St.-Bartholomäus-Platz 3, Karte

Text: Marion Gollner

Ein Zeichen für die Intensivierung der Marienverehrung ebenso wie ein Hinweis auf die barbarisch-heidnische Vorgangsweise des „Erbfeindes christlichen Namens“ ist dieses Bildnis der Madonna. Es soll im Jahr 1683 von türkischen Soldaten als Zielscheibe verwendet worden sein. Die Hernalser fanden das von Schüssen und Pfeilen getroffene Bild unter den Trümmern des osmanischen Zeltlagers und gaben ihm den Namen ‚Türkenmuttergottes‘. Heute befindet sich das Gnadenbild in der Hernalser Pfarrkirche (Kalvarienbergkirche).

Das Marienbild diente als Zielscheibe

Das Marienbild diente als Zielscheibe

Die ‚Türkenmuttergottes‘ wurde zur Zeit der zweiten Belagerung Wiens 1683 durch die Osmanen der Legende nach von den Soldaten im türkischen Lager bei Hernals als Zielscheibe benutzt. Dabei wurde das Gnadenbild von mehreren Schüssen und Pfeilen getroffen, so z.B. in den Augen.

Nach dem Sieg über die osmanischen Truppen entdeckten die Hernalser das Bild im verlassenen Lager. In einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1950, erschienen im Wiener Kurier, wird der Fund des schwer beschädigten Madonnen-Bildes wie folgt geschildert:

Nach dem Abzug der in den schicksalsschweren Septembertagen des Jahres 1683 geschlagenen Türken fanden die in ihre alte Heimat zurückgekehrten Hernalser unter den Trümmern des Feindeslagers etwas Seltsames: ein auf Holz gemaltes, von Pfeilen und Kugeln vielfach durchbohrtes Marienbild unbekannter Herkunft. Die türkischen Soldaten mußten es als Zielscheibe benutzt haben. Abgesehen von den Durchschüssen, war es ein gar anmutiges Gemälde. (Wiener Kurier 09.07.1950)

Die ‚Türkenmuttergottes‘ bekommt einen Ehrenplatz

Die ‚Türkenmuttergottes‘ bekommt einen Ehrenplatz

Ein gewisser Hofgärtner namens Matthias Hermann soll das Marienbild nach der Entsatzschlacht vom 12. September 1683 im Lager der Osmanen gefunden und zu sich mit nach Hause genommen haben, wo er es „in allen Ehren“ gehalten und davor ein „Lämpchen“  entzündet haben soll. 1692 ließ er das Bild renovieren und verfügte testamentarisch, dass es nach seinem Tod in den Besitz der Hernalser Bergkirche übergehen sollte. Seine Frau, Justina Liebl (verwitwete Hermann) soll seinem Wunsch jedoch erst im Jahr 1719 – angeblich zum Beginn der Fastenzeit – nachgekommen sein. Dann sollen nochmals weitere 50 Jahre vergangen sein, ehe es in der Pfarrkirche von Hernals am Hochaltar aufgestellt wurde (vgl. Polifka 1918: 244). Zuvor hatte es mehrmals seinen Standort gewechselt, wie aus einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 1950 hervorgeht:

Das von einem tüchtigen Künstler restaurierte Bild, fortan die ‚Türken-Muttergottes‘ genannt, wurde in eine Seitenkapelle der von den Türken zerstörten, aber inzwischen wieder aufgebauten unteririschen Kirche des Kalvarienberges gebracht. In der neuen Pfarrkirche fand es dann seinen Platz über dem Tabernakel, wo es aber des großen Altarbildes wegen nicht zur Geltung kam. (Wiener Kurier 09.07.1950)

Während des Zweiten Weltkrieges, beim letzten amerikanischen Bombenangriff auf Wien, wurde auch die Kalvarienbergkirche am 22. März 1945 getroffen und schwer beschädigt:

Fliegerbomben durchschlugen das Deckengewölbe und explodierten im Inneren. Das Dach, alle Altarbilder, die Orgel und die Inneneinrichtung wurden vollkommen zerstört. (www. kalvarienbergkirche.at)

Die ‚Türkenmuttergottes‘ wurde bei dem Luftangriff ebenso in Mitleidenschaft gezogen, kam aber mit einige ‚Kratzern‘ davon. Das Bundesdenkmalamt übernahm daraufhin die Restaurierung des Gnadenbildes – und zwar „unter voller Wahrung seiner ‚Wunden‘ aus den Türkentagen“ (Reibenwein 1954).

Die Kirche wurde wieder aufgebaut. Der erste Gottesdienst nach dem Krieg fand zu Ostern 1948 statt. Bis die ‚Türkenmuttergottes‘ einen ‚ehrwürdigen‘ Platz erhalten sollte, vergingen jedoch mehrere Jahre. Eigens für das Gnadenbild wurde ein Marienaltar in der Kalvarienbergkirche errichtet.

Pfarrer Rudolf Reibenwein verfasste anlässlich der Weihe des neuen Marienaltars in der Kalvarienbergkirche einen Text, der vermutlich als Pressemitteilung gedacht war. Dabei geht er auf die bewegte Geschichte der ‚Türkenmuttergottes‘ ein, die 1954 einen neuen Platz erhielt:

Zum Abschluss des Marianischen Jahres wird in Hernals in der Kalvarienbergkirche die ‚Türken-Muttergottes‘ zur Wiederaufstellung gebracht. Die Pfarrgemeinde Hernals hat für das Bild einen würdigen Rahmen geschaffen: einen neuen Marienaltar gebaut, in dessen Zentrum das Bild kommt. Der Marienaltar wurde nach einem Entwurf des Herrn Architekten Dr. Ing. Hans Petermaier ausgeführt. (Reibenwein 1954)

Heute befindet sich die ‚Türkenmuttergottes‘ im linken Seitenschiff der Hernalser Pfarrkirche.

Im Besitz des Bezirksmuseums Hernals befinden sich eine alte türkische Fahne sowie eine Prozessionsfahne mit der Türkenmuttergottes (vgl. Zabusch 2002: 12).

Maria mit dem Jesuskind

Maria mit dem Jesuskind

Bei der ‚Türkenmuttergottes‘ handelt es sich um ein Ölgemälde auf Holz, das als eine Kopie des Innsbrucker Mariahilfbildes von Lucas Cranach ausgewiesen wird (vgl. Reibenwein 1954; Aurenhammer 1956:125; Tomenendal 2000). In diesem Sinne könnte das Bild auch eine Nachbildung des Wiener Madonnen-Bildes in der Mariahilfer Kirche sein (vgl. Wikipedia).

Das in Gold gerahmte Bild zeigt die Gottesmutter Maria mit einem roten Umgang, wie sie das nackte Jesuskind in den Armen hält. Beide tragen eine goldene Krone. Dahinter sind zwei Engel zu sehen.

Eine Inschrift am unteren Rand des Bildes nimmt auf die noch sichtbaren Kampfspuren Bezug, die bei den Restaurierungsarbeiten bewusst erhalten worden sind:

Als der Türk die kayserl. Residenzstadt Wien belagert, haben etliche der türkischen Soldaten dieses Bild statt einer Scheiben aufgesteckt und mit Kugeln und Pfeilen danach geschossen.

