Text: Simon Hadler, Silvia Dallinger
Die Frage, ob Pater Marco d’Aviano vor der entscheidenden Schlacht gegen die osmanischen Belagerer Wiens am 12. September 1683 am Kahlenberg oder am Leopoldsberg eine heilige Messe gefeiert hat, mag nebensächlich erscheinen. In Hinblick auf die Herausbildung von Erinnerungsorten und Denkmallandschaften ist sie jedoch bis heute ebenso entscheidend wie umstritten. Es ist nicht zuletzt Berichten aus dem Umfeld König Sobieskis und den Bemühungen polnischer Akteure zu verdanken, dass der Kahlenberg auch noch gegenwärtig seinen Nachbarn in dieser Hinsicht in den Schatten stellt.
Marco d’Aviano und die umstrittene Messe
Im Zentrum der Erinnerung an den Entsatz von Wien stand seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Kahlenberger St. Josefskirche. Der Überlieferung nach soll der Kapuzinerpater Marco d’Aviano dort in den Morgenstunden des 12. Septembers 1683 die heilige Messe gefeiert haben, bei der ihm Jan Sobieski ministrierte. Die anfeuernden und motivierenden Worte d’Avianos an die Soldaten und der von ihm erbetene Segen Mariens sollen maßgeblich zum Sieg beigetragen haben.
So sehr auch der Kahlenberg heutzutage als der zentrale Erinnerungsort an den 12. September 1683 erscheint – das zeigt sich übrigens auch in der Bezeichnung der Schlacht in Sprachen wie Spanisch (Batalla de Kahlenberg) oder Ungarisch (Kahlenbergi csata) –, die Frage nach dem authentischen Ort der heiligen Messe und damit des symbolischen Auftakts zur Entscheidungsschlacht ist bis heute umstritten. Ein Grund dafür ist die 1693 erfolgte Umbenennung der beiden Berge des Kahlengebirges in Kahlenberg und Leopoldsberg.
Namensverwirrung Leopoldsberg – Kahlenberg
Kaiser Leopold I. stiftete 1679 einem Gelübde zur Abwendung der Pest gemäß eine Kapelle auf dem Leopoldsberg, der zu dieser Zeit noch Kahlenberg (auch Callenberg, Kallenberg oder Gal(l)enberg) hieß. Die Umbenennung des Berges in Leopoldsberg erfolgte erst 1693, nachdem Leopold I. die von den Türken 1683 zerstörte Kapelle wieder aufbauen und dem hl. Leopold weihen hatte lassen. Der ursprüngliche Name Kahlenberg wurde auf den benachbarten Josefsberg übertragen. Schon einige Jahrzehnte zuvor hatte es eine Namensänderung gegeben: Die Bezeichnung Josefsberg stammt erst aus dem Jahr 1628, als Kaiser Ferdinand II. auf diesem bis dahin als Sauberg (auch Schweinsberg) bekannten Berg eine Eremie der Kamaldulenser, eines katholischen Ordens, der ursprünglich aus Italien stammte und auch in Polen ansässig war, erbauen ließ. Der heutige Kahlenberg wurde somit nach dem Patron der Kirche St. Josef in Josefsberg umbenannt.
Die Anfänge des Kahlenbergs als Erinnerungsort
Die Anfänge des Kahlenbergs als Erinnerungsort
Die Geschichte des St. Josefskirche am Kahlenberg, deren Bau bereits 1628 angedacht, aber erst 1734 vollendet war, war über Jahrhunderte eine stets sehr unbeständige gewesen und erst nach einem Besitzerwechsel gab es seit 1852 wieder die Möglichkeit für Messfeiern. Die Einweihung fand am 12. September dieses Jahres statt – für den späteren Kaplan der Kirche, Josef Hemberger, war die Wahl des Datums im Nachhinein ganz selbstverständlich mit den Ereignissen des Jahres 1683 und mit der angeblichen Messe an diesem Ort verbunden. (Hamminger 1986: 73) In den Jahren nach der Wiedereinweihung der Kirche fanden immer wieder Gedenkmessen statt, die zumeist von Priestern des Schottenstifts abgehalten wurden, vor allem durch Urban Loritz.
