Bescheidener König im Reich des Triglav: Julius Kugy (1858–1944)

Jurist und Handelsmann, Botaniker und Ausnahmealpinist, Erschließer der Julischen Alpen und erfolgreicher Bergschriftsteller – das Leben des Julius Kugy kann zu Recht als reich und erfüllt bezeichnet werden. Über den Nationalismen seiner Zeit stehend, gilt der Brückenbauer, dessen Todestag sich im Februar 2019 zum 75. Mal jährt, heute nicht zuletzt als Symbolfigur für den Alpen-Adria-Gedanken.

Jugendjahre in Triests goldener Epoche

Julius Kugy wurde am 19. Juli 1858 in Görz geboren, wohin seine Eltern vor einer Choleraepidemie, die in Triest grassierte, kurzzeitig geflohen waren. Sein Vater, Paul Kugy, stammte aus der kleinen Ortschaft Lind bei Arnoldstein in Kärnten. 1842 hatte er in Triest, dem damals pulsierenden Haupthafen der Monarchie, mit einem Kompagnon das Unternehmen „Pfeifer & Kugy“ gegründet, man handelte mit Kaffee, Trockenfrüchten und Ölen. Die Geschäfte liefen gut und so wuchs Julius ohne materielle Sorgen in einem bürgerlichen Haushalt auf. Seine Mutter Giulia war die Tochter des Beamten Janez Vesel, unter seinem Schriftstellernamen Jovan Koseski ein bekannter Literat, der v. a. als Dichter und Übersetzer in die slowenische Literaturgeschichte einging. Die Muttersprache seiner Tochter war jedoch Italienisch, und dieses war nach Aussagen Kugys auch seine Erstsprache und die seines Bruders, erst später wurde auf Wunsch des Vaters zu Hause Deutsch mit ihnen gesprochen. Auch der erste Unterricht durch einen Hauslehrer erfolgte in dieser Sprache. Ab 1868 besuchte Kugy das k. k. Staatsgymnasium in Triest, wo er 1876 maturierte. Nach einem einjährigen Praktikum im väterlichen Handelshaus ging Kugy nach Wien, um dort Jus zu studieren, wozu er jedoch keine rechte Neigung besaß, weshalb er bald wieder an die Adria zurückkehrte. Lieber hätte er sich den Naturwissenschaften gewidmet und wäre zu Expeditionen in ferne Länder aufgebrochen. Schließlich siegte jedoch das Pflichtgefühl, er nahm das Studium wieder auf und wurde 1882 an der Wiener Universität zum Dr. iur. promoviert. In der Folge kurzzeitig als Rechtspraktikant in seiner Heimatstadt tätig, musste er nach dem plötzlichen Tod des Vaters zusammen mit seinem Bruder Paul das Familiengeschäft übernehmen.

