Hernalser Hauptstraße 190-192, Karte
Text: Silvia Dallinger
Die städtische Wohnhausanlage ‚Türkenritthof‘ wurde in den Jahren 1927/28 an der Hernalser Hauptstraße 190–192 im 17. Wiener Gemeindebezirk errichtet. Über dem Haupteingang erinnert die Sandsteinplastik ,Türkenritt‘ von Karl H. Scholz an den ‚Hernalser Eselsritt‘, einen Maskenumzug, der ab 1683 alljährlich am Sonntag nach Bartholomäus (24. August) im Rahmen des Hernalser Kirchweihfestes gefeiert wurde. Die Darstellung zeigt einen als Kara Mustapha Pascha Verkleideten, der verkehrt auf einem Esel sitzt und verspottet wird. 1783 wurde der Brauch von Joseph II. wegen zu großer Ausschweifungen als ‚grober Unfug‘ abgetan und abgeschafft.
Der Eselsritt als Form der Bestrafung
Der Eselsritt als Form der Bestrafung
Der ‚Eselsritt‘ war ursprünglich eine im Mittelalter praktizierte Form der Bestrafung, die eine ähnliche Funktion wie der Pranger erfüllte. Bis ins 17. Jahrhundert wurde diese Strafe vor allem bei Ehebrecherinnen und Frauen eingesetzt, die ihre Männer schlugen. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts wurde der Eselsritt aber auch als Bestrafung für andere Vergehen wie Meineid und Mord verwendet. Die Betroffenen mussten rücklings auf einem Esel durch den Ort reiten, seinen Schweif halten und wurden so dem Gespött der Menge preisgegeben. Auch Kriegsgefangene wurden auf diese Weise bestraft:
Die Sitte, einen Gefangenen oder den Anführer des besiegten Feindes auf einem Esel, auf einem Gaul oder Widder durch die Stadt verkehrt reiten zu lassen, dürfte uralt sein. Es ist auch wahrscheinlich, daß der Eselritt, eine ursprünglich orientalische Strafe, in der Kreuzzugsperiode nach Europa eingeführt wurde. (Mailly 1927: 4)
Der erste überlieferte Hinweis auf eine Verknüpfung zwischen dem Eselsritt und der Zweiten Wiener Türkenbelagerung stammt aus dem Jahr 1684, als zwei Flugblätter vom Wiener Verleger Leopold Voigt erschienen. Eines davon trägt den Titel:
Wer suecht, der findt. Des Tuerkischen Groß-Vizirs Cara Mustapha Bassa Zurück-Marsch von Wien nach Constantinopel.
Auf dem zweiten ‚Schandgemälde‘ ist zu lesen:
Der elende und schimpfliche Abzug deß Türkischen Groß-Veziers auß der Christenheit und deß Türkischen Hofs und der krumm- und lahmgehauenen Türcken Klag-Geschrey über den so elend-geführten Feld-Zug.
Beide Flugblätter sind mit einem Spottbild versehen, das Kara Mustapha Pascha und seine jammernde osmanische Armee beim Einzug in Konstantinopel auf einem Esel reitend zeigt. Hier wird bereits ein klarer Bezug zur Strafe des Eselritts hergestellt, die vor allem im damaligen Osmanischen Reich verbreitetet war. Spottbilder wie diese dienten möglicherweise als Anregung für den Eselsritt in Hernals.
Anderen Quellen zufolge hat der Eselsritt seinen Ursprung in einem „uralten Halterumzug“, i.e. ein Hirtenumzug (Bauer 1982: 209), und wurde erst nach der Entsatzschlacht 1683 auf die Türken zugeschnitten.
Der Hernalser Eselsritt
Der Hernalser Eselsritt
In Hernals wurde der ‚Eselsritts‘ bzw. ‚Türkenritt‘, wie der Brauch auch genannt wurde, als humoristischer Umzug gefeiert: Ausgangspunkt war das Hernalser Gemeindehaus, von dem aus alljährlich eine verkleidete ‚türkische Bande‘ durch die Straßen von Hernals zog und dabei mit verschiedenen Instrumenten großen Lärm machte. Ihnen folgte eine Schar in Ketten gelegter ‚Christensklaven‘ in zerfetzter Kleidung, die bei den Zuschauern und Zuschauerinnen Almosen erbettelten und von ‚Janitscharen‘ streng bewacht wurden. Teilweise nahmen die ‚Janitscharen‘ Mädchen aus der Menge gefangen und reihten sie unter die Sklaven ein. Wollten sie wieder freikommen, mussten sie freigekauft werden.
Hauptperson des Umzugs war ein als Kara Mustapha Pascha Verkleideter, zu erkennen an einem dicken Bauch und glitzernden, morgenländischen Gewändern. Er musste verkehrt auf einem Esel reiten, genauso wie sein Gefolge. Das Publikum neckte ihn und gab ihm so lange Wein zu trinken, bis er vom Esel fiel. Der Bruch des islamischen Alkoholverbots wurde dabei als weitere Taktik der Verspottung der Osmanen verwendet. Nach dem Umzug kehrten die Verkleideten in das Gemeindehaus zurück und betranken sich um das gesammelte Geld in einem Gasthaus.
„In neuerer Zeit gab es Versuche, den Brauch wieder zu beleben“ (vgl. Csendes 1983: 28; Czeike 1997: 491; Bauer 1982: 209; Böhm 2001: 79).