Auch auf anderen Wegen fand die Geschichte von der Befreiungsschlacht zur Mitte des 19. Jahrhunderts vermehrt Verbreitung. Sie wurde das erste Mal von Joseph Führich in seinem 1842 entstandenen Aquarell „Die Messe auf dem Kahlenberg“ dargestellt und fand in den folgenden Jahren auch als Abbildung in Druckwerken Verbreitung. Für den Kunsthistoriker Werner Telesko bringen diese Bilder unmissverständlich die zu jener Zeit mit besonderem Nachdruck propagierte Verbindung von Thron und Altar zum Ausdruck (Telesko 2008: 32f.).
Es kann angenommen werden, dass es vor allem drei Faktoren waren, die dazu führten, dass im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der heutige Kahlenberg immer häufiger mit dem Ort der Messe und damit verbunden mit dem Ausgangpunkt der Entsatzschlacht identifiziert wurde: Die angesprochene Namensverwirrung, die wachsende Bekanntheit der Erzählung von der Messe und schließlich die Reaktivierung der St. Josefskirche für Messfeiern. Als sich im Jahr 1883 die Ereignisse von 1683 zum 200. Mal jährten, wurde am 11. September am Kahlenberg eine Festmesse abgehalten und eine von der Stadt Wien gestiftete Gedenktafel an der Kirche enthüllt. Bürgermeister Eduard Uhl erwähnte in seiner Rede zwar nicht die Messe, doch allein die Wahl des Ortes der Veranstaltung zeigt, wie sehr der Kahlenberg bereits einen Erinnerungsort an das Jahr 1683 darstellte.
Polnische Initiativen
Polnische Initiativen
Die an diesem Tag enthüllte Gedenktafel erwähnt auch König Jan Sobieski sowie die am Kampf beteiligten „polnischen Hilfsvölker“. Dass es überhaupt zu deren – etwas despektierlichen – Nennung kam, lag auch an der Initiative von in Wien ansässigen national gesinnten Polen. Einer ihrer herausragenden Vertreter war der hohe Beamte Pius Twardowski, der in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Gründer und Mitbegründer einer ganzen Reihe polnischer Organisationen der Wiener Diaspora war. Aus den Unterlagen seines Nachlasses geht hervor, dass er sich auch intensiv darum bemüht hatte, dass auf dem Kahlenberg
zur Erinnerung an diesen epochalen Bruch ein Denkmal stünde, das für alle Zeiten Zeugnis dafür ablegen würde, dass die österreichische Hauptstadt hauptsächlich mit der überwiegenden polnischen Hilfe gerettet wurde, ohne deren Entsatz die Stadt vollkommen hilflos geblieben wäre, und sie voll Dankbarkeit an denjenigen denkt, der aus seinem fernen Land zum Schutze des Christentums heraneilte. (Brożek 2011: 40f.)
Zu diesem Zweck suchte er sich unterschiedliche Verbündete, darunter die schon genannten Priester Urban Loritz und Josef Hemberger, ebenso Gustav Benischko, den damaligen Besitzer der St. Josefskirche und ganz besonders Vertreter der zahlreichen polnischen Vereine der Stadt. Zwar gelang es dem von ihm ins Leben gerufenen „Kahlenberger Kirchenverein“ nicht, den Plan eines historischen Denkmals umzusetzen, doch es liegt die Vermutung nahe, dass es auch an seinen Netzwerken lag, dass Benischko die Kirche im Jahr 1906 an den Orden der Resurrektionisten übergab. Möglich wurde dies allerdings erst durch die Weigerung der Stadt Wien unter Bürgermeister Karl Lueger, dem bisherigen Besitzer die Kirche abzukaufen.