„König der Julier“ – der Alpinist Kugy

Bereits in seine Gymnasialzeit fallen Kugys erste Ausflüge in die Berge, u. a. im Rahmen sommerlicher Ferienaufenthalte in Kärnten. Während der Vater sein diesbezügliches Interesse wohlwollend aufnahm, ängstigte sich seine Mutter, sodass Kugy einige frühe Touren (etwa auf den Triglav oder den Großglockner) teils verheimlichte bzw. herunterspielte. Diese ersten Begegnungen mit der Bergwelt standen anfangs in Verbindung mit seinem lebhaften Interesse für Botanik. Schon als Schüler brachte er es auf diesem Gebiet zu gewissem Ansehen und stand als gefragter Pflanzensammler in Kontakt und Austausch mit prominenten Naturforschern wie Muzio Giuseppe Ritter von Tommasini oder dem botanisierenden Dichter Rudolf Baumbach. Bald rückte dabei das naturkundliche Interesse in den Hintergrund und Kugy – seit 1878 Alpenvereinsmitglied – entdeckte das Bergsteigen als seine große Leidenschaft. Da er über ausreichende Geldmittel verfügte, nahm er sich ortskundige Führer, oft Hirten, Jäger bzw. Wildschützen und Schmuggler. Mit diesen blieb er nicht selten ein Leben lang befreundet und setzte ihnen auch in seinen späteren Werken ein schriftstellerisches Denkmal. Kugys primäres Interesse galt den damals noch relativ unbekannten Julischen Alpen, diese entwickelten sich zu seinen „Hausbergen“ und sein Name ist bis auf den heutigen Tag mit ihrer alpinistischen Erschließung verknüpft. Seine erste Erstbesteigung war im August 1880 jene des 2.740 m hohen Suhi plaz (heute bekannter unter dem Namen Škrlatica), ihr sollten zahlreiche weitere folgen. Kugy entdeckte zahlreiche neue Kletterrouten in der Region, so bestieg er 1881 als Erster den Triglav über die Westflanke, aus der Trenta herauf, auch mehrere Benennungen von Gipfeln und Felsformationen stammen von ihm. Sein Ruf als Alpinist und Erschließer der Julischen Alpen wuchs, bereits um 1890 galt er als „König der Julier“. In seiner Wiener Studentenzeit hatte er sich zudem mit den Brüdern Otto und Emil Zsigmondy angefreundet, die ihn wiederum mit weiteren Alpinisten bekanntmachten, etwa mit August Edlen von Böhm-Böhmersheim. Ab 1886 dehnte er seine Bergfahrten auf die Westalpen aus, wo er im Wallis, in der Mont-Blanc-Gruppe sowie in den Dauphiné-Alpen schwierigste Touren unternahm. Im Alpinismus setzte sich damals immer mehr das führerlose Gehen durch, das als die sportlichere Herangehensweise galt. Kugy entschied sich jedoch gegen diese Entwicklung und ging auch weiterhin mit ortskundigen Führern, nicht zuletzt, da er den „Bergsport“ (einschließlich übermäßiger technischer Hilfsmittel) als solchen ablehnte – für ihn stand das Natur- und letztlich auch innere Erlebnis am Berg im Mittelpunkt, übertriebenen Ehrgeiz und Leichtsinnigkeit lehnte er ab. Kugy führte auch mehrere Winterbesteigungen durch, am Erlernen des neu aufkommenden Schi- und Schneeschuhlaufens scheiterte er jedoch, wie er in seiner Autobiographie selbstironisch vermerkt. Seine letzte Erstbesteigung führte ihn 1910 auf den Nordturm des Montasch (furlanisch Jôf dal Montâs, italienisch Montasio, slowenisch Montaž) in den westlichen Julischen Alpen.

Gipfelsausen, Orgelbrausen – Kugy und die Musik

Kugys zweite und etwas weniger bekannte lebenslange Leidenschaft galt der Musik. Nachdem er bereits als Kind Klavierunterricht erhalten hatte, brachte er es darin zu einem gewissen Können und war später vor allem als Liedbegleiter gefragt. Während seiner Studienzeit sang er im Wiener Akademischen Gesangverein, u. a. unter der Leitung Anton Bruckners, auch Brahms begegnete er dort noch persönlich. Nach seiner Rückkehr nach Triest wandte sich Kugy intensiv dem Orgelspiel zu und wirkte als Organist an der evangelisch-lutherischen Kirche der Stadt. Als sich innerhalb der Gemeinde Widerstand gegen seine Orgelkonzerte regte (Kugy selbst spricht von einer Intrige), gab er diese Tätigkeit auf und fand Aufnahme in der evangelischen Gemeinde helvetischen Bekenntnisses. Da die dortige Orgel jedoch ein „altes, minderwertiges, knarrendes Werk“ besaß, beschloss er, bei der renommierten Orgelbaufirma Rieger ein eigenes Instrument in Auftrag zu geben. Dieses brachte er 1894 in der Kirche der Mechitaristen in der Via dei Giustinelli unter. Er wirkte nun dort als Organist, es war ihm jedoch auch erlaubt, außerhalb der Gottesdienste zu spielen und auch Konzerte zu veranstalten. Über vierzehn Jahre lang spielte er nach eigenen Aussagen täglich abends drei Stunden lang auf dem Instrument, mit Vorliebe Bach, sodass er nicht wenig für die Bach-Rezeption in der Küstenstadt leistete. Besondere Verdienste erwarb sich Kugy – der nach seiner Rückkehr aus Wien zeitweise auch die musikalischen Aktivitäten des „Schillervereins“ leitete – um die lokale Chormusik. Er rief den unter der Leitung Carlo Painis stehenden „Coro Palestriniano“ ins Leben, der zu seiner Glanzzeit um die vierzig Sängerinnen und Sänger zählte und die Konzertlandschaft der Stadt v. a. mit Renaissance-Werken von Giovanni Pierluigi da Palestrina, Andrea Gabrieli, Orlando di Lasso u. a. bereicherte. Doch erneut gab es Probleme mit kirchlichen Stellen, diesmal auf katholischer Seite: „Neider“ beanstandeten, dass anstelle der Chorknaben Frauen die Sopran- und Altstimmen sangen, und zeigten Kugy bei Bischof Andreas Maria Sterk an. Dieser bestimmte, dass der Frauengesang in kirchlichen Räumen künftig zu unterbleiben habe. Die Mechitaristen unterstanden als unierte Armenier zwar nicht dem Triester Oberhirten, doch wollte die Ordensleitung keinen Streit mit dem römisch-katholischen Ortsbischof. So war der Chor nun gezwungen außerhalb der Diözese aufzutreten, etwa in Gotteshäusern des Görzer Bistums, das in dieser Frage toleranter war. Diese Chorreisen in das Umland (Aquileia, Gradisca u. a.) waren nicht nur von Erfolg gekrönt, sondern gestalteten sich auch zu unterhaltsamen Ausflügen. Als 1902 Franz Xaver Nagl, der spätere Wiener Erzbischof, auf den Triester Bischofsstuhl kam, erwirkte Kugy, dass der bis 1908 bestehende Chor die Messkompositionen Palestrinas erneut in Kirchen aufführen durfte – unter der Bedingung freilich, dass auch die liturgischen Zwischengesänge gesungen wurden.

