Graz, Karte
Text: Zsuzsa Barbarics-Hermanik
Der ‚Türken-Gobelin‘ gehört zu den umstrittensten, dennoch bis in die jüngste Zeit relativ unbekannten ‚Türkendenkmäler‘ der Stadt Graz. Er war 1941 im Auftrag der Nationalsozialisten angefertigt und bei deren Propagandaausstellung im Grazer Landesmuseum Joanneum gezeigt worden. Nach dem Zweiten Weltkrieg hing der ‚Türken-Gobelin‘ – allerdings mit einer neuen Inschrift – bis 2009 im Stiegenhaus des Grazer Rathauses, bis er infolge einer politischen Diskussion von dort entfernt wurde.
Zum historischen Hintergrund
Zum historischen Hintergrund
Die Instrumentalisierung der Erinnerung an die ‚Türkenzeit‘ war für die Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus in Österreich verbreitet und charakteristisch. Davon zeugen einschlägige Zeitungsartikel, die in den 1930-er und 1940-er Jahren in Graz und anderswo in der Steiermark zur ‚Türkengefahr‘ veröffentlicht wurden (z.B. Jauker 1940 bzw. Putsek 1937). Darin wird der Inhalt der ‚Türkensagen‘ – wie zum Beispiel die zum ‚Türken‘ am Palais Saurau (Zambauer-Weber 1941) – und damit die seit der frühen Neuzeit propagierte „Bollwerkrolle“ von Graz und der Steiermark ganz bewusst aktualisiert und der Ideologie entsprechend angepasst. So wurden etwa Merkmale des bereits vorgeformten ‚Türkenbildes‘ auf Juden und Slawen übertragen, gegen die man mit dieser „Aktualisierung der Erinnerung“ damals eigentlich mobilisieren wollte (Barbarics-Hermanik 2010a: 16).
Der überzeugte Nationalsozialist und Hauptschriftleiter der NSDAP, Manfred Jasser – der bereits acht Jahre nach dem Ende des NS-Regimes als Chefredakteur des Wirtschaftsverlages der ÖVP tätig sein durfte (vgl. Hausjell 15.12.2005) – brachte die Intention der Nationalsozialisten 1938 sehr deutlich zum Ausdruck: In einer Publikation des Gaupropagandaamtes stellte er eine direkte Verbindung zwischen der Vergangenheit („dem Türkenkriegszeitalter“) und seiner Gegenwart her, indem er Folgendes schrieb:
Das war der Kampf der Steirer um die Befreiung. Man kann ihn nicht anders als ein Wunder nennen. Dieser südöstlichste Winkel Deutschlands hat im Laufe der deutschen Geschichte Unerhörtes erlebt und erlitten. Die Steiermark hat fast allein 200 Jahre lang das Reich gegen die Türken verteidigt. Und immer sind ihre Städte und Dörfer zerstört, ihre Schätze geplündert und die Menschen getötet und verschleppt worden. […] Zeugen der Wehrhaftigkeit, als Zeugen dafür, daß dieses Volk immer in der einen Faust den Pflug, in der anderen das Schwert hielt. Ein Volk, das mit seiner Kraft und seinem Mut eine politische Klugheit verbindet, die in Jahrhunderten des Kampfes entwickelt und geschärft wurde.
Gewiß, die Steirer haben die Ostmark nicht allein befreit. Viele Dinge mußten zusammenwirken, um das große Werk gelingen zu lassen. Aber ohne Graz – ich weiß nicht, ob wir schon dort wären, wo wir heute sind.“(Gaupropagandaamt Steiermark 1938: 62.)
„Graz Stadt der Volkserhebung. Bollwerk gegen Südosten“
Der Mythos der Mark- und Bollwerkfunktion der Steiermark als Grenzzaun des Deutschen Reiches mit dem Hinweis auf die ‚Türkengefahr‘ wurde daher von den Nationalsozialisten bewusst in den Mittelpunkt ihrer Propaganda gestellt.
Ein herausragendes Beispiel dafür stellt neben der Marien- oder Türkensäule jener ‚Türken-Gobelin‘ dar, der 1941 für die vom Gaupropagandaleiter Gustav Fischer veranlasste Kunstausstellung im Landesmuseum Joanneum (29. Juni bis 7. September 1941) angefertigt und dort öffentlich gezeigt wurde (vgl. Senarclens de Grancy 2009: 122).