Der polnische Orden und die Heroisierung der polnischen Waffentat
Die Ordensgemeinschaft der Resurrektionisten entstand 1836 im Umfeld der polnischen Diaspora in Paris und hatte so bedeutende Mitglieder wie den Historiker Walerian Kalinka oder den Rektor der Krakauer Jagiellonen Universität Stefan Pawlicki unter sich. Aus dem Kontext der Entstehungsgeschichte lässt sich unschwer ein stark ausgeprägtes national-katholisches Verständnis des Ordens erkennen. Die Übernahme der St. Josefskirche durch die Resurrektionisten bot nun ideale Voraussetzungen zur weiteren Ausgestaltung dieses Erinnerungsortes und zwar mit einem verstärkt polnisch-nationalen Einschlag. Ganz besonders forciert wurde ab nun das Gedenken an den polnischen König sowie insbesondere an die von Marco d’Aviano gehaltene Messe vor der Schlacht. Zu diesem Zweck wurde die bisher Schutzengelkapelle genannte Kapelle zu einer Sobieski-Kapelle umgestaltet. Eine nach ihrer Fertigstellung angebrachte Gedenktafel weist sie als den Ort der nämlichen Messe aus. Eine Vielzahl von Bildern, Wappen, Porträts und Artefakten erzählen nicht nur von der Befreiung Wiens, sondern dienen vor allem der Untermauerung des federführenden Anteils von Sobieski und dessen Truppen daran. Zu den zentralen Bestandteilen dieses Narratives gehört auch die Messfeier am Kahlenberg. Eine eigene Tafel mit Zitaten unter anderem vom französischen Ingenieur in Sobiskis Diensten, Philippe Dupont, sowie von Jans Sohn Jakob Sobieski dient dazu, den Kahlenberg als den authentischen Ort dieses Ereignisses hinzustellen. Noch im Jahr 1983 – anlässlich des 300-Jahr-Jubiläums – ließ der Orden der Resurrektionisten eine Gedenktafel zur Erinnerung an die Rettung der Christenheit durch König Sobieski enthüllen.
Der Verlag der Resurrektionisten und der Einsatz für den Kahlenberg als Erinnerungsort
Der Status des Kahlenbergs als zentraler Erinnerungsort an das Jahr 1683 konnte ganz besonders in den 1930er Jahren weiter gefestigt werden. Auch am Ort der fraglichen Messe sollte es keinen Zweifel mehr geben. Exemplarisch für viele andere Beschreibungen steht ein erstmals 1931 im Verlag der Resurrektionisten veröffentlichtes Büchlein über die Geschichte der St. Josefskirche und des Kahlenbergs. Darin schreibt Jakob Kuklinski, der erste von diesem Orden gestellte Rektor der Kirche:
Am 12. September, einem Sonntag, las Marco d’Aviano, der päpstliche Gesandte beim Heer der Verbündeten, vor Sonnenaufgang in der rückwärtigen Sakristei, der jetzigen Sobieski-Kapelle, eine heilige Messe, bei der König Sobieski persönlich ministrierte und mit anderen Heerführern die heilige Kommunion empfing. Nach der heiligen Messe ließ der König seinen Sohn Jakob niederknien und schlug ihn zur Erinnerung an diesen hochwichtigen Tag zum Ritter. Dann begab sich der berühmte Prediger und Abgesandte des Papstes, Marco d’Aviano, auf einen weithin sichtbaren Punkt des Kahlenberges, um im Angesichte aller, das Kruzifix in der Hand, die christlichen Armeen zu segnen und den Sieg über den Halbmond zu erflehen. (Kuklinski/Kaglik 19752: 8f.)
Ebenfalls im Verlag der Resurrektionisten erschien im Jahr 1952 eine kurze Abhandlung über den Kahlenberg mit besonderer Berücksichtigung der Ereignisse im Jahr 1683. (Panek 1952) Über den Autor Guido Panek ist nichts in Erfahrung zu bringen, doch seine Argumente entsprechen der Verlagslinie. Er beruft sich ebenfalls auf die Berichte von Prinz Jakob Sobieski und den französischen Ingenieur Philippe Dupont, deren Zitate sich auch in der Sobieski-Kapelle befinden, sowie auf das 1883 erschienene Geschichtswerk von Victor von Renner. Zu den weniger seriösen Autoritäten, auf die sich Panek bezieht, zählt der nationalsozialistische Wiener Historiker Reinhold Lorenz (vgl. Fellner 2004: 144). Im Wesentlichen geht es dem Autor darum, die Argumente des damaligen Rektors der Leopoldskirche, Vinzenz Oskar Ludwig, der sich verschiedentlich für den Leopoldsberg als den tatsächlichen Ort der Messe ausgesprochen hatte, zu entkräften. Auf Ludwig wird ebenso weiter unten noch näher eingegangen wie auf die Tatsache, dass die Kronzeugen Jakob Sobieski, Dupont und Renner auch nicht über jeden Zweifel erhaben sind.
