Stiftsplatz 1, Klosterneuburg, Karte

Text: Simon Hadler

Während der Zweiten Wiener Türkenbelagerung im Jahr 1683 wurde auch Klosterneuburg mehrmals angegriffen. Die Organisation der erfolgreichen Verteidigung der befestigten Oberen Stadt lag dabei anfangs in den Händen des Laienbruders Marzellin Ortner. An die Ereignisse erinnern einige bildliche Darstellungen im Stift, etwa ein Deckenfresko in der Basilika von Johann Georg Greiner (um 1689) oder ein Gemälde von Johann Till d. J. (1851) im Roten Salon.

Die Verteidigung Klosterneuburgs 1529

Die Verteidigung Klosterneuburgs 1529

Bereits im Zuge der Ersten Wiener Türkenbelagerung hatte die Stadt einige Angriffe zu überstehen. Während der Konvent mit Propst Georg Hausmanstetter an der Spitze mitsamt dem Kirchenschatz nach Passau geflohen war, organisierten der Stiftshofmeister Hans Stolbrokh und der königliche Regimentsrat Melchior von Lamberg die Verteidigung der Oberen Stadt. Diese konnte gehalten werden, die umliegenden Siedlungen mussten jedoch wegen fehlender Befestigung den Plünderungen der osmanischen Truppen überlassen werden. Als die Chorherren im November wieder in ihr Stift zurückkehren wollten, verweigerte ihnen Melchior den Einlass und verlangte die Entlohnung seiner Söldner. Erst nach der Intervention König Ferdinands wurde der Streit beigelegt. (Stadtgemeinde Klosterneuburg 1992: 228) An Stolbrokh und Lamberg erinnern heute zwei Straßenbezeichnungen in Klosterneuburg.

Die Verteidigung Klosterneuburgs 1683

Die Ereignisse des Jahres 1683 werden bis heute weit mehr erinnert als jene zur Zeit der Ersten Wiener Türkenbelagerung. Das liegt hauptsächlich an der besseren Quellenlage. Zu erwähnen ist hier vor allem der so genannte „Wahrhafte Bericht“ des Kupferstechers Johann Martin Lerch (1643–1693), welcher noch 1684 veröffentlicht wurde und einen Kupferstich enthält, der das belagerte Klosterneuburg darstellt. (Lerch 1684) Auch ein Brief, den der Priesters Wilhelm Lebsaft (1656–1683) während der Belagerung an Propst Sebastian Mayr schrieb, zählt dazu. (Černik 1933)

Wie schon 1529 floh auch dieses Mal praktisch der gesamte Konvent vor den sich nähernden osmanischen Truppen. Allein der Tischler und Laienbruder Marzellin Ortner (1629–1692) sowie der erwähnte Lebsaft verblieben im Stift und begannen mit der Organisation der Verteidigung. Erst wurden an die Bediensteten des Stifts Offizierschargen vergeben, wobei der Rentschreiber Bartholomäus Widmann den Rang eines Hauptmannes einnahm. Dann wurde die Bevölkerung zusammengerufen, vereidigt und mit Waffen ausgerüstet. Außerdem wurde die dem hl. Leopold geweihte Kriegsfahne des Stifts, welche bereits 1529 im Einsatz stand, zu Ehren der hl. Dreifaltigkeit, der Mutter Gottes und des hl. Leopold geschwungen (Stadtgemeinde Klosterneuburg 1992: 240) und dreimal täglich zum Gebet gerufen. Lerchs Bericht zufolge soll die Fahne den Gegner jedes Mal in die Flucht geschlagen haben und während des Gebets sei kein einziger Schuss von den Osmanen abgegeben worden. (Lerch 1684: 6)

