Am Kahlenberg 38 Kirche, Karte
Text: Silvia Dallinger, Johannes Feichtinger
Eine Gedenktafel über dem Hauptportal der St. Josefskirche am Kahlenberg erinnert an die Befehlshaber des christlichen Entsatzheeres von 1683. Die von der Stadt Wien gestiftete Tafel wurde am 11. September 1883 im Rahmen einer Gedenkfeier feierlich enthüllt. Es handelt sich dabei um eines der ältesten, von der liberalen Stadtverwaltung initiierten und noch erhaltenen Denkmäler Wiens.
Eine Hommage an die Heerführer von 1683
Eine Hommage an die Heerführer von 1683
Der Text der Gedenktafel nennt die wichtigsten Heerführer von 1683:
Von diesen Anhöhen zogen am Morgen des 12. September 1683
Johann III. Sobieski König v. Polen
der kaiserliche General–Lieutenant Herzog Carl V. von Lothringen
die Churfürsten Johann Georg III. v. Sachsen und Max Emanuel v. Bayern
Fürst Georg Friedrich v. Waldeck
die Markgrafen Hermann und Ludwig Wilhelm v. Baden
und andere Heerführer mit den Truppen des
KAISERS LEOPOLD I.
sowie mit deutschen und polnischen Hilfsvölkern in den Kampf zur Befreiung der von
der türkischen Kriegsmacht durch ein und sechzigtägige Belagerung der schwer
bedrängten
STADT WIEN.
_________________
In dankbarer Erinnerung an den ruhmvollen Sieg des Entsatzheeres
Die Stadt Wien: 12. September 1883
Die Gedenktafel samt Inschrift wurde vom Hof-Steinmetzmeister Eduard Hauser aus Willersdorfer Stein angefertigt. Die Tafel wurde im Stil der Neorenaissance ausgeführt. Oberhalb ist das Wappen der Stadt Wien angebracht. Der liberale Wiener Bürgermeister Eduard Uhl betonte die Bedeutung der Gedenktafel bei seiner Gedenkrede am 11. September 1883:
Dieser Stein ist ein bleibendes Zeichen der großen Heldentaten der Befreier am 12. September 1683. Wir haben ihn errichtet als Dankesopfer für die Heldentaten unserer Vorfahren, zum immerwährenden Gedenken aller welche gekämpft haben für die Ehre unserer Stadt. (Uhl 1883: 5)
Entstehung der Gedenktafel
Das Jahr 1883 war geprägt von einem Denkmalstreit zwischen dem konservativ-klerikal-slawisch orientierten Ministerium und der (deutsch-)liberalen Regierung Wiens (siehe „Die Wiener Säkularfeierlichkeiten 1883“ ). In Reaktion auf das von Seiten des Ministeriums geplante Türkenbefreiungsdenkmal im Stephansdom, das Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg als Verteidiger Wiens ins Zentrum rückte, zielte die liberale Wiener Stadtregierung mit der Stiftung dieser Gedenktafel darauf ab, den Kahlenberg als Erinnerungsort der Entsatzschlacht und der Befreiung Wiens für sich zu beanspruchen. Da das Großprojekt eines 40 Meter hohen Entsatz-Denkmals am Kahlenberg mit Büsten von Kaiser Leopold I., Jan III. Sobieski, Karl V. von Lothringen und Papst Innocenz XI. vorrangig aus finanziellen Gründen gescheitert war, konnte die Stadt die ministeriellen Aktivitäten nur mit der Anbringung einer Gedenktafel an der St. Josefskirche erwidern. (Feichtinger 2010: 113–114)
Die Stiftung und Anbringung dieser Tafel mit passender Inschrift war am 18. Mai 1883 durch den Wiener Gemeinderat nach Zustimmung des Eigentümers der Kirche, Dr. Gustav Benischko, beschlossen worden. Hierfür wurden Kosten von 3.000 Gulden veranschlagt. (Karigl 1981: 84) „Die dort befindliche Statue des hl. Josef aus der Zeit der Erbauung der Kirche durch die Kamaldulensereremiten stand im Wege und musste oberhalb des Eingangs in die Sakristei, Kirche und Benefiziatenwohnung versetzt werden“ (Hamminger 1986: 33). Die erforderlichen Arbeiten zur Verlegung der Statue und die Restaurierung der Kirchenfassade übernahm der Klosterneuburger Baumeister Johann Passing.