Umbrüche und das Ende einer Welt

Noch vor Ausbruch des 1. Weltkriegs zogen Wolken über dem Hause Kugy auf: Durch unglückliche Finanzgebarungen brachte Kugys Bruder das Unternehmen in Schwierigkeiten. Zugleich zeigten sich bei ihm erste Anzeichen einer psychischen Erkrankung, sodass er letztlich aus der Firma ausschied und den Rest seines Lebens in Sanatorien zubrachte. Julius Kugy musste das Handelshaus nun allein leiten und schreibt in seiner Autobiographie erstaunlich offen über seine eigenen Depressionen zu jener Zeit, seine „Gemütskrankheit“, aus der ihn nicht zuletzt der auf Anraten der Ärzte wiederaufgenommene Gang in die Julischen Alpen herausgeholt habe. Der Ausbruch des 1. Weltkriegs, v. a. aber der Kriegseintritt Italiens 1915 leitete den Niedergang des ererbten Handelshauses ein. Obschon bereits 57-jährig, meldete sich Kugy freiwillig und diente bis Kriegsende als Alpinreferent an der Südfront. Dort, wo im Gebirgskrieg bekanntlich mehr Soldaten durch Lawinen, Felsstürze und Unfälle ums Leben kamen als durch feindlichen Beschuss, war seine Expertise gefragt. Nach seiner Rückkehr war das Familienunternehmen bankrott und der inzwischen 60-jährige Junggeselle Kugy körperlich angeschlagen. Er musste sich von Haus und Firma trennen und lebte fortan in sehr bescheidenen Verhältnissen. Das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie bedeutete für ihn den Untergang einer Welt und eine persönliche Katastrophe, doch fügte er sich und wurde nun italienischer Staatsbürger.

Der „Bergpoet“

Während des 1. Weltkriegs begann Kugy auf Anraten von Freunden seine Bergerlebnisse niederzuschreiben. So entstand „Aus dem Leben eines Bergsteigers“, das mit einiger Verzögerung 1925 im Münchner Bergverlag Rudolf Rother erschien. Das in bilderreicher, poetischer Sprache und heiter-romantischem Ton gehaltene Buch entwickelte sich zu einem großen Erfolg und wurde bis 1989 zehnmal aufgelegt sowie in mehrere Sprachen übersetzt. In seinen beiden letzten Lebensjahrzehnten widmete sich Kugy als „Bergpoet“ (so eine Selbstbezeichnung) vornehmlich der Schriftstellerei. 1931 erschien die Autobiographie „Arbeit – Musik – Berge“, 1934 „Die Julischen Alpen im Bilde“, ein Band, in dem Kugy zu Aufnahmen zahlreicher bekannter Photographen Begleitexte verfasste. Einem seiner langjährigen Bergführer setzte er mit der Biographie „Anton Oitzinger“ (1935) ein literarisches Denkmal, während er in „Fünf Jahrhunderte Triglav“ (1938) eine Erschließungsgeschichte des höchsten Berges Sloweniens vorlegte. Mit „Im göttlichen Lächeln des Monte Rosa“ (1940) kehrte er in der Erinnerung in die Westalpen zurück. Ein Jahr vor seinem Tod veröffentlichte er noch den Memoirenband „Aus vergangener Zeit“. Ab den 1920er-Jahren entfaltete Kugy zudem eine rege Vortragstätigkeit, die ihn u. a. nach Deutschland, Österreich, in die Schweiz und nach Jugoslawien führte und auf der er zahlreiche Säle füllte. Mehrere alpine Vereinigungen verliehen ihm die Ehrenmitgliedschaft, 1934 erhielt er den jugoslawischen St.-Sava-Orden. Julius Kugy, der gefeierte und dennoch bescheidene Spitzenalpinist, der „König der Julier“, begabte Bergschriftsteller und Chronist des frühen Alpinismus, starb – ob eines neuerlich wütenden Weltkriegs weitgehend unbemerkt – am 5. Februar 1944 in Triest.