Nationalkatholische Bemühungen
Nationalkatholische Bemühungen
Doch nicht nur Polen feierten hier die Erinnerung an den Sieg Sobieskis – wie etwa im Zuge des 250-Jahr-Jubiläums 1933. Aufgrund des massiv propagierten d’Aviano-Kultes in den Jahren des österreichischen Ständestaates dienten die Erzählung von der Messe und vom Kahlenberg als deren authentischen Ort auch dem österreichischen politischen Katholizismus als Bühne für seine Veranstaltungen, etwa am Vorabend der Enthüllung des d’Aviano-Denkmals am 9. Juni 1935. Zu dieser Zeit gab es im Zuge des Baus der Höhenstraße auch Pläne für die Errichtung eines Reliefs am Kahlenberg, welches eine Szene der Messe darstellen sollte.
Trotz aller politischen und gesellschaftlichen Brüche in den darauf folgenden Jahrzehnten blieb der Kahlenberg der zentrale Ort des Gedenkens an die Befreiung Wiens von den Osmanen. Als im Jahr 1983 nicht nur ein weiteres rundes Türkensiegjubiläum begangen wurde, sondern – wie auch schon im Jahr 1933 – ein Katholikentag gefeiert wurde, stand erneut der Kahlenberg im Mittelpunkt umfangreicher Feierlichkeiten, als der polnische Papst Johannes Paul II. eine Ansprache hielt und eine Gedenktafel zur Erinnerung an König Sobieski enthüllte. Noch heute sind es besonders polnische Akteure, die am Kahlenberg als dem wichtigsten Erinnerungsort für 1683 festhalten, wie die Grundsteinlegung für eine drei Meter hohe Sobieski-Statue im Jahr 2013 auf Anregung des damaligen Präsidenten Bronisław Komorowski beweist. Die Enthüllung dieses Monuments soll im Jahr 2017 stattfinden.
Patriotisch gesinnte Polen waren spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf unterschiedlichste Arten darum bemüht gewesen, Anerkennung für die Leistungen ihrer Vorväter und ihres Königs auch außerhalb Polens zu erlangen, was nicht immer zu ihrer vollsten Zufriedenheit gelang. In Anbetracht dessen war die Ausgestaltung der St. Josefskirche am Kahlenberg als ein Erinnerungsort ein voller Erfolg. Zum einen erinnert nirgendwo sonst in Europa so vieles an Sobieski und seine Truppen. Zum anderen ermöglichte es die Erzählung von der Messe am Kahlenberg, die St. Josefskirche als den Ausgangspunkt einer der entscheidendsten Schlachten der Weltgeschichte zu konstruieren. Zweifel an der Authentizität des Ortes haben in diesem Narrativ verständlicherweise keinen Platz.
Andere Stimmen
Bestimmt lässt sich die Frage nach dem Ort der Messe nicht auf einen polnisch-österreichischen Gegensatz reduzieren. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass mit Gerda Hagenau und Otto Forst de Battaglia zwei prominente „Vermittler zwischen den Kulturen“ (Dybaś/Forst-Battaglia/Huszcza 2011), die sich intensiv mit Sobieski und dem Jahr 1683 auseinandergesetzt haben, zu diesem Punkt nicht klar Stellung genommen haben. (Hagenau 1983; Forst de Battaglia 1982) Andere, nicht-polnische Wissenschaftler, zeigten sich wiederum vom Kahlenberg als dem Ort der heiligen Messe am Morgen der Schlacht überzeugt. Die Historikerin Kerstin Tomenendal etwa argumentiert mit der Nähe des Lagers von Sobieski zu den Ruinen des Kamaldulenserklosters für den Kahlenberg als Ort der Messe. (Tomenendal 2000: 252) Der Archäologe Otto H. Urban erinnert daran, dass dieses Kloster schon davor polnischen Pilgern auf dem Weg nach Rom als Quartier gedient hatte und es daher wahrscheinlich sei, dass der polnische König hier nicht nur übernachtet, sondern auch mit Pater d’Aviano an diesem Ort die Messe gefeiert habe. (Urban 1999: 18) Auch der freie Historiker Johannes Sachslehner spricht sich aufgrund militärstrategischer Überlegungen für den Kahlenberg aus. (Sachslehner 2006: 267)