Ein erster Angriff erfolgte am 17. Juli. Dabei wurde die Untere Stadt in Brand gesteckt, der Funkenflug gefährdete jedoch auch die Oberstadt. Am folgenden Morgen kümmerten sich daher Ortner und Lebsaft um das Vermauern der Fenster. Weil auch Hauptmann Widmann wegen eines Gichtanfalls im Bett lag, verbreitete sich in der Bevölkerung das Gerücht, man hätte sie im Stich gelassen. 350 Menschen sollen daraufhin geflohen sein, ehe sich Ortner und Lebsaft wieder sehen und den Eid erneuern ließen. Bevor am 26. Juli der nächste große Angriff abgewehrt wurde, bekamen die Verteidiger eine vom Herzog von Lothringen gesandte Verstärkung und Munition. Als Dank sandte man ihm drei Türkenköpfe, einen vierten behielt man sich für die Stadtmauer. Am 8. August besiegte Oberst Donat von Heißler mit seinen Dragonern eine osmanische Abteilung und brachte als Beute unter anderem 248 Kamele in die Stadt. Auch in den nächsten Wochen gelangen Heißler mehrere Erfolge gegen den Gegner. Am 12. August traf der vom Herzog von Lothringen zum Stadtkommandanten ernannte Generalwachtmeister Graf Vecchio in Klosterneuburg ein, auch eine Abteilung polnischer Soldaten unterstützte in weiterer Folge die Verteidiger. Solcherart verstärkt, konnten sämtliche Angriffe bis hin zum letzten am 8. September erfolgreich abgewehrt werden.

Frühe Darstellungen der Ereignisse

Bis heute gilt der Bericht des Kupferstechers Johann Martin Lerch als die wichtigste Quelle über den Sommer 1683 in Klosterneuburg. Darin enthalten sind nicht nur der Ablauf der Ereignisse, sondern auch mit diesem verbundene Legenden. So erzählt Lerch davon, von den Osmanen geflohene Gefangene hätten berichtet, den angreifenden Truppen sei „[…] so offt sie an Closterneuburg gesetzet / ihnen aus der Lufft ein alter Eyßgrauer Mann mit einem blauen Kleyd angethan / entgegen kommen […]“. Es habe sich bei ihm nur um den hl. Leopold gehandelt haben können. (Lerch 1684: 9) Außerdem sei jener Stall, in welchem die landesfürstlichen Jagdhunde untergebracht waren, überraschenderweise nicht abgebrannt und die Hunde hätten, obwohl sie neun Tage lang nicht versorgt worden waren, überlebt. Daraus entwickelte sich die – bei Lerch nicht erzählte – Legende, es habe sich um die Jagdhunde des hl. Leopold gehandelt, welche schon im Gründungsmythos des Stifts, der so genannten Schleierlegende, eine entscheidende Rolle spielten.

Lerch war jedoch nicht nur mit seinem Bericht einflussreich, sondern ebenso mit der dazugehörigen bildlichen Darstellung. Sein Kupferstich zeigt die befestigte Obere Stadt mit dem Stift sowie die umliegenden brennenden Siedlungen aus östlicher Richtung. Es stellt mehrere, an unterschiedlichen Tagen stattgefundene Angriffe dar und erklärt sie in einer unten angefügten Legende. Wahrscheinlich diente das Bild als Vorlage – und nicht umgekehrt – für ein kurz nach 1683 geschaffenes Ölgemälde eines unbekannten Künstlers, welches sich heute im Stiftsmuseum befindet. (Stadtgemeinde Klosterneuburg 1983: 109)

Beeindruckender war die stiftseigene Interpretation der Ereignisse. Im Zuge der barocken Ausgestaltung des Innenraums der Stiftskirche fertigte Johann Georg Greiner unter anderem ein monumentales Deckenfresko (um 1689). Es zeigt im Vordergrund eine Kampfszene, in welcher osmanische Soldaten niedergemacht werden und wortwörtlich aus dem Bild fallen. Links oben schwebt die hl. Maria, das im Hintergrund dargestellte Stift beschützend. Es war also die Madonna, der nicht nur die Kirche geweiht war, sondern der Klosterneuburg auch die Rettung verdankte. Diese Interpretation stellt einen Gegensatz zu jener in Lerchs Bericht dar, nach welcher die Erscheinung des hl. Leopolds die Angreifer vertrieben habe.

Im Marmorsaal des Stifts lassen sich weitere „Türken“ finden, nämlich als Elemente des Deckenfreskos (1749) von Daniel Gran (1694–1757). Der Künstler stellte darin „ehre, ruhm und majestät des hauses Österreich [dar; S.H.], welche schon im Babenbergischen stamme angefangen, im Habsburgischen hause mehr erhöht und im Lotharingischen befestigt ward.“ (Knab 1977: 265) Eine der darauf abgebildeten Gruppen zeigt den Herzog Leopold V. mit dem rot-weiß-roten Bindenschild, umgeben von heidnischen Gefangenen. Auch wenn es sich dabei nicht um sie handelt, so erinnert die Darstellung doch an die vor nicht allzu langer Zeit zurückgeschlagenen Osmanen. Die Erinnerung an sie verbindet sich mit dem Thema des Bildes – die Tapferkeit des Hauses Österreich und der Sieg des Christentums.

