Heidenschuß / Strauchgasse , Karte
Text: Simon Hadler
Eine kleine Reiterfigur am Palais Montenuovo an der Ecke Heidenschuß und Strauchgasse erinnert der Legende nach an die Belagerung der Stadt durch osmanische Truppen. Zumeist wird davon berichtet, dass im Jahr 1529 ein Bäckerjunge die feindliche Unterminierung bemerkt und so den osmanischen Sieg verhindert habe. Tatsächlich reicht die Geschichte des Begriffs „Heidenschuss“ weit vor die Zeit der ersten Türkenbelagerung zurück.
„Do der Haiden scheusst“
Bereits im Jahr 1365 wird erstmals ein Ort in Wien als „do der Haiden scheusst [schießt]“ bezeichnet. Auch in späteren Quellen (u.a. aus dem Jahr 1442) finden sich Benennungen wie „do der Haiden scheußt gegen den Kiel ueber“. (Mailly 1933: 96) Wer da jedoch schoss, darüber gingen jahrhundertelang die Meinungen auseinander. Dabei regte nicht nur der Begriff die Fantasie von Generationen an Lokalhistorikern an, sondern auch die Reiterfigur an der Ecke des Montenuovopalastes. Sie befindet sich in dieser Form jedoch erst seit der Mitte des 19. Jahrhunderts vor Ort, als das Gebäude errichtet wurde. Davor war es nicht ein säbelschwingender Türke, sondern ein Reiter mit Pfeil und Bogen, der womöglich seit mittelalterlichen Zeiten von der Höhe hinabblickte.
Die bekannteste Version der Legende – der Türke und die Bäcker
Seit wann genau die Reiterfigur als Türke identifiziert wurde, ist nicht bekannt. Auf jeden Fall wird bereits im Jahr 1701 der Ort auch als „Am Haidenschuss oder Kiell allwo der Türck reitt“ (vgl. Wien Geschichte Wiki) bezeichnet. In der Geschichte Wiens von Matthias Fuhrmann findet sich bereits im Großen und Ganzen die bis heute verbreitete Geschichte:
[...] so trug es sich sonderheitlich zu, daß man in eines Beckers Hauß untersten Keller, an der Freyung, so doch ziemlich weit von der Stadt=Mauer abgelegen, dergleichen feindliches Miniren, mittels einer Trommel und darauf gelegten Würffeln entdeckt, und so viel wahr genommen, daß der Feind mit seiner Arbeit bereits schon biß an ermeldtes Hauß kommen; worauf, wie anderer Orts beschehen, sogleich die Berg=Leut [...] entgegen gegraben, und der Türcken Vornehmen zu nichts gemacht haben. [...] so gabe folgends König Ferdinandus [den Bäckern; S.H.] schöne Freyheiten, wovon noch diesen Tag das merckwürdigste übrig seyn mag, daß ermelte Bursche am Oster=Montag mit fliehenden Fahnen und verschiedener Music all=jährlich einen solennen Aufzug haltet; und zur stäten Gedächtnuß wurde auch an ermeldtes Hauß ein reutender, mit Bogen und Pfeil zum Schiessen bereiter Türck, aus Stein gehauen aufgerichtet, und daher diesen Tag noch dieses Hauß, zum Haydenschuß, genennet wird. (Fuhrmann 1739: 762f.)
In einer anderen Version der Sage sollen die Bäcker Wasser in den unterirdischen Gang gegossen und so die osmanischen Minenarbeiter ertränkt haben. (vgl. Scheidl 1908: 58f.)
Fuhrmann sollte rund dreißig Jahre später seine Meinung zum Hauszeichen korrigieren; allerdings beharrte er auf den Wahrheitsgehalt der Legende von dem Entdecken der Minen durch den Bäckerjungen. Als Beweis galt ihm ein noch zu seiner Zeit existierendes Loch im Keller des besagten Hauses, der damals als bürgerlicher Weinschank diente. Als Paulaner wohnte Fuhrmann selbst in diesem im Besitz des Ordens befindlichen Gebäude. (Teply 1980: 78)
Bäckerlegenden 1529 und 1683
Bäckerlegenden 1529 und 1683
Karl Teply, der sich ausführlich mit den Legenden um den Heidenschuss auseinandersetzte, wies darauf hin, dass die osmanischen Minengräber unmöglich so weit in das Stadtinnere vorgedrungen sein konnten. (ebd.: 77) Auch die Behauptung Fuhrmanns, den Bäckern sei zum Dank für die Entdeckung der Mine gestattet worden, einen alljährlichen Umzug abzuhalten, hält ebenso wenig einer historischen Prüfung stand, wie die anderen mit den Wiener Bäckern in Zusammenhang gebrachten Türkensagen – sei es die Erfindung des Kipferls oder die Geschichte des Innungsbechers.
