Text: Johanna Witzeling, Johannes Feichtinger

Giovanni da Capistrano (auch: Johannes von Capistrano/Capestrano/Kapistran) wurde am 24. Juni 1386 in Capestrano, einem Ort in den Abruzzen, geboren und kam als Wanderprediger 1451 nach Wien. Nach der Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 rief er zur Rettung des ‚christlichen Abendlandes‘ zum Kreuzzug gegen die Türken auf. Capistrano, der bedeutendste Wanderprediger des 15. Jahrhunderts, ging jedoch nicht nur als ,Türkensieger‘, sondern auch als gefürchteter Inquisitor gegen Ketzer und Juden in die Geschichte ein. Er verstarb am 23. Oktober 1456 in Ilok in Ungarn (heute: Ilok bei Vukovar, Kroatien) und wurde 1622 selig- und 1690 heiliggesprochen. Die Kapistrankanzel an der Außenseite des Wiener Stephansdoms erinnert noch heute an den umstrittenen Prediger.

Vom Richter zum gefürchteten Inquisitor

Vom Richter zum gefürchteten Inquisitor

Giovanni da Capistrano war zunächst als Richter in Perugia tätig, bevor er als Gesandter im Zuge einer Fehde zwischen Perugia und der einflussreichen Adelsfamilie Malatesta verhaftet und eingekerkert wurde. 1415 trat er in das Observantenkloster (Franziskaner) in Perugia ein. Zwei Erscheinungen des Heiligen Franziskus sollen der Grund für seinen Eintritt in das Kloster gewesen sein.

Capistrano übte sich in strenger Askese. Seinen Ruf verdankt er seiner 40-jährigen Tätigkeit als Wanderprediger, päpstlicher Legat und Heeresführer. Er wird auch „Apostel Europas“ genannt. Zudem war er ein aufgrund seiner unbarmherzigen Strenge gefürchteter Inquisitor. In seinen berühmten Wanderpredigten richtete er sich gegen ‚Ketzer, Juden, Türken‘ und gegen die ‚Eitelkeiten‘ der Menschen, wie etwa Glückspiel, Tanz und Luxus.

Capistrano kommt nach Wien

Capistrano kommt nach Wien

1451 verließ Giovanni da Capistrano Italien und kam auf Wunsch Friedrich III. nach Wien, um wochenlang im und vor dem Stephansdom vor großer Zuhörerschaft zu predigen. Im selben Jahr scharte er eine Gruppe junger Männer um sich und erhielt mit Unterstützung König Friedrichs IV. das St.-Theobald-Kloster als erste Wiener Niederlassung für die Franziskanerobservanz. Damit legte er den Grundstein für die Wiener Ordensprovinz und für weitere Klostergründungen (Hlaváček 2006: 36f.). Predigtreisen führten Capistrano nach Böhmen und Mähren, Bayern, Thüringen, Sachsen, Schlesien und Polen. Als Missionar bekehrte er tausende Hussiten.

Kreuzzug zur Rettung des ‚christlichen Abendlandes‘

Kreuzzug zur Rettung des ‚christlichen Abendlandes‘

1454 nahm Capistrano die Aufgabe der ‚Türkenabwehr‘ in Angriff: Da Konstantinopel 1453 von den Osmanen erobert worden war, führte er den Reichsfürsten auf den Reichstagen in Frankfurt am Main (1454) und in Wiener Neustadt (1455) eindringlich die drohende Türkengefahr vor Augen. Im Auftrag von Papst Nikolaus V. (1397–1455) soll er schließlich als Wanderprediger 1455/56 den ‚Kreuzzug‘ zur Rettung des ‚christlichen Abendlandes‘ in Österreich und Ungarn angeführt und im Juli des Jahres 1456 maßgeblich an der Befreiung Belgrads durch ein kleines Heer beteiligt gewesen sein.

Mehrere Zehntausend kamen zu seinen Predigten

Mehrere Zehntausend kamen zu seinen Predigten

Giovanni da Capistrano erlangte in weiten Teilen Europas beachtliche Popularität. Für seine Predigten, in denen er sich gegen ‚die Juden‘ richtete, zum Gebet gegen die ‚Türkengefahr‘ und zur Buße für ‚die Eitelkeiten des Menschen‘ aufrief, war er ebenso bekannt wie für seine Tätigkeiten als Wunderheiler. Diese Wunder schrieb er Bernhardin von Siena (1380–1444) zu, da er Kranke während seiner Predigten mit Reliquien seines Mentors berührte und sie damit geheilt haben soll.