Demgegenüber stehen Traditionen der habsburgischen und Wiener Geschichtsschreibung. In Anton Zieglers „Vaterländischer Bilder-Chronik“ aus dem Jahr 1846 las d’Aviano auf dem Leopoldsberg die Messe (Ziegler 1846: 151) und Vertreter verschiedener Generationen Wiener Stadthistoriker wie Matthias Fuhrmann oder Gottfried Uhlich vertraten denselben Standpunkt. Felix Czeike konnte in seinem fünfbändigen Historischen Lexikon der Stadt Wien schließlich kurz und bündig konstatieren, dass „die hist. Messe, die Marco d’Aviano 1683 feierte u. bei der Sobieski angebl. ministrierte, in der alten Georgskapelle auf dem Leopoldsberg gelesen wurde.“ (Czeike 1994: 414)
Der Einsatz zweier Priester für den Leopoldsberg: V. O. Ludwig und J. D. Hamminger
Für die meisten Historiker hatte die Beantwortung dieser Frage keine herausragende Priorität, ganz im Gegensatz zu zwei für die Kirche am Leopoldsberg zuständige Priester: Vinzenz Oskar Ludwig (1875–1959), Stiftsbibliothekar in Klosterneuburg sowie Gymnasiallehrer und Konservator im Bundesdenkmalamt, war von 1938 bis 1959 Rektor der Kirche am Leopoldsberg; einer seiner Nachfolger war Josef Dominicus Hamminger (1920–2014), der die Kirche zwischen 1979 und 1999 betreute. Beide traten mit großer Vehemenz für die Ehrenrettung „ihres“ Berges ein.
Ludwig engagierte sich für den Wiederaufbau der im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigten Kirche, war Präsident und Mitbegründer der „Gesellschaft zur Erforschung, Förderung und zum Schutze der beiden Wiener Hausberge“ und publizierte eine Vielzahl von Schriften insbesondere zur Geschichte des Leopoldsbergs. Darüber hinaus war er an den Planungen für das Heimkehrer-Gedächtnismal am Leopoldsberg beteiligt und verfasste anlässlich dessen Enthüllung am 12. September (!) 1949 auch eine Gedenkschrift. (vgl. Klambauer 2004: 103) Ähnlich wie der katholisch-konservative Schriftsteller Richard von Kralik vor ihm, der an diesem Ort eine gigantische Ruhmeshalle errichten wollte, sah auch Ludwig im Leopoldsberg einen zentralen, jedoch allgemein verkannten Erinnerungsort der österreichischen Geschichte. Sein in mehreren Schriften ausgetragener Kampf um den wahren Ort der d’Aviano-Messe diente allem Anschein nach dazu, dem Leopoldsberg zumindest ein kleines Stück Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen. In seinen Texten listete er zumeist Zitate anderer Geschichtsschreiber auf und kam so zu dem Ergebnis, dass sich der Irrtum von Kahlenberg als Ort der Messe erst seit Beginn des 20. Jahrhundert ausgebreitet habe. Verantwortlich dafür seien nicht zuletzt die 1883 angebrachte Gedenktafel an der St. Josefskirche am Kahlenberg sowie die Errichtung der Sobieski-Kapelle ebendort. (Ludwig 1955: 28f.) Seine Anstrengungen trugen insofern Früchte, als seit 1958 an der Außenwand der Kirche am Leopoldsberg eine Tafel an die angebliche Messe d’Avianos erinnert. Doch trotz dieser Initiative stand der Leopoldsberg weiterhin im Schatten des Kahlenbergs.