Die Geschichte des Türkenritthofs
Der ‚Türkenritthof‘, eine Wohnhausanlage im „romantischen Stil“, wurde Ende der 1920er-Jahre nach den Plänen des Wiener Architekten Paul Hoppe errichtet. Die damalige MA 40 bewilligte den Bau mit Bescheid vom 25. Juli 1927, die Benützungsbewilligung für die insgesamt 90 Wohnungen wurde am 28. Dezember 1928 erteilt. Finanziert wurde der Bau aus den Mitteln der Wohnbausteuer. Die Wohnhausanlage befindet sich in der Nähe des einstigen Kampfschauplatzes ‚Frauenfeld‘ (heute Frauenfelderplatz), wo die Osmanen 1683 in die Flucht geschlagen wurden.
Paul Hoppe, der den ‚Türkenritthof‘ im Auftrag der Gemeinde Wien plante, stammte aus einer alten Wiener Baumeisterfamilie. Zu seinen wichtigsten Bauwerken zählt das Schulgebäude des Wiener Frauen-Erwerb-Vereins am Wiedner Gürtel (1909–1910), das er gemeinsam mit seinem Bruder Emil realisierte. Auch der Neubau der Feldmarschall-Erzherzog-Friedrich-Artilleriekaserne im niederösterreichischen Kaiserebersdorf (ca. 1914) wurde nach den Plänen Paul Hoppes gebaut. Neben seinem Beruf als Baumeister und Architekt war er auch als Lehrer tätig.
Die Sandsteinplastik im Detail
Die plastische Darstellung über dem Eingang zum ‚Türkenritthof‘ zeigt einen rücklings auf einem Esel reitenden Pascha umgeben von Spöttern, die sich über ihn lustig machen. Durch die dynamische Darstellungsweise ist das Motiv jedoch nicht leicht zu erkennen. Dies wird durch die starke Beschädigung der Sandsteinplastik noch verstärkt. Einen Anhaltspunkt liefert jedoch die Aufschrift „Türkenritthof“, die sich unter der Plastik befindet.
Im Durchgang zum Innenhof ist zusätzlich – gut sichtbar und beleuchtet – eine Hinweistafel mit folgender Aufschrift angebracht:
Dieser Hof führt seinen Namen nach dem Türkenritt, einem alten Hernalser Volksbrauch. Zur Erinnerung an die Befreiung Wiens von der Türkengefahr wurde alljährlich ein humoristischer Festzug veranstaltet als dessen Hauptperson ein türkischer Pascha auf einem Esel ritt. Dieser Brauch hat sich bis zum Jahre 1783 erhalten.
Vor der Gedenktafel stehen die Altpapiertonnen des Gemeindebaus.
Weitere Erinnerungen an den ‚Eselsritt‘
Weitere Erinnerungen an den ‚Eselsritt‘
Das Keramikrelief „Hernalser Eselsritt“ in der Pezzlgasse 79–81 ist ein weiteres Denkmal, das in Hernals an den Eselsritt erinnert.
Ein weiteres Keramikrelief befindet sich beim Griechenbeisl in der Wiener Innenstadt.
Gedenktafel für Leo Holy
Im Türkenritthof befindet sich auch eine Gedenktafel zur Erinnerung an Leo Holy, Mitglied des ‚Republikanischen Schutzbundes‘ und Vertrauter der Sozial-demokratischen Arbeiterpartei. Er wurde am Morgen des 13. Februar 1934 im Zuge der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen Sozialdemokraten und der ‚Vaterländischen Front‘ bei der Besetzung des Türkenritthofs von Polizisten erschossen. Er hielt sich zu dieser Zeit in der Wohnung von Olivia Siegl, der Witwe des sozialdemokratischen Stadtrates Franz Siegl, auf.
Die Inschrift der Gedenktafel lautet folgendermaßen:
Für ein freies demokratisches Österreich fiel hier am 13. Februar 1934 Genosse Leopold Holy. Seinem Gedenken die ehemaligen Schutzbundkämpfer in der KPÖ Hernals
Eine städtische Wohnhausanlage in der Nähe (Gräffergasse 5) trägt seinen Namen (Holy-Hof).
Literatur
Literatur
Bauer, Joseph (1982): Die Türken in Österreich. Geschichte. Sagen. Legenden. St. Pölten.
Böhm, Jasmine (2001): „Türken-Images“ im öffentlichen Raum. Eine ethnologische Spurensuche in Wien. Diplomarbeit der Universität Wien.
Csendes, Peter (1983): Erinnerungen an Wiens Türkenjahre. Wien.
Czeike, Felix (1992–2004): Historisches Lexikon Wien. Band 1–5. Wien.
dasroteWien.at. Weblexikon der Wiener Sozialdemokratie: Türkenritthof. 17., Hernalser Hauptstr. 190–192.
Haberlandt, Arthur (1927): Volkskunde von Wien, Niederöstereich und Burgenland. Wien.
Kidsweb: Der Eselsritt zu Hernals, 20.09.2020.
Mailly, Anton (1927): Der Hernalser Eselritt. In: Verein für Volkskunde in Wien (Hg.): Wiener Zeitschrift für Volkskunde 32, 1–5.
Tomenendal, Kerstin (2000): Das türkische Gesicht Wiens. Auf den Spuren der Türken in Wien. Wien/Köln/Weimar.
Will, von (1783): Der Eselritt zu Herrnals vom Jahre 1783 den 25. August. Ein Pendant zu Herrn Nikolais Reisebeschreibung; und ein Aktenstück für künftige Geschichtschreiber. Wien.
Email-Verkehr mit:
Trude Neuhold, gf. Museumsleiterin, Bezirksmuseum Hernals, 02.06.2008.
DI (FH) Nicole Romen-Kierner, Stadt Wien – Wiener Wohnen, 06.06.2008.