Die Menschen strömten, angeführt von den Geistlichen ihrer Dörfer, von überall her, um Capistranos Predigten zu hören – und das obwohl Capistrano des Deutschen nicht mächtig war. Offizielle Vertreter der Kirche und des öffentlichen Lebens empfingen den Wanderprediger und begleiteten ihn zu seinem Quartier, das nach Möglichkeit ein Franziskanerkloster zu sein hatte. Da die ZuhörerInnenschaft zumeist aus mehreren Zehntausend bestand, wurden die Predigten oft auf eigens dafür aufgestellten Holzgerüsten und Podesten im Freien abgehalten. Am Ende größerer Predigtzyklen führte Capistrano ein von „der italienischen Wanderpredigt (Bernhardin von Siena) entwickeltes, übrigens nicht unkritisches Sühnezeremoniell [durch], die sogenannten ‚Verbrennungen der Eitelkeiten‘ (rogo de la vanità)“ (Hundsbichler 1982: 206). Dabei wurden „Träger und Symbole des Lasters“ (ebd.), wie Brett- und Würfelspiele, lange Haare, Schmuck u.a. öffentlich verbrannt. Gläubige sollten dadurch zur Buße aufgerufen werden.

Capistrano verfasste zahlreiche Traktate, die zumeist eine „Stoffsammlung für Predigtzyklen“ darstellten. Die Titel dieser Traktate verweisen bereits auf die wichtigsten Inhalte seiner Predigten (Auswahl):

  • „Über die erlaubten Grenzen von Zier und Prunk“
  • „Der Gewissensspiegel“
  • „Über das Weltgericht“
  • „Über die Hölle“
  • „Über die Gotteslästerung und den Meineid“
  • „Über das Fasten“
  • „Über das Bußsakrament“
  • „Über den Wucher“
  • sowie auch das dreiteilige „Papsttraktat, in dem er das Verhältnis zwischen Papst und Konzil“ beleuchtete (vgl. Hundsbichler 1982: 205–206).

Capistranos Wirken scheint bereits zu seinen Lebzeiten sehr umstritten gewesen zu sein: Einerseits musste er unter ‚Polizeischutz‘ auf die Predigerkanzel gebracht werden, da seine Anhänger und Anhängerinnen offenbar versuchten, ein Souvenir des Predigers zu ergattern („ganze Stücke schnitten ihm die Leute aus der Kapuze“ vgl. Hofer 1964/65, zit. nach: Hundsbichler 1982: 202). Anderseits soll Capistrano mehrfach tätlich angegriffen worden sein. Er selbst habe nach Hundsbichler von „25 Anschlägen auf sein Leben“ gewusst (ebd. 206).

Capistrano stirbt im Jahr 1456

Capistrano stirbt im Jahr 1456

Giovanni da Capistrano verstarb am 23. Oktober 1456 in der Kirche von Ilok (bei Vukovar, Kroatien), die später ihm zu Ehren geweiht wurde. Sein Leichnam und Grab sind allerdings verschollen. Laut der Webpage der „Franziskaner in Österreich und Südtirol“ liegt aber „eine Nachbildung des ‚Siegers von Belgrad‘ im Glassarg unter dem Altar“.

Selig- und Heiligsprechung

Selig- und Heiligsprechung

Am 10. September 1622 wurde Capistrano seliggesprochen. 68 Jahre später, am 16. Oktober 1690, während der Gegenreformation und gleichzeitig mit dem „endgültigen Sieg über die Osmanen“ (Hundsbichler 1982: 207), wurde der ‚Apostel Europas‘ von Papst Alexander VIII. (1610–1691) heiliggesprochen. Daraufhin wurden zahlreiche Biographien über Capistrano publiziert (ebd). Aufgrund seiner früheren Tätigkeit als Richter gilt er noch heute als Patron der Rechtsanwälte.

Zur Erinnerung an Capistrano wurde die Kanzel am Stephansdom, von der aus er in Wien gepredigt haben soll, 1738 renoviert und mit einer Figurengruppe überbaut (siehe Kapistrankanzel). Sie zeigt den Franziskanermönch, wie er triumphierend auf einem am Boden liegenden Janitscharen steht.

Capistrano und der Kampf ums ‚christliche Abendland‘

Capistrano und der Kampf ums ‚christliche Abendland‘

Die damals südungarische Stadt Belgrad (Griechisch-Weißenburg) wurde 1453 mit der Einnahme Konstantinopels durch osmanische Truppen zum „vordersten Bollwerk des christlichen Europas“ (Hundsbichler 1982: 204). Allerdings reagierte „das christliche Europa“ nicht dementsprechend. 1455 erließ Papst Nikolaus V. eine ‚Kreuzzugsbulle‘, in der er die christlichen Fürsten zur Einheit aufrief, um gemeinsam die drohende Gefahr zurückzuschlagen. Doch die Hauptlast der ‚Türkenabwehr‘ verlagerte sich immer mehr nach Ungarn und auf den Heerführer János Hunyadi (1385–1456), der letztendlich auch von seinen ungarischen Standesgenossen im Stich gelassen wurde (ebd).