Hammingers Gründe gegen die Kahlenberg-Theorie
Hammingers Gründe gegen die Kahlenberg-Theorie
Josef Dominicus Hamminger setzte die Arbeit seines Vorgängers fort. Die Öffentlichkeit seiner Recherchearbeit blieb zwar sehr beschränkt, er hinterließ jedoch eine umfangreiche Sammlung von kommentierten Belegen und Zitaten. (Hamminger 1983) Gegen die Kahlenberg-Theorie führt er im Wesentlichen die folgenden Argumente ins Feld:
Erstens sucht Hamminger in seinen Quellen und Berichten nach Hinweisen auf die Leopoldskapelle und findet eine ganze Reihe davon. Dazu zählen Berichte des Nuntius am Kaiserlichen Hof oder des Venezianischen Botschafters aus dem Jahr 1683 (ebd. 4) sowie einige der wesentlichen Werke nachfolgender Generationen von Geschichtsschreibern. Dazu zählt etwa der Theologe Matthias Fuhrmann, der davon schreibt, dass „der fromme Capuciner P. Marcus d’Aviano in der St. Leopolds=Capellen aufm Gallen=Berg das Ambt der H. Messe“ hielt. (Fuhrmann 1739: 1095) Auch Gottfried Uhlich (1783) oder Joseph Freiherr von Hormayr (1823) nennt er als seine Zeugen.
Zweitens geht er den beiden wichtigsten Belegquellen der Kahlenberg-Theorie nach, den Tagebüchern des polnischen Prinzen Jakob Sobieski und dem Bericht des französischen Ingenieurs Philippe Dupont, die sich beide in Ausschnitten in der Sobieski-Kapelle der St. Josefskirche befinden. Die Tagebücher des damals 16jährigen Prinzen erachtet er gerade in Hinblick auf Ortsbezeichnungen und Namen als äußerst fehlerhaft. Die darin erwähnte Kapelle deute vielmehr auf jene dem hl. Leopold geweihte hin als auf die erst viel später errichtete Schutzengelkapelle (Hamminger 1983: 17). Erstmalig wurden die Tagebücher erst 1883 aus der lateinischen in die polnische Sprache übersetzt, doch bei weitem nicht alle Fehler seien dabei korrigiert worden. (ebd. 18)
Auch den Wert des Berichts von Philippe Dupont zweifelt Hamminger an. So sei der Bericht erst über vierzig Jahre nach den Ereignissen geschrieben worden und ausgerechnet am 11. und 12. September sei Dupont nicht an der Seite Sobieskis und daher auch nicht bei der Messe anwesend gewesen. (ebd. 21A)
Als seinen Hauptzeugen nennt Hamminger schließlich noch Marco d’Aviano selbst. Dieser habe Kaiser Leopold darum gebeten, die dem hl. Leopold geweihte Kirche wieder zu errichten und ein Marienbild mit dem Titel „Hilfe der Christen“ anfertigen zu lassen. Darin schreibt er: „Der Callenberg ist der Ort, wo eure kaiserliche Majestät zuerst die Hilfe des Himmels erfahren haben.“ Auch ohne die Erwähnung der Messe kann es für Hamminger keinen besseren Beweis als diesen geben. (ebd. 24)
Das Jubiläum im Jahr 1883 als Wendepunkt
Das Jubiläum im Jahr 1883 als Wendepunkt
Natürlich verfolgten auch Ludwig und Hamminger eine eigene Agenda, besonders bei ersterem wurde dies durch seine publizistische Tätigkeit und seine Aktivitäten in der „Gesellschaft zur Erforschung, Förderung und zum Schutze der beiden Wiener Hausberge“ deutlich. Doch das gilt für die – vor allem polnischen – Vertreter der Kahlenberg-Theorie genauso. Worin die Ergebnisse Ludwigs und Hammingers jedenfalls übereinstimmen, ist, dass es sich erst seit Ende des 19. Jahrhunderts durchzusetzen schien, die d’Aviano-Messe sei am heutigen Kahlenberg gefeiert worden. Hamminger nennt unter anderem die 1883 erfolgte polnische Übersetzung der Tagebücher von Jakob Sobieski, Ludwig erwähnt das anlässlich des 200jährigen Jubiläums vom Wiener Gemeinderat in Auftrag gegebene – und durch diesen quasi-offiziösen Charakter auch entsprechend weit verbreiteten – Werk des Gymnasiallehrers Victor von Renner als Ausgangspunkt des „historischen Irrtums“ (Ludwig 1955: 28). Renner geht in einer Fußnote auf die Frage nach dem Ort der Messe ein: Er stellt zwar fest, dass „einzelne Berichte“ von der Leopoldskapelle schreiben, geht aber nicht weiter darauf ein, sondern beruft sich im Wesentlichen auf zwei „Teilnehmer an dem Gottesdienste“ – Prinz Jakob und Philippe Dupont. (Renner 1883: 428f.)