Das politische Kalkül hinter der Gedenktafel
Es fällt auf, dass König Jan III. Sobieski auf der Gedenktafel zwar als erster Feldherr genannt, aber nicht in seiner Funktion als Oberbefehlshaber des Entsatzheeres erwähnt wird. Während die kaiserlichen Truppen und Kaiser Leopold I. sowie die Stadt Wien besonders hervorgehoben sind, werden die deutschen und polnischen Truppen lediglich als „Hilfsvölker“ bezeichnet.
Die Randstellung der polnischen Truppen sowie Johann III. Sobieski, den Oberbefehlshaber der vereinigten Armeen, lässt sich als Indiz für die ablehnende Haltung der deutsch-liberalen Stadtverwaltung gegenüber der konservativen deutsch-tschechisch-polnischen Koalition auf Staatsebene unter Ministerpräsident Eduard Taaffe verstehen. Die Wiener Liberalen befürchteten vermutlich nicht zu Unrecht, dass der so genannte ‚Eiserne Ring‘ in der österreichischen Reichshälfte gemäßigt nationale Ansprüche der Slawen zu Ungunsten der deutsch-liberalen Vormachtstellung erfüllte. Obwohl sich die deutschliberale Wiener Politik zur staatlichen Politik kritisch-distanziert verhielt, war einer Hervorhebung des Anteils der kaiserlichen Armee an der Befreiung Wiens von den Osmanen im Jahr 1683 opportuner als die Würdigung Sobieskis, welche die polnische Seite zu Anmeldung weiterer Ansprüche verleiten hätte können.
Eine Würdigung der Bürger von 1683
In seiner Rede anlässlich der Enthüllung der Gedenktafel (siehe „Gedenkfeier am Kahlenberg“) hob Bürgermeister Uhl vor allem die Tapferkeit der Verteidiger Wiens, allen voran des Stadtkommandanten Starhemberg und des Bürgermeisters Liebenberg, hervor. Als Liberaler betonte er besonders die Rolle der Bürger: Sie ertrugen „mit Mannesmuth die schweren Lasten einer mehrwöchentlichen Einschließung, thätig eingreifend zur Wehre gegen den an Zahl weit überlegenen Feind“ (Uhl 1883: 2).
König Johann III. Sobieski wurde als Oberbefehlshaber der Entsatzarmee von 1683 in Uhls Rede nur am Rande erwähnt und Karl von Lothringen als „geistigem Führer des Entsatzheeres“ (ebd.: 3) gegenübergestellt: „Wien war befreit durch die Tapferkeit der kaiserlichen Truppen und der christlichen Heerführer, durch den leitenden Geist Herzogs von Lothringen, des großen Ahnherrn unseres erlauchten Kaiserhauses“ (ebd.: 5).
Den Abschluss der Rede Uhls bildete ein besonderes Hoch auf die Dynastie von 1683 bis 1883:
Und wie unsere Vorfahren nach dem glücklichen Entsatze ihrem Kaiser entgegengejubelt, so wollen auch wir heute dem freudigen Gefühle Ausdruck geben beim Anblicke der Reichshaupt- und Residenzstadt, die unter der glorreichen Regierung Seiner Majestät unseres allergnädigsten Kaisers neuerstanden und groß geworden ist. Stets wollen wir eingedenk sein des besonderen Wohlwollens unseres geliebten Monarchen und innig festhalten an dem Bande, das die Völker Oesterreichs mit der erlauchten Dynastie des Hauses Habsburg-Lothringen verbindet.
Gott schütze das ruhmvolle Fürstengeschlecht Habsburg-Lothringen!
Hoch lebe sein erlauchter Sprosse:
Kaiser Franz Josef I. und das gesammte Kaiserhaus! (ebd.)
Kritik an der Geringschätzung Polens
Auf diese als beleidigend empfundene Geringschätzung des Anteils König Sobieskis und der polnischen Truppen am Sieg von 1683 reagierte der polnische Priester und Reichstagsabgeordnete Jan Chelmecki mit der Schrift „König Johann Sobieski und die Befreiung Wiens. Eine kritische Abhandlung anlässlich der zweiten Säcularfeier des am 12. September 1683 erfolgten Entsatzes von Wien“. Darin kritisierte er sowohl den Text der Kahlenberger Gedenktafel als auch die „untergeordnete Stelle“, an der Sobieskis Standbild am Türkenbefreiungsdenkmal im Stephansdom angebracht werden sollte:
Wenn jedoch in der Stefanskirche zu Wien anlässlich dieser Säkularfeier ein Denkmal errichtet werden soll, auf welchem dem Polenkönige eine ganz untergeordnete Stelle angewiesen wurde; wenn ferner der Wiener Gemeinderath zu einer am Kahlenberge aufzustellenden Gedenktafel eine Inschrift decretirt, welche weder den König Sobieski, noch die polnische Armee im geziemenden, wahrheitsgetreuen Lichte erscheinen lässt: so muss man fürwahr sehr bedauern, dass die Urheber solcher Veranstaltungen sich über offenbare historische Thatsachen mit Geringschätzung hinwegsetzen, dadurch sich selbst herabwürdigen und den Beweis liefern, dass ihnen die momentane Zeitströmung höher steht, als das hehre Gefühl der Dankbarkeit einer Stadt gegen ihren Befreier und Erretter in der Noth. (Chelmecki 1883: 29f.)
