scientific community“ vertiefte. Dennoch war sie zutiefst überzeugt vom Wert ihrer Arbeit und stellte selbst nach 40-jähriger akademischer Zurückweisung und Nicht-Anerkennung weiterhin Anträge zur Förderung ihrer Projekte. Die Geschichte von Rose Rand ist einerseits eine Geschichte des Kampfs um wissenschaftliche Anerkennung, andererseits eine wertvolle Informationsquelle über das (Nicht-)Funktionieren der akademischen Einrichtungen ihrer Zeit und deren Umgang mit der Unterstützung von Minderheiten während und nach Krisenzeiten.
Anders als zu ihren Lebzeiten sind heute Rose Rands Leistungen als Wissenschaftlerin unumstritten: Manche Wissenschaftshistoriker gehen sogar so weit zu behaupten, Rand habe mit ihrer Arbeit die später von Georg Hendrik von Wright entwickelte deontische Logik vorweggenommen. Weiters verdanken wir ihr durch ihre rege Übersetzungstätigkeit die Verbreitung der Philosophie von Autoren wie Kotarbiński, Jan Łukasiewicz und Stanisław Leśniewski im anglo-amerikanischen Raum.
Weitere W.: Kotarbińskis Philosophie auf Grund seines Hauptwerkes: Elemente der Erkenntnistheorie, der Logik und der Methodologie der Wissenschaften, phil. Diss. Wien, 1937/38; Logik der Forderungssätze, in: Internationale Zeitschrift für Theorie des Rechts, Neue Folge 1, 1939.
L.: M. Iven, R. Rand und L. Wittgenstein, 2004; M. Iven, in: Wittgenstein und Schlick, ed. B. McGuinness, 2010, S. 69ff.; B. McGuinness, in: Wittgenstein und Schlick, ed. B. McGuinness, 2010, S. 77ff.; M. Rentetzi, in: EPSA Epistemology and Methodology of Science 1, ed. M. Suárez, 2010, S. 233ff.; biografiA. Lexikon österreichischer Frauen 3, 2016; Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien (online, Zugriff 14. 7. 2020).
(Katarina Mihaljević)
Für die kostenlose Bereitstellung von Bildmaterial bedanken wir uns bei den Archives of Scientific Philosophy der University of Pittsburgh sowie dem Universitätsarchiv Wien (https://gedenkbuch.univie.ac.at/).