Zwei unterschiedliche Denkmallandschaften
Zwei unterschiedliche Denkmallandschaften
Die Ergebnisse der beiden Priester finden ihren Ausdruck auch in der Denkmallandschaft der beiden Berge. Seit dem 200-Jahr-Jubiläum im Jahr 1883 gab es auf dem Kahlenberg eine stetig wachsende Anzahl an Denkmälern. Für den Leopoldsberg hingegen gab es eine Reihe von Plänen, viele davon hatten mit dem Jahr 1683 nichts zu tun und überhaupt wurden die meisten von ihnen nicht realisiert. Die Errichtung jener, die an die Ereignisse rund um die Türkenbelagerung erinnern, passierte nur langsam und lange Zeit ohne aufsehenerregende Zeremonien.
Ein Überblick – Denkmäler am Kahlenberg
Ein Überblick – Denkmäler am Kahlenberg
• 1883/1895 (nicht realisiert): Entsatz-Denkmal, zuerst auf Vorschlag der Bürgervereinigung Liebenberg, später griff der Kahlenberger Kirchenverein die Idee erneut auf
• 1883: Gedenktafel über dem Hauptportal der St. Josefskirche, von der Stadt Wien gestiftet und am 11. September im Rahmen einer Gedenkfeier enthüllt.
• 1931: Sobieski-Kapelle in der St. Josefskirche, Einweihung am 28. Mai, finanziell unterstützt unter anderem vom polnischen Konsulat; an der Feier nahmen beispielsweise Bundespräsident Wilhelm Miklas, einige Minister und der päpstliche Nuntius teil;
Auswahl an Denkmälern in der Kapelle:
- Marmortafel über dem Eingang zur Erinnerung an die heilige Messe durch Pater Marco d’Aviano am 12. September 1683.
- Altarbilder von Jan Henryk Rosen, auf einem ist eine Szene der Messe dargestellt
- Sobieski-Statue
- Die Sakristei der St. Josefskirche als Museum, u.a. mit Feldherrenportraits, eine Kopie des Gemäldes von Jan Matejko „Sobieski vor Wien“, diverse Artefakte aus der Zeit der „Türkenkriege“, eine Kopie des Tagebuchs von Prinz Jakob Sobieski, zeitgenössische Stiche von der Schlacht am 12.September; außerdem hängen im Vorraum zur Sakristei verschiedene Schautafeln
- In der Kirche befindet sich außerdem eine Kopie der besonders in Polen sehr verehrten Schwarzen Madonna von Tschenstochau
• Mitte der 1930er (nicht realisiert): Bronzerelief der d’Aviano-Messe im Zuge des Baus der Höhenstraße
• 1937 (nicht mehr existent): Temperamalerei von Leopold Schmidt im Speisesaal des Kahlenbergrestaurants, welches die Feldherren von 1683 zeigt (Tomenendal 2000: 253)
• 1938 (nicht realisiert): Bronzerelief im Rahmen des von den Nationalsozialisten ausgerufenen Wettbewerbs unter dem Titel „Der Kampf des Deutschtums gegen den Osten“, der Siegerentwurf von Hans Andre und Oswald Haerdtl zeigte u.a. eine türkische Fahne mit einem Davidstern darüber
• 1960: Relief gegenüber der St. Josefskirche von Heinz Leinfellner, im Auftrag der Gemeinde Wien
• 1983: Gedenktafel neben dem Eingang zur St. Josefskirche zur Erinnerung an Jan Sobieski von Rudolf Friedl, von den Priestern der Resurrektionisten gestiftet
• 1983: Gedenktafel für Papst Johannes Paul II., der am 13. September 1983 die St. Josefskirche besucht hatte
• 1999: Gedenktafel an die 1983 gefallenen rumänischen Soldaten, errichtet von der rumänischen Akademie (Tomenendal 2000: 252)
• 2017?: Sobieski-Statue, 2013 fand die Grundsteinlegung auf Anregung des damaligen polnischen Präsidenten Bronisław Komorowski statt; das drei Meter hohe Monument soll der vor allem für seine zahlreichen Denkmäler für Papst Johannes Paul II. bekannte Bildhauer Czesław Dzwigaj gestalten
Ein Überblick – Denkmäler am Leopoldsberg