Das 19. Jahrhundert entdeckt die Helden von 1683

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts änderte sich die Art der Darstellung der Ereignisse von 1683. Während etwa der Kupferstich Johann Martin Lerchs und auch das Deckenfresko von Johann Georg Greiner keine der handelnden Personen erkennen ließen, wurden sie nun zu Helden erkoren. Das galt vor allem für Marzellin Ortner, der bereits 1816 in Franz Sartoris (1782–1832) „Pantheon denkwürdiger Wunderthaten volksthümlicher Heroen und furchtbarer Empörer des österreichischen Gesamt-Reiches“ einging. (Sartori 1816: 3–43) Der spätere Professor an der Wiener Kunstakademie Peter Johann Nepomuk Geiger (1805–1880) widmete dem Thema eine Federlithographie (etwa 1845) als Teil der Serie „Bilder aus Geschichte und Sage des Erzherzogthums Oesterreich“. (Telesko 2008: 34) Es zeigt eine Szene nach Ende der Belagerung:

Der Chorherr Wilhelm Lebsaft verbindet einem Soldaten den Arm, rechts im Eck liegt ein gefallener türkischer Kämpfer. Marzellin Ortner, in unerschütterlichem Gottvertrauen stehend, wird von jubelndem Volk umringt, eine Mutter hält ihm ihr Kind zum Segen entgegen. (Holubar/Huber 1996: 168)

Wenig später stand Ortner in einem weiteren Bild im Mittelpunkt. Es zeigt den Laienbruder mit erhobenem Schwert mitten im Kampfgetümmel, hinter ihm ist die Stiftskirche zu erkennen. Die Darstellung erschien im „Oesterreichischen Volkskalender von 1847“. (Vogl 1847: 224) Dessen Herausgeber Johann Nepomuk Vogl (1802–1866) widmete dem Verteidiger Klosterneuburgs auch eine Ballade. Darin wurde Marzellin Ortner zum Erzengel Michael:

Da aber wie Sanct Michael
Mit Schild und Schwert erscheint Marcell.
Zurück, dem noch sein Leben werth,
In meiner Hand blitzt Gottes Schwert!
[…]
Doch wo Gefahr, da ist sogleich
Marcell mit seinem Cherubsstreich,
Bald hier, bald da, wie Windesweh’n,
Sie glaubten zehn Marcell zu seh’n.
[…]
Doch auf Geröll und Leichenwust
Auf’s Neue Held Marcellus fußt,
Und schwingt das Schwert mit solcher Kraft,
Daß drob der Feinde Wuth erschlafft, […].
(Vogl 1847: 224–226)

Den Höhepunkt solcher heroisierender Geschichtsdarstellung stellte das Gemälde „Marzellin Ortner verteidigt Klosterneuburg“ (1851) von Johann Till (zumeist wird von Till dem Jüngeren (1827–1894) ausgegangen) dar. (Holuber/Huber 1997: 169) Die Szene erinnert an das Bild in Vogls Volkskalender, ebenso lehnt es sich an Leander Russ’ (1809–1864) Gemälde „Sturm auf die Löwelbastei“ (1837) an. (ebd.) Im dichten Kampfgetümmel vor dem Hintergrund der Türme der Stiftskirche und der Festungsmauer sieht man Ortner im direkten Kampf mit einem osmanischen Krieger. Hinter ihm ist mit Lebsaft der zweite Protagonist der Erzählung zu erkennen, wie er mit der rechten Hand das Kreuz hochhält. Dieses den Abwehrkampf verherrlichende Historiengemälde befindet sich gegenwärtig im Roten Salon in der Prälatur des Stifts, ein äußerst exklusiver Ort, der von gewöhnlichen Besuchern des Klosters nicht betreten werden kann.