Aenea Silvio Piccolomini (1405–1464, ab 1458 Papst Pius II.), damals Sekretär des in Wien residierenden Königs Friedrich III. (IV.) (1415–1493), bewirkte 1451 schließlich, dass der in Italien bereits sehr bekannte Prediger Giovanni da Capistrano zuerst nach Österreich entsandt und vier Jahre später gegen ‚die Türken‘ losgeschickt wurde.

Nach seinem Einsatz gegen die innere Spaltung des Franziskanerordens und in der Hussitenmission soll sich Capistano seiner neuen Aufgabe mit den Worten „Ich eile nach Ungarn zum heiligen Martyrium“ gewidmet haben (vgl. Hundsbichler 1982: 203).

Capistrano schrieb zahlreiche Briefe an den 1452 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönten Friedrich III. sowie an König Heinrich IV. von England, Philipp von Burgund u.a., doch er erhielt nicht die benötigte Unterstützung. Nach dem Tod von Papst Nikolaus V. wandte sich Capistrano an dessen Nachfolger Papst Calixtus III. (1378–1458), um ihn mit folgenden Worten um Hilfe zu bitten:

Es erhebe sich Eure Heiligkeit! […] Wecket auf, Heiligster Vater, die Schläfer, streichet und stoßet sie mit dem Hirtenstab des Kreuzes Christi! Sendet Rufer und Prediger voll glühenden Eifers, Männer mächtig in Tat und Wort, die den Geiz hassen, die allein Gottes Ehre und das Heil der Seelen suchen, die bereit sind, für die Verteidigung der heiligen katholischen Wahrheit ihr Leben hinzugeben. O Heiligster Vater, erbarmet Euch der Tränen und des Jammers der Völker […]. (Recktenwald)

Daraufhin soll der Papst ein Gelübde abgelegt haben, alles dafür zu tun, um ‚das Abendland‘ vor der ‚Gefahr aus dem Osten‘ zu beschützen. Im Februar 1456 soll der damals 70-jährige Franziskanerpater mit dem Kreuz in der Hand durch Ungarn gezogen sein, um Männer für ein Heer gegen die Osmanen anzuwerben. Vorbereitet wurde der ‚Heilige Krieg‘ in Ungarn von Hunyadi, Capistrano und dem päpstlichen Legaten Kardinal Juan Carvajal (um 1400–1469) (vgl. Hundsbichler 1982: 204; Recktenwald).

Am 29. Juni 1456 erließ Papst Calixtus III. eine Bulle, in der er alle Gläubigen zur Buße und zum Gebet aufrief. Außerdem ordnete er ein tägliches zum Gebet mahnendes Glockenläuten (‚Türkenläuten‘) an, während dem drei ‚Vaterunser‘ und drei ‚Ave Maria‘ gebetet werden mussten (vgl. Wikipedia).

Giovanni da Capistranos letztem Einsatz war es maßgeblich zu verdanken, dass Belgrad am 21./22. Juli 1456 befreit werden konnte.

Capistranos Antisemitismus

Capistranos Antisemitismus

Die Judenfeindlichkeit des 1690 heiliggesprochenen Giovanni da Capistrano wird in verschiedenen Quellen mit unterschiedlicher Ausführlichkeit und Tendenz behandelt. Das klassische Standardwerk jüdischer Geschichtsschreibung von Heinrich Graetz (in elf Bänden, 1853 bis 1878) wurde zuletzt im Jahr 2000 neu aufgelegt. Darin wird Capistranos Rolle bei der Vertreibung und Ermordung von Juden und Jüdinnen besonders deutlich: 1453 soll der Franziskaner Juden der Hostienschändung beschuldigt haben, woraufhin 41 Juden in Breslau angeblich auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden sind. 1455 trat ein kaiserliches ‚privilegium de non tolerandis Judaeis‘ (‚Privileg zur Nichtduldung der Juden‘) in Kraft, das bis 1744 gültig blieb (vgl. Wikipedia).

Andere relativierten Capistranos Verbrechen als Inquisitor, indem sie den Franziskaner in den „Rahmen der Zeit“ stellten. Demnach hätten seine mörderischen Schandtaten „keineswegs den Zug unnötiger Härte“ aufgewiesen. Zudem wären „seine Maßnahmen gegen Ketzer und Juden“ auf keinerlei zeitgenössische Kritik gestoßen (vgl. Hofer 1964/65, in: Hundbichler 1982: 207). Das Lexikon für Theologie und Kirche merkt an, dass sein Bild „durch protestantische und jüdische Historiker“ entstellt sei (LThK, 5: 1015).