Auch auf dem Leopoldsberg finden sich zahlreiche Denkmäler und noch mehr wurden geplant. Die Erinnerung an 1683 geriet, verglichen mit dem Kahlenberg, erst recht zögerlich in das Zentrum der Aufmerksamkeit. Geplant oder gar ausgeführt wurden stattdessen:
• eine monumentale „Volksversöhnungswarte“ u.a. zur Erinnerung der im Weltkrieg Gefallenen (1927, nicht realisiert)
• eine Relieftafel zur Erinnerung an Friedrich Ludwig Jahn zu dessen 150. Geburtstag (1928)
• ein Denkmal für den österreichischen unbekannten Soldaten (1932, nicht realisiert)
• ein riesiges „Dollfuß-Kreuz“ aus Stahl zur Erinnerung an dem Tod des Kanzlers (nicht realisiert)
• ein von den Nationalsozialisten geplantes Denkmal für Walter von der Vogelweide (nicht realisiert)
• eine Marmortafel an der Mauer der Burganlage mit einem Ausspruch Adolf Hitlers als Inschrift: „Diese Stadt ist in meinen Augen eine Perle, ich werde sie in jene Fassung bringen, die dieser Perle würdig ist“ (1938 enthüllt, 1945 demontiert). (Klambauer 2006: 75f.)
An die Ereignisse im Jahr 1683 erinnern folgende geplante und realisierte Denkmäler auf dem Leopoldsberg:
• 1693: Gnadenbild „Maria Türkenhilfe“ in der Leopoldskirche, von Kaiser Leopold I. auf Empfehlung von Pater Marco d’Aviano in Auftrag gegeben
• 1882/1903 (nicht realisiert): Ruhmeshalle, eine Wartburg österreichischer Geschichte, eine Initiative von Richard von Kralik
• 1915 (nicht realisiert): Kriegerdenkmal für die „Gefallenen Helden des Weltkriegs 1914–15“ mit dem Titel „Leopoldsberg 1683“ von Friedrich Ohmann
• 1948: Heimkehrer-Gedächtnismal, am 12. September eingeweiht, initiiert von der ÖVP-Heimkehrerorganisation, Grundsteinlegung durch Bundeskanzler Leopold Figl
• 1956: Relief „Wien 1683“ von Eduard Robitschko an der Brüstung vor der Leopoldskirche
• 1958: Gedenktafel neben dem Hauptportal der Leopoldskirche zur Erinnerung an die heilige Messe von Pater Marco d’Aviano (Geliebte Heimat 1958/2: o.S.)
• 1983: Plakette an der Außenseite der Leopoldskirche: „ Zum Gedächtnis der beim Einsatz von Wien im Jahr 1683 gefallenen ukrainischen Kosaken. 1683–1983“, auf Deutsch und Ukrainisch, gestiftet von den ukrainischen Veteranen im Ausland (Tomenendal 2000: 255)
• 1984: Erinnerungstafel anlässlich des 300. Jahrestages, gestiftet vom Militärkommando Wien, am 12 September 1984 in Anwesenheit von Bürgermeister Helmut Zilk enthüllt (Militärkommando 1984: 26)
• 2013: Kosaken-Denkmal mit drei ukrainischen Husaren mit Waffen und Musikinstrumenten, errichtet auf Initiative und Kosten des damaligen Bürgermeisters von Kiew Oleksandr Popov, anlässlich des 20-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft der beiden Städte
Literatur
Literatur
Brożek, Anna (2011): Kazimierz Twardowski. Die Wiener Jahre. Wien.
Czeike, Felix (1994): Historisches Lexikon Wien. Band 3. Wien.
Dybaś, Bogusław/Forst-Battaglia, Jakub/Huszcza Krzysztof (Hg.) (2011): Otto Forst de Battaglia, der unersetzliche Vermittler zwischen den Kulturen. Wien.
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Hamminger, Josef Dominicus (1986): Leopold Capellan am Kallenberg oder St. Josephskirche der PP Kamaldulenser auf dem Josephsberg (Sobieskikapelle in der St. Josephskirche)? Wo hat Pater Marco d’Aviano vor der Entscheidungsschlacht am 12. September 1683 die heilige Messe gefeiert? Wien.
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