Das Stift und die Jubiläumsfeiern

Das Stift und die Jubiläumsfeiern

Die Erinnerung an 1683 wurde im Stift Klosterneuburg vor allem über die genannten bildlichen Darstellungen aufrecht erhalten. Deren Platzierung an zum Teil besonders symbolträchtigen Orten (Roter Salon, Basilika) steht in einem augenfälligen Gegensatz zur Zurückhaltung, mit welcher die runden Jubiläen begangen wurden. Zur 100-Jahr-Feier gab es beispielsweise nur einen am 7. September 1783 abgehaltenen Festgottesdienst. (Stiftsarchiv, Handschrift 234: 174) Auch 1883 wird von keiner größeren Feierlichkeit berichtet, allein eine Armenbeteilung fand aus Anlass des Jubiläums statt. (Stiftsarchiv Kart. 2466) Erst als die Stadt Klosterneuburg im Jahr 1933 die Grundsteinlegung des Türkenbrunnens feierte, beteiligten sich auch Mitglieder des Konvents daran, etwa Generalabt Josef Kluger oder der eine Gedenkschrift herausgebende Berthold Černik. Den Großteil dieser Schrift machten übrigens ein Neudruck des „Wahrhafften Berichts“ von Johann Martin Lerch und der während der Belagerung verfasste Brief des Priesters Wilhelm Lebsaft an Probst Sebastian Mayr aus.

Auch im Jahr 1983 unterstützte das Stift die kommunalen Initiativen, etwa durch Leihgaben für die Jubiläumsausstellungen oder in Person des Chorherren, Stiftsbibliothekars und –archivars Floridus Röhrig (geb. 1927), der sich aktiv an der Gestaltung der Ausstellungen und des dazugehörigen Katalogs beteiligte. Doch insgesamt stellt sich der Eindruck ein, dass das Stift niemals den Versuch unternommen hat, das Jahr 1683 eigenständig zu inszenieren. Der Eindruck wird verstärkt, wenn man bedenkt, mit welchem Aufwand andere Jahrestage begangen wurden, etwa der vom Ständestaat instrumentalisierte 800. Todestag des hl. Leopolds im Jahr 1936 (Stadtgemeinde Klosterneuburg 1992: 282f) oder das 400-Jahr-Jubiläum der Heiligsprechung desselbigen 1885. Beide Feierlichkeiten lagen in zeitlicher Nähe zu den Türken-Jubiläen, da sie jedoch für das Selbstverständnis des Klosters mehr Bedeutung hatten, wurde ihnen der Vorrang eingeräumt.

Ganz unwesentlich für das eigene Geschichtsbild dürfte das Jahr 1683 aber dennoch nicht sein. So behandelte die Sonderausstellung „Die Krone des Landes“ im Stiftsmuseum im Jahr 1996 auch die Türkenbelagerung (Holubar/Huber 1996: 166–169), obwohl diese mit dem Thema wirklich nur sehr entfernt zu tun hatte.

Literatur

Literatur

Černik, Berthold (1933): Klosterneuburg im Jahre 1683. Eine Gedenkschrift. Klosterneuburg.

Holubar, Karl; Huber, Wolfgang Christian (1996): Die Krone des Landes. Klosterneuburg.

Knab, Eckhart (1977): Daniel Gran. Wien, München.

Lerch, Johann Martin (1684): Warhaffter Bericht / Was sich Zeit-wehrend – Türckischer Belägerung der Kayserlichen Haupt-und Residenz-Stadt Wienn / Anno 1683. in und bey dem zwey Meilen davon gelegenen Fürstl. S. LEOPOLDI Stifft Closterneuburg / Biß zu Ende gemeldter Belägerung / Merckwürdiges zugetragen / und wie selbiges / durch die Gnade Gottes / erhalten worden. Wien.

Sartori, Franz (1816): Pantheon denkwürdiger Wunderthaten volksthümlicher Heroen und furchtbarer Empörer des österreichischen Gesammt-Reiches. Zweyter Band. Wien.

Stadtgemeinde Klosterneuburg (Hg.) (1992): Klosterneuburg. Geschichte und Kultur. Band 1 – Die Stadt. Klosterneuburg.

Stadtgemeinde Klosterneuburg (Hg.) (1983): Klosterneuburg 1683. Türkensturm und Verteidigung. 19. Mai bis 2. Oktober 1983. Ausstellungen. Klosterneuburg.

Stiftsarchiv Klosterneuburg, Handschrift 234

Stiftsarchiv Klosterneuburg, Kart. 2466

Telesko, Werner (2008): Kulturraum Österreich. Die Identität der Regionen in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts. Wien.

Vogl, Johann Nepomuk (1847): Marcellus Ortner, der muthige Vertheidiger Klosterneuburgs. In: Oesterreichischer Volkskalender für 1847. Wien. S. 224–226.