Wie der heutige Rektor der St. Josefskirche, der gebürtige Pole Pater Jerzy Smolinski, jedoch angesichts dieser Reden und Schriften von 1883 zu folgender Aussage kommt, ist daher schwer nachvollziehbar: „Anläßlich dieser Feier unterstrich der Wiener Bürgermeister Uhl die herausragende Rolle des polnischen Königs Johann III. Sobieski“ (Smolinski 1998: 15).
Drei bürgerliche Siegeszeichen
Die an der Hauptfront der St. Josefskirche am Kahlenberg angebrachte und am 11. September 1883 enthüllte Gedenktafel ist eines der ältesten, noch erhaltenen Denkmäler, das von der bürgerlich-liberalen Wiener Stadtverwaltung initiiert worden ist. Am 12. September, dem Jahrestag des Entsatzes von Wien 1683, legte die liberale Stadtregierung den Schlussstein des neuen Wiener Rathauses, das an jenem Ort errichtet worden war, “auf welchem einst die Bürger Wiens wetteifernd an Tapferkeit mit der Besatzung für Kaiser und Reich ausgeharrt hatten.” (Zeissberg 1888: 97) Das Liebenberg-Denkmal konnte als weiteres Zeichen der Verwendung des Türkensieges von 1683 für Zwecke liberaler Politik erst 7 Jahre später, am 12. September 1890, vor der Mölkerbastei (entlang der Ringstrasse) feierlich enthüllt werden (Feichtinger 2010: 113–114).
Literatur
Literatur
Chelmecki, Johann (1883): König Johann Sobieski und die Befreiung Wiens.
Eine kritische Abhandlung anlässlich der zweiten Säcularfeier des am 12. September 1683 erfolgten Entsatzes von Wien. Wien.
Feichtinger, Johannes (2010): „Auf dem Zauberhaufen“. Der Burgravelin und die Funktionalisierung des Gedächtnisses an den Entsatz Wiens von den Türken 1683, in: ÖZKD. Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege, Jg. 64, Heft 1–2 (Sonderheft: Wiener Stadt- und Burgbefestigung, konzipiert und koordiniert von Markus Jeitler, Richard Kurdiovsky, Anna Mader-Kratky), 108–115. (Hierbei handelt es sich um die verbesserte und erweiterte Fassung dieses online-Artikels)
Karigl, Helmut (1981): Die Kulturpolitik der Stadt Wien in der franzisko-josephinischen Zeit (1848–1916). Phil.Diss. Universität Wien.
Smolinski, Jerzy (1998): Kahlenberg. Kirche St. Josef. Lublin.
Truxa, Hans Maria (1891): Die Kirche mit der Gedenktafel auf dem Kahlenberge bei Wien. In: Erinnerungs-Denkmäler der Befreiung Wiens aus der Türkennoth des Jahres 1683. Wien, 17–25.
Truxa, Hans Maria (1891): Die Kirche mit der Gedenktafel auf dem Kahlenberge bei Wien. In: Oesterreichisches Jahrbuch. Für den österreichischen Volksschriften-Verein, hg. und geleitet von Frhr. v. Helfert. 15. Jg. Wien, 263–271.
Uhl, Eduard (1883): Ansprache des Bürgermeisters Eduard Uhl anläßlich der feierlichen Enthüllung der Gedenktafel auf dem Kahlenberg am 11. September 1883. Wien.
Wiener Zeitung/ Abendpost (11.09.1883): Säcularfeier der Stadt Wien, 1–3, 18.08.2009.
Zeissberg, Heinrich von (1888): Historische Uebersicht. In: Wien 1848–1888. Denkschrift zum 2. December 1888, hg. vom Gemeinderathe der Stadt Wien. Band 1. Wien, 1–106.