Die Künstler Heinz Reichenfelser und Hans Stockbauer waren mit der nationalsozialistischen Ideologie eng verbunden. Reichenfelser war zum Beispiel nicht nur Mitglied der NSDAP und der SS, sondern auch als Ortsgruppenpropagandaleiter in Graz tätig (vgl. Senarclens de Grancy 2009: 129f).
Der ursprüngliche Titel des ‚Türken-Gobelins‘ enthielt jene Bezeichnung, die Graz von Adolf Hitler im Jahr 1938, dem Jahr des Anschlusses, bekam: GRAZ STADT DER VOLKSERHEBUNG. BOLLWERK GEGEN SUEDOSTEN. Die Bedeutung dieses Werkes für die Nationalsozialisten zeigt auch die Tatsache, dass die Künstler Reichenfels und Stockbauer bei ihrer Arbeit regelmäßig vom Gauleiter Sigfried Uiberreither besucht wurden (vgl. Senarclens de Grancy 2009: 126-132).
Auf dem Gobelin sind all jene Elemente – wie türkischer Reiter, Abbildung des Schloßberges, etc. – vorhanden, die auch andere ‚Türkendenkmäler‘ der Stadt, wie z.B. die Sgraffiti in der Bürgergasse 4 oder das Gottesplagenbild aufweisen.
„Graz zur Zeit der Türkenkriege“
„Graz zur Zeit der Türkenkriege“
Dieses Propagandaprodukt der Nationalsozialisten hing nunmehr mit einem neuen Titel „GRAZ ZUR ZEIT DER TUERKENKRIEGE“ bis 2009 im Stiegenhaus des Grazer Rathauses. Es konnte bis heute nicht ausgeforscht werden, wann und in wessen Auftrag die alte Inschrift entfernt und die neue installiert wurde. Es ist ebenfalls nicht bekannt, ab wann der ‚Türken-Gobelin‘ im Rathaus zu sehen war.
Ausgelöst von einem wissenschaftlichen Aufsatz, der die Hintergründe der Entstehung dieses „Denkmals“ aufdeckte, begann in der Grazer Stadtpolitik eine Debatte, die auch in den Medien dokumentiert und mit verfolgt wurde. Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, ob ein Kunstwerk der Nazi-Zeit – ohne die entsprechende Kontextualisierung – im Rathaus einer Landeshauptstadt Österreichs hängen bleiben dürfe bzw. solle (vgl. Barbarics-Hermanik 2010b: 24).
Als Ergebnis der Diskussion wurde der ‚Türken-Gobelin‘ aus dem Rathaus entfernt und zuletzt bei einer Ausstellung über Nazi-Kunst im Grazer Stadtmuseum gezeigt.
Literatur
Literatur
Barbarics-Hermanik, Zsuzsa (Hg.) (2010a): Türkenbilder und Türkengedächtnis in Graz und in der Steiermark. Katalog zu einer Ausstellung aus Anlass des Jubiläums „40 Jahre Südosteuropäische Geschichte an der Karl-Franzens-Universität Graz“, Universitätsbibliothek – 10. Juni – 31. Oktober 2010. Graz.
Barbarics-Hermanik, Zsuzsa (Hg.) (2010b): „Türkenbilder“ und „Türkengedächtnis“ in der Steiermark. In: Historische Sozialkunde: Geschichte, Fachdidaktik, politische Bildung, 4. 22–27.
Gaupropagandaamt Steiermark (Hg.) (1938): Graz. Stadt der Volkserhebung. Graz.
Hausjell, Fritz (15.12.2005): Tapfer, treu und unerbittlich. Wie der Nazi-Journalist Manfred Jasser zur Edelfeder der ÖVP wurde – und wie ihn der damalige Kanzler Julius Raab deckte. In: zeit.de, 20.09.2020.
Jauker, Otto (12.05.1940): Türkennot bedrängte das steirische Grenzland. In: Tagespost, Nr. 130, 7.
Putsek, Josa (24.10.1937): Türkennot, Bundschuh und Pestilenz im steirischen Unterland. In: Tagespost, Nr. 294, 19.
Senarclens de Grancy, Antje (2009): Graz, Stadt der Volkserhebung, Bollwerk gegen den Südosten. Der „Türken-Gobelin“ im Grazer Rathaus – Propagandakunst der NS-Zeit. In: Historisches Jahrbuch der Stadt Graz, Bd. 38/39, 121–140.
Zambauer-Weber, Edina (09.03.1941): Sage und Wirklichkeit rund um den Türken vom Saurau-Palast. In: Kleine Zeitung, Nr. 68, 8.