Wien – Manila und zurück: Einblicke in Leben und Werk der Botanikerin Mona Lisa Steiner

Von den Nationalsozialisten vertrieben, flüchtete eine junge Wienerin auf die Philippinen und machte sich als Expertin für tropische Flora einen Namen. Nach der Rückkehr neuerlich ihres Forschungsfeldes verlustig gegangen, verband sie botanisches Wissen mit der Kenntnis asiatischer Kulturen und begründete die bis heute gepflegte Wiener Schule des Blumensteckens.

Mit einem Handkoffer und ihrer Gitarre schiffte sich Anfang Oktober 1938 die 22-jährige Wiener Botanikstudentin Lise Monika Lindenberg in Triest auf dem Passagierdampfer „Conte Rosso“ ein, der damals zwischen der italienischen Hafenstadt und Shanghai, Zuflucht zahlreicher jüdischer Verfolgter aus dem Deutschen Reich, verkehrte. Anders als das Gros der Flüchtlinge beabsichtigte Lindenberg jedoch nicht, in Shanghai von Bord zu gehen. Ihr Ziel war vielmehr die philippinische Hauptstadt Manila – ein unsicheres Unterfangen, war sie doch nicht im Besitz eines Visums, das sie zur Einreise in den Inselstaat, zu jener Zeit amerikanisches Commonwealth, berechtigte. In einem Brief an die in Wien zurückgebliebenen Eltern versprühte sie dennoch Zuversicht: „Ich […] bin fest überzeugt, es wird alles gut gehen. […] Mir ist es ganz gleich, ob Manila oder Shang[h]ai […]. […] denn es ist schön, wenn man jung ist, in die Welt hinauszuwandern. […] für mich ist in der Welt schon ein Platz.“ Drei Versuche, das Einreisedokument in den von der „Conte Rosso“ angelaufenen Häfen zu erhalten, scheiterten, bis schließlich der amerikanische Konsul in Singapur ein Einsehen hatte. Ende Oktober betrat sie schließlich den Boden jenes Landes, das für die kommenden 23 Jahre ihr Lebensmittelpunkt wurde.

Lise Monika Lindenberg wurde am 30. Oktober 1915 als Tochter des Bankbeamten Ignaz Lindenberg (geb. Wien, 14. März 1875; gest. Wien, 5. Dezember 1952) und der Sängerin und Schriftstellerin Therese Lindenberg, geb. Trestl (geb. Wien, 4. März 1892; gest. Wien, 21. April 1980), in Wien geboren. Der Vater war Jude, die Mutter konnte ihre väterlicherseits jüdische Herkunft nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland verschleiern und so ihren Mann im Rahmen einer „Mischehe“ schützen. Im Sommersemester 1938 hatte Lindenberg alle für das Botanikstudium vorgeschriebenen Lehrveranstaltungen absolviert und ihre an der Biologischen Versuchsanstalt der Österreichischen Akademie der Wissenschaften ausgeführte Dissertation bei dem – später von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen aus seiner Position entfernten – Professor Josef Kisser fertiggestellt. Als „nichtarischer“ Studentin blieb ihr der Studienabschluss jedoch verwehrt. So entschloss sie sich bereits frühzeitig dazu, das Land zu verlassen. Kisser, mit dem sie in brieflichem Kontakt blieb, wird 1940 ihre Dissertation unter beider Namen in der Fachschrift „Jahrbücher für wissenschaftliche Botanik“ veröffentlichen. Auf den Philippinen mit ihrer tropischen Flora meinte Lise Monika Lindenberg ideale Bedingungen vorzufinden, unter denen sie ihre wissenschaftliche Laufbahn doch noch würde entfalten können.

Schmelztiegel Manila

Rasch lebte sich die junge Wienerin in der multiethnischen, durch die Kolonialmächte Spanien und USA geprägten Metropole Manila ein. Bereits im November 1938 erhielt sie eine Assistentenstelle am Botanischen Institut der University of the Philippines. Sie machte sich mit der Flora des Landes vertraut und hatte bald Gelegenheit, mit ihren Studierenden Exkursionen in den Dschungel zu unternehmen. „Alle Schwierigkeiten, Probleme und Komplikationen verschwanden, ich war in meinem Paradies, das ich erforschen wollte“, schrieb sie in ihren Lebenserinnerungen über die Begegnung mit der fremden Pflanzenwelt. Mangels einer Kamera legte sie im Rahmen der Systematisierung von Pflanzen eine Sammlung selbst gemalter Aquarelle an. Angesichts der nur spärlich vorhandenen Fachliteratur zur philippinischen Flora reifte bald der Entschluss, eine eigene Publikation zur Flora Manilas vorzulegen. Zugleich nahm Lindenberg ein Studium der tropischen Botanik auf, das sie 1940 mit dem Bachelor of Science abschloss. Zum nächsten Ziel setzte sie sich die Graduierung zum Master of Science.

Daneben führte sie ein intensives gesellschaftliches Leben, wobei ihr eine Welle der Sympathie entgegenschlug. Bestrebt, ihrer Heimatstadt Wien „Ehre zu machen“, wie sie in einem Brief an die Eltern schrieb, begeisterte sie ihre Zuhörerschaft mit Wiener- und Volksliedern, die sie im Dirndl zur Gitarre vortrug. 1940 heiratete sie den ebenfalls aus Wien geflüchteten, an der University of the Philippines als Lektor und Student der Bibliothekswissenschaften engagierten Rechtsanwalt Hans Steiner (geb. Wien, 7. September 1908; gest. Wien, 14. November 1980).

Japanische Okkupation und Krieg

Die Besetzung der Philippinen durch Truppen der Achsenmacht Japan im Dezember 1941 und der darauffolgende Krieg zwischen den USA und den Besatzern brachten für die Geflüchteten aus dem Deutschen Reich das Ende ihrer mühevoll aufgebauten