Capistrano in Schild und Bild

Capistrano in Schild und Bild

Zu Ehren des „Apostels Europas“ (Papst Alexander VIII.) und ‚Retters des christlichen Abendlandes‘ wurde 1906 – als Karl Lueger am Höhepunkt seiner Macht als Wiener Bürgermeister stand – die Capistrangasse in Mariahilf (7. Wiener Gemeindebezirk) benannt. Die Theobaldgasse, die 1862 in Erinnerung an das unter Joseph II. aufgelöste St.-Theobald-Kloster – die erste Wiener Franziskanerobservanz – benannt wurde, befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Capistrangasse. In St. Pölten und Salzburg sind Kirchen bzw. Pfarren nach dem Heiligen Kapistran benannt. Im niederösterreichischen Katzelsdorf befindet sich in der Pfarrkirche eine Kapistrankanzel, die motivisch jener des Stephansdoms ähnelt. Der Antoniusaltar der Pfarrkirche von Deutschlandsberg (Steiermark) zeigt Capistran (um 1702) als Türkensieger mit Schwert (in der rechten) und turbanbedecktem Türkenkopf (in der linken Hand) (Schweigert 1986: 398). Im Jahr 2006 erregte die Darstellung des Heiligen Johannes Capistrano mit einem abgeschlagenen Türkenkopf zu seinen Füßen in der Wallfahrskirche Spabrücken (Rheinland-Pfalz) großes Aufsehen: Die Frage „Müssen für den Dialog die Köpfe rollen?“ wurde klar mit Ja beantwortet. Am Denkmal wurden keine Änderungen vorgenommen. Der Heilige tritt in Spabrücken nach wie vor auf den Türkenkopf. Die Weltkirche feiert Capistranos Fest jährlich am 28. März (urspr. 23. Oktober).

Gedächtnisfeier zum 500. Todestag Capistranos

Gedächtnisfeier zum 500. Todestag Capistranos

1956 wurde anlässlich seines 500. Todestages eine Gedächtnisfeier in Wien veranstaltet, wobei der ehemalige Außenminister Leopold Figl einen Festvortrag mit dem Titel „Johannes Kapistran in Europa“ bei der Kapistrankanzel neben dem Wiener Stephansdom hielt.

Die Teilnahme ungarischer Delegationen am Festakt zeigt „mit aller Deutlichkeit, welch großer Dankesschuld an Kapistran sich speziell Ungarn bis in unsere Tage bewußt ist“ (Hundsbichler 1982: 200).

1984 wurde Johannes von Capistrano zum Patron der Militärseelsorger ernannt.

Literatur

Literatur

Hlaváček, Petr (2006): Zum (Anti)intellektualismus in Ostmitteleuropa im 15. und 16. Jahrhundert. In: Rainer Bendel (Hg.), Kirchen- und Kulturgeschichtsschreibung in Nordost- und Ostmitteleuropa, Berlin, 31–58.

Historisches Museum der Stadt Wien (1997): 850 Jahre St. Stephan. Symbol und Mitte in Wien 1147–1997. Dom- und Metropolitankapitel Wien: 226. Sonderausstellung. 24. April bis 31. August 1997, Wien.

Hofer, Johannes (1964/65) [1936]: Johannes von Capestrano. Ein Leben im Kampf um die Reform der Kirche. 2 Bände, Bibliotheca Franciscana 1 u. 2, Heidelberg.

Hundsbichler, Helmut (1982): Johannes Kapistran. Franziskanische Observanz – Rettung Europas – Sachkultur. In: Katalog der Niederösterr. Landesausstellung: 800 Jahre Franz von Assisi. Franziskanische Kunst und Kultur des Mittelalters, Minoritenkirche, 15. Mai–17. Okt., Krems/Stein, 200–207.

Kirch, Konrad/ Rodewyk, Adolf (1959): Helden des Christentums. II. Band, Leipzig, 407–430.

Lexikon für Theologie und Kirche (1986). Band 5. 2. Auflage, Freiburg im Br./Wien, 1014f.

Recktenwald, Engelbert: Der hl. Johannes von Capestrano. In: kath-info.de – Das Portal zur katholischen Geisteswelt, 21.09.2020.

Schweigert, Horst (1986), Türkenmotive in der bildenden Kunst der Steiermark. In: Die Steiermark. Brücke und Bollwerk. Katalog der Landesausstellung. Schloß Herberstein bei Stubenberg. 3. Mai bis 26. Oktober 1986 (Veröffentlichungen des Steiermärkischen Landesarchivs 16), Graz, 392–403.

Wikipedia: Mittagsläuten, 21.09.2020.

Wikipedia: Juden in Breslau, 21.09.2020.

Wikipedia: Johannes Capistranus, 21.09.2020.