In anderen Varianten der Legende spielen zwar auch die Bäcker die entscheidende Rolle für die Rettung der Stadt, allerdings stellte nun die zweite Türkenbelagerung Wiens im Jahr 1683 die historische Kulisse dar. Beispiele dieser Version sind zwei gedruckte Geschichten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in denen es am Ende – wie auch in der Darstellung von Fuhrmann – zur Verleihung des Rechts zur Abhaltung des Bäckerumzugs kommt. (Die Bäcker in Wien 1801; Der Heidenschuß 1820)
Die türkische Version der Geschichte
Die türkische Version der Geschichte
In dem fantasievollen Bericht des osmanischen Reisenden Evliyâ Çelebi, der als Teilnehmer der Großbotschaft des Kara Mehmed Pascha im Jahr 1665 in Wien war, findet sich auch eine türkische Version der Geschichte:
Als Sultan Süleyman [...] im Jahre 936 (d.i 1529) die Festung Wien höchstpersönlich belagerte, da ließ er sie von neun Fronten her aus unzähligen Donnergeschützen unausgesetzt unter Feuer nehmen und ihre Widerstandskraft zermürben; es wurde mehrfach Sturm gelaufen, und schon war man in die Mauern eingebrochen, auf den Wällen erscholl bereits der muslimische Gebetsruf und schon war auch ein kühner Haudegen namens Çerkes durch eine Bresche, die die Geschütze gerissen hatten, auf seinem Rosse bis mitten in die Festung vorgedrungen, aber da fiel der tapfere Çerkes samt seinem Pferde als Blutzeuge des Glaubens [...].
Der Leichnam jedoch und der Kadaver seines Pferdes wurden von den Ärzten mittels eines Decoctums mumifiziert und hier als Denkmal aufgestellt. Und so sitzt also dort unter einem Mauerbogen noch heute jener trutzige tscherkessische Haudegen auf seinem Rosse, angetan mit allen seinen Kleidern und Waffen, mit Panzer, Helm und Köcher, und auf dem Kopf den Tatarenkalpak. Und nach ihm hat also dieser Tscherkessenplatz zu Wien seinen Namen. (Kreutel 1957: 51f., 99)
Das Haus der Familie Haiden
Einer weiteren Interpretation zufolge soll es sich bei der Heidenschuß-Figur um ein sprechendes Hauszeichen der Patrizierfamilie Haiden handeln, aus der gegen Ende des 15. Jahrhunderts auch ein Wiener Bürgermeister hervorgegangen ist. (vgl. z.B. Scheidl 1908:60) Dieser Meinung ist etwa der Heimatforscher Anton Mailly, der festhält, dass der Heidenschuss weder etwas mit den Römern, noch mit den Germanen (s. weiter unten) oder Türken zu tun habe:
Der Name, der für die Bezeichnung einer Örtlichkeit im Volksmunde sehr geläufig war, stammt wahrscheinlich von dem mittelalterlichen Hauszeichen, einem bogenschießenden Sarazenen, also einem Heiden her, der schon im 15. Jahrhundert am Hause Nr. 237 (Strauchgasse Nr. 2) angebracht war, das damals nachweislich Eigentum der Familie Haydn (Hayd) war. [...] Allem Anschein nach handelt es sich hier um eine Hausbezeichnung, die den Namen des Hauseigentümers bildlich zum Ausdruck brachte, also um ein redendes Hauszeichen, wie man deren viele in Wien und in anderen alten Städten nachweisen kann. (Mailly 1933: 96)
Allerdings konnte nachgewiesen werden, dass das nämliche Gebäude niemals im Eigentum dieser Familie war. (Teply 1980: 77)
Von Römern und Germanen
Von Römern und Germanen
Ganz andere Deutungen wurden zu Beginn der 1930er Jahre diskutiert. Otto Lautinger sieht den Heiden darin nicht schießen, sondern erkennt im Schuss einen Abhang, der auch tatsächlich noch im heutigen Straßenbild zu erkennen ist. Der Begriff des Heiden wiederum weise in die Zeit zurück, als sich an diesem Ort ein römisches Lager befunden habe:
