Michaelerplatz 5 , Karte

Text: Simon Hadler

Das allgemein als ‚Maria Candia‘ bezeichnete Gnadenbild befindet sich seit 1672 in der Michaelerkirche im ersten Wiener Gemeindebezirk. Es erhielt seinen Namen aufgrund seiner Herkunft aus Kreta, das damals – wie auch die Hauptstadt der Insel – Candia genannt wurde. Das Bild erinnert weniger an die jahrelange Belagerung von Insel und Stadt durch osmanische Truppen als vielmehr an ihm zugeschriebene Heilungen während der Pest im Jahr 1679.

Geschichte von der Herkunft des Gnadenbildes

In der Literatur wird im Allgemeinen davon ausgegangen, dass die Entstehungszeit des Bildes um 1540 anzusetzen ist. (Posch 1977: 16; Bandion 1989: 36; Rainer 2005: 104; Tomenendal 2000: 192) Bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts befand es sich in der Kirche des hl. Nikolaus in der Hauptstadt Kretas, die ebenso wie die Insel den Namen Candia trug und seit 1204 im Besitz Venedigs war. Osmanische Truppen begannen 1645 mit der schrittweisen Eroberung der Insel, es dauerte jedoch von 1648 bis 1669, ehe sie auch die zu einer riesigen Festung ausgebaute Hauptstadt einnehmen konnten. Venedig setzte zur Verteidigung der Stadt nicht nur Söldner ein, sondern bat auch andere Fürsten um Unterstützung. Die von Kaiser Leopold I. gesandten Truppenkontingente kämpften unter dem Befehl des Obristen Heinrich Ulrich Freiherr von Kielmansegg. Als die Verteidiger zur Aufgabe gezwungen waren, gewährten ihnen die Osmanen freien Abzug. Kielmansegg soll dabei von einem Priester der Nikolaikirche gebeten worden sein, ihn sowie das aus der Kirche entnommene Marienbild nach Venedig mitzunehmen. Während der Belagerung soll das Bild auf feindliche Grabungen unter der Kirche aufmerksam gemacht haben. (Gründlicher Bericht 1773: 28f.)

Kielmansegg erreichte 1669 mit der Mariendarstellung Venedig, der Priester war angeblich noch auf der Überfahrt erkrankt und bald darauf verstorben. (Vaterland 3.4.1897: 1) Es dauerte noch bis 1672, bis sich die Möglichkeit ergab, das Bild nach Wien zu bringen und es den Barnabiten zu St. Michael zu übergeben. Dort wurde es erst auf einem Seitenaltar ausgestellt, ehe es 1782 in den Hochaltar integriert wurde, wo es sich auch heute noch befindet.

Die wunderbare Pest-Heilung

Die Erinnerung an die osmanische Belagerung Kretas ist dem Marienbild in der Michaelerkirche zwar schon durch seinen Namen inhärent, größere Bedeutung hatte jedoch eine andere Erzählung, die sich nur wenige Jahre nach der Übersiedlung zugetragen haben soll. Darin wird von einem Pater Don Kasimir Dembski berichtet, der sich während der Pestepidemie im Jahr 1679 mit der Krankheit infizierte. Daraufhin begab er

„sich beynebens in den Schutz der Allergnadenreichsten Jungfrauen / und Mutter Gottes Mariae, zu dero Bildnuß von Candia, mit lebhaftem Glauben eine gewisse Hülf von ihr zu erlangen / und geriete darüber in einen sanften Schlaf; in währendem aber /erschiene ihm die Allerseligste Mutter Gottes / in eben solcher Kleidung / wie sie in dem Gnaden=Bild von Candia abgemahlet ist /samt denen Hl. Sebastiano / und Rocho / und fienge an ihme vorzubetten die fünf Psalmen / deren jeder anfanget von einem Buchstaben ihres Allerliebreichsten Namens MARIA, welche ihr zu Lob / und Ehr von dem Seraphischen H. Lehrer Bonaventura zusammen getragen seynd worden; und als dieser Pater ihr nach Möglichkeit nachgebettet hatte / sprache sie folgende Wort zu ihme: Jetzt bist du gesund. Darauf verschwande das Gesicht: er aber erwachte / befande sich frisch und gesund / und die Gift=Beule waren vergangen.“ (Geistliches Huelfsmittel 1738: 6f.)