Ahnherr des Alpen-Adria-Gedankens

In den letzten Lebensjahren Kugys hatte sich seine Heimatstadt Triest sowie deren Hinterland – die italienisch-jugoslawische Grenze verlief damals bekanntlich weiter östlich als die aktuelle italienisch-slowenische – grundlegend verändert: Der multiethnische Charakter der Region wurde negiert, sie erhielt mit Zwang und Terror den Stempel der „italianità“ aufgeprägt. Ganz anders Kugys Zugang, der wohl nicht zuletzt aufgrund seiner Familiengeschichte sowie seiner engen Tuchfühlung mit der Bevölkerung der Julischen Alpen eine für sein Zeitalter der Nationalismen äußerst tolerante Haltung an den Tag legte: „[Ich] frage mich oft, ob ich wohl der Kenner der Julischen Alpen geworden wäre, als der ich heute gelte, hätte ich mich nicht […] auch dem Verständnis der Seele der Völker genähert, […] die zu Füßen jener Berge wohnen. Kann man die wundervolle, tiefernste Poesie des Kanin voll erfassen, ohne den Friauler der Raccolana oder den Flitscher, den Resianer zu kennen, oder den lichten Glorienschein über dem Gipfel des Triglav erstrahlen sehen, ohne zu wissen, wie der Slovene zu seinem heiligen Berg emporblickt?“. Diese verständnisvolle und tolerante Einstellung Kugys, die immer wieder aus seinen Werken spricht, war es wohl auch, die schon sehr früh eine positive Rezeption seiner Person auch im sozialistischen Jugoslawien einsetzen ließ. Im Jahr 1953 wurde unter Beteiligung politischer Prominenz ein lebensgroßes, von Jakob Savinšek geschaffenes Kugy-Denkmal in der Trenta, an der Straße, die auf den Vršič führt, eingeweiht. Den Anlass dazu bildete das 60. Gründungsjubiläum des Slowenischen Alpenvereins. Später kamen weitere Gedenkstätten hinzu, auch zahlreiche Benennungen von Wander- und Kletterrouten sowie von Straßen und Plätzen folgten, sowohl in Italien als auch in Slowenien, Österreich und Deutschland. Bisweilen wird in Kugy auch eine Symbolfigur für den Alpen-Adria-Gedanken gesehen, der eine verstärkte grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Region, in deren Herz die Julischen Alpen liegen, anstrebt. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen jährlich den Julius-Kugy-Preis vergibt, mit dem Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die sich um die Idee der Mehrsprachigkeit und das Zusammenwachsen der Völker und Volksgruppen in diesem Teil Mitteleuropas verdient gemacht haben. Kugy ist zudem der Namenspate eines seit 1999 erfolgreich laufenden innovativen Projekts am Bundesgymnasium für Slowenen in Klagenfurt: In den sog. Kugy-Klassen werden Schüler aus Kärnten, Slowenien und Friaul fächerübergreifend in vier Sprachen (Slowenisch, Deutsch, Italienisch und Englisch) unterrichtet. Diese und ähnliche Beispiele zeigen, dass Kugys Andenken als Brückenbauer in der Region rund um seine Herzenslandschaft, die Julischen Alpen, auch im 21. Jahrhundert weitergetragen wird.


Weitere Werke: Berge, Blumen, Tiere, 1940; zahlreiche Aufsätze, u. a. in den „Mitteilungen des Deutschen und Österreichischen Alpenvereins“ und in der „Österreichischen Alpenzeitung“.


Literatur: Neue Deutsche Biographie; Österreichisches Biographisches Lexikon; Primorski slovenski biografski leksikon; Slovenski biografski leksikon; Personenmappe Julius Kugy im Historischen Alpenarchiv der Alpenvereine in Deutschland, Österreich und Südtirol (online, Zugriff 15. 2. 2019); Universitätsarchiv, Wien.

(Hubert Bergmann)

Wir danken dem Bildarchiv Austria der Österreichischen Nationalbibliothek für die kostenlose Überlassung von Bildmaterial.