Wegen [...] zahlreichen Reminiszenzen an die Römer wurde nun dieser Steilhang und der abschüssige Weg zum Tor empor ,der Heidenschuß‘ benannt, welche Bezeichnung ihm bis heute geblieben, im 16. Jahrhundert aber aus vollständiger Unkenntnis der Vergangenheit mißgedeutet und mit allerlei mißverständlichen Türkenmärchen umkleidet worden ist, so daß dann sogar ein Haus das Schild ,Wo der Heide scheußt‘ erhalten konnte, wodurch der Unsinn quasi sanktioniert und weiterverbreitet wurde. (Lautinger 1932: 295)
Auch der Lehrer und Dichter Emil Hofmann greift weit in die Vergangenheit zurück, um die Herkunft des Heidenschusses zu erklären. Zuerst verwirft auch er die bekannte Legende, es handle sich bei der Figur um einen Türken. Dabei verkneift er sich nicht eine Anspielung auf die Gegenwart, in welcher das Osmanische Reich selbst mit vielfältigen Problemen zu kämpfen hatte:
Sie nur, ein Türke spornt den Gaul und schwingt dabei mit grimmigem Gesicht den Krummsäbel. Ei, der mag spornen und schwingen, kein Mensch mehr achtet seines Zorns. Gottlob, die Zeit ist vorbei, da die Heiden unser liebes Wien bedrohen konnten, nun haben sie selbst zu kämpfen um ihr eigenes Haus. (Hofmann 1914: 20)
Dann führt er seine These zu den Ursprüngen des Heidenschusses aus, die er in der altgermanischen Mythologie zu finden vermeint:
Unweit vom Heidenschuß stand in vorrömischer Zeit ein germanischer Opferplatz, geweiht dem winterlichen Wodan, dem Obersten der Frostriesen, die mit Schnee und Eis die Welt in Bande schlugen. Als dann das Christentum bei den Germanen einkehrte, wurde an der Stelle des heidnischen Altars ein Kirchlein zu Ehren des heil. Pankraz erbaut, jenes Heiligen, der ja auch zu den sogenannten Eisheiligen gehört. Doch der heidnische Gott wollte nicht so leicht weichen; an stürmischen Tagen umjagte er das Kirchlein und harte Schloßen fielen: dann meinten die Leute, der Heide schieße seine Pfeile. Darum heißt diese Stelle, wie die Straßentafel besagt, der ,Heidenschuß‘. (ebd.)
Zuletzt weist Andre Gingrich darauf hin, dass u.a. Namensgebungen wie „Heidenschuss“ manifester Ausdruck des von ihm so genannten populärkulturellen Phänomens des „Grenzorientalismus“ („frontier orientlism“) sind. (Gingrich 2015: 64)
Literatur
Literatur
Der Heidenschuß (1820). Eine romantische Geschichte aus der Zeit der letzten türkischen Belagerung Wiens. Wien/Prag.
Die Bäcker in Wien (1801). Eine Familien=Geschichte aus den Zeiten der letzten Belagerung Wiens. Wien.
Fuhrmann, Matthias (1739): Alt= und Neues Wien, oder dieser Kayserlich= und Ertz=Lands=Fürstlichen Residentz=Stadt Chronologisch= und Historische Beschreibung. Von der mittleren= Biß auf gegenwärtige Zeiten. Anderer Theil. Wien.
Gingrich, Andre (2015). The Nearby Frontier. In: Diogenes 60, 2, 60–66.
Hofmann, Emil (1914): Wiener Wahrzeichen. Der schulmündigen Jugend als Erinnerungsgabe dargeboten. Wien.
Kreutel, Richard F. (1957): Im Reiche des Goldenen Apfels. Des türkischen Weltenbummlers Evliyâ Çelebi denkwürdige Reise in das Giaurenland und in die Stadt und Festung Wien anno 1665. Graz.
Lautinger, Otto (1932): Der Heidenschuß und die Heidentürme von St. Stephan. In: Unsere Heimat. 5. Jg., Nr. 10, 293–296.
Mailly, Anton (1933): Der Heidenschuß und die Heidentürme von St. Stephan. In: Unsere Heimat. 6. Jg., Nr. 3, 95–99.
Scheidl, Franz (1908): Denkmale und Erinnerungszeichen an die Türkenzeit in Wien. Wien.
Teply, Karl (1980): Türkische Sagen und Legenden um die Kaiserstadt Wien. Graz.
Wien Geschichte Wiki: Heidenschuß. (letzter Zugriff: 20.09.2020)