Nicht nur im 18. Jahrhundert, sondern vor allem auch gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde diese Erzählung wiederholt veröffentlicht (Neuigkeits-Welt-Blatt 29.10.1875: 9; Vaterland 03.04.1897: 1; Reichspost 15.04.1900: 20). Bis heute fehlt sie in kaum einer Beschreibung des Bildes. (vgl. z.B. wienerzeitung.at 05.07.2012; Rainer 2005: 104) Verglichen damit, mag die „Schlachterfahrung“ an der Grenze der Christenheit zwar der ausschlaggebende Grund für die Überführung nach Wien gewesen sein, doch dieser Gründungsmythos wurde rasch übersetzt und überlagert von der Geschichte der Pestheilung.

Als etwa 1773 die ersten hundert Jahre des Marienbildes in Wien gefeiert wurden, erinnerte in der dazu veröffentlichten Festschrift kaum mehr als ein kurzer Absatz als Teil eines marianischen Lobgesangs an den Kampf gegen den barbarischen Feind:

„Dort, wo sich Kandien
Mit schlanken Krümmungen
Stolz aus den griechischen Wellen erhebt,
hat sich zu deinem Ruhm
Das alte Christenthum
Vorlängst mit heiligem Eifer bestrebt;
Bis die Gefahren
Wilder Barbaren
Deinen gewöhnlichen Wohnplatz verlezt,
Und dich zu uns nacher Wien übersezt.“ (Gründlicher Bericht 1773: 71)

Die Wegweiserin

Die Darstellung Mariens mit dem Kind ist ikonografisch ein Beispiel einer Hodegetria (Maria als Wegweiserin) und steht damit in enger Verbindung zu byzantinischen Vorbildern. Diese Art von Marienbildern wurde ganz besonders zu Krisenzeiten verehrt, da sie die immerwährende Hilfestellung der Mutter Gottes repräsentierte (vgl. auch die Kopie der Schwarzen Madonna von Tschenstochau in der Josephskirche am Kahlenberg oder das Gnadenbild ‚Mária Pócs‘ im Stephansdom).

Die Bedeutung des Gnadenbildes ‚Maria Candia‘ findet ihren Ausdruck nicht zuletzt in dem Ort seiner Aufstellung. Es ist ein zentraler Bestandteil des von Jean Baptist d’Avrange entworfenen Hochaltar, der als „der schönste und zugleich der letzte einer glanzvollen Epoche österreichischer Kultur“ (Bandion 1989: 36) bezeichnet wurde.

Literatur

Literatur

Bandion, Wolfgang J. (1989): Steinerne Zeugen des Glaubens. Die heiligen Stätten der Stadt Wien. Wien.

Das Vaterland (03.04.1897): Das Gnadenbild der heiligen Maria von Candien auf dem Hochaltare der k. k. Hof-Stadtpfarrkirche St. Michael in Wien.

Geistliches Hülfs=Mittel [(1738)] / Wider Giftige Seuche / und Pest: Oder Andacht / zu der Gnaden=reichen Bildnuß Mariae Aus Candia, Welche in der Kaiserlichen Hof=Pfarr=KIrchen deren PP. Clericorum Regularium S. Pauli ad. S. Michaëlem in Wien / auf dem ihr errichteten Altar / in allen Anligenheiten / absonderlich aber wider obbemeldtes übel / von hoch= und niederen Standes=Personen / andächtig verehret wird. Wien.

Gründlicher Bericht [(1773)] von dem berühmten Gnadenbilde der Mutter Gottes aus Kandien, welches schon seit hundert Jahren in der kaiserl. königl. Hofpfarrkirche zu St. Michael der WW. EE. PP. Barnabiten in Wien offentlich verehret wird. Herausgegeben, als man die hundertjährige Jubelfeyer wegen dessen Uebersetzung aus dem erstgedachten Eilande auf das prächtigste begieng.

Neuigkeit-Welt-Blatt (29.10.1875): Die Geheimnisse der Katakomben. Historischer Original-Roman des 17. Jahrhunderts. 30. Fortsetzung.

Posch, Waldemar (1977): St. Michael in Wien. Wien.

Rainer, Alexandra (Hg.) (2005): Die Michaeler Gruft in Wien. Retten, was zu retten ist. Wien.

Reichspost (15.04.1900): Maria von Candia.

Tomenendal, Kerstin (2000): Das türkische Gesicht Wiens. Wien.

www.wienerzeitung.at vom 05.07.2012 : Werfring, Johann: Das wahrhaftige Antlitz in der Michaelerkirche. (zuletzt abgerufen: 09.12.2016)

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