„Maria hilf!“

„Maria hilf!“

Die ‚Türkenmuttergottes‘ bietet bis heute eine Projektionsfläche für die unterschiedlichsten Anliegen. So wurden beim Gnadenbild sowohl Trost und Rat als auch Heilung bei körperlichen Beschwerden gesucht. Die Bevölkerung hat die ‚Türkenmuttergottes‘ nicht nur „stets mit großem Vertrauen als Gnadenbild verehrt“, sondern auch „Zuflucht in Augen-und Kopfleiden“ bei dem Bildnis gesucht (Reibenwein 1954). So heißt es auf einem Kupferstich von Johann Christoph Winkler, der sich heute im Besitz des Historischen Museums der Stadt Wien befindet:

Gnadenreihes Maria Hülfbild, welches 1683 in der belagerung Wienn von denen Türken zum Ziel ausgesezt, und beyde augen ausgeschossen worden; anjetzo aber in dem Wiennerischen Calvari=berg unter der obsorg deren P. P. Paulinern verehret wird u. absonderlich in deren augen u. kopf schmertzen ihren verehrern sich hülfreich erzeiget.

Das Madonnen-Bild erfüllte aber auch andere Funktionen: In Hernals, zur Reformationszeit eine Hochburg der lutherischen Lehre, bot das Gnadenbild einen willkommenen Anlass, nach Abschluss der Rekatholisierung die Bedeutung Mariens für den Sieg über die Türken und indirekt auch über das Lutheranterum zu unterstreichen. Am Höhepunkt der Gegenreformation waren Massenprozessionen nach Hernals durchgeführt worden, die sich „auf der Ebene öffentlicher Orgien“ abgespielt hatten (Evans 1989: 146). Papst Urban VIII. (reg. 1623–1644) hatte den Wallfahrern, die zweimal des Jahres von der Stephanskirche nach Hernals pilgerten, den vollkommenen Ablass gewährt. (vgl. Gugitz 1955: 93)

Der Umstand, dass die Schäden am Bild im Zuge diverser Restaurierungen nicht behoben, sondern „konserviert“ wurden, hatte vermutlich zweierlei Gründe: Einerseits sollte dadurch der sichtbare ‚Beweis‘ auch für die Nachwelt erbracht werden, dass die Türken nicht einmal vor dem ‚Heiligsten‘ zurückschreckten, nämlich davor, auf das Bild der Jungfrau Maria zu schießen. Andererseits erstrahlte das beschädigte Madonnenbild, das sowohl die ‚Schändung‘ durch den ‚Erbfeind des Christentums‘ als auch den Bombenhagel zur Zeit des Zweiten Weltkriegs überstanden hatte, in einem noch heldenhafteren Licht.

Literatur

Literatur

Aurenhammer, Hans (1956): Die Mariengnadenbilder Wiens und Niederösterreichs in der Barockzeit, Wien.

Csendes, Peter (1983): Erinnerungen an Wiens Türkenjahre. Wien.

Evans, Robert, J. W. (1989): Das Werden der Habsburgermonarchie 1550–1700. Gesellschaft, Kultur, Institutionen. Wien–Köln.

Gugitz, Gustav (1955): Österreichs Gnadenstätten in Kultur und Brauch. Band 1. Wien.

Historisches Museum der Stadt Wien (Hg.) (1983): Die Türken vor Wien. Europa und die Entscheidung an der Donau 1683. Katalog zur 82. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien. 5. Mai bis 30. Oktober 1983. Wien.

Polifka, Johannes (1918): Die Gnadenbilder der allerseligsten Jungfrau Maria in Wien. Graz/Wien.

Reibenwein, Rudolf (1951): Die Türkenmuttergottes (Handschriftlicher Entwurf vom 08.12.1954, der vermutlich als Pressemitteilung oder Ähnliches gedacht war und von Trude Neuhold niedergeschrieben wurde; unveröffentlicht).

Tomenendal, Kerstin (2000): Das türkische Gesicht Wiens. Auf den Spuren der Türken in Wien. Wien/Köln/Weimar.

Wiener Kurier (09.07.1950): Die „Türkenmuttergottes“ (Sammlung Zabusch).

Wikipedia: Die Kalvarienbergkirche,20.09.2020.

Zabusch, Sabine (2002): Bezirksmuseum Hernals. Wiener Geschichtsblätter, Beiheft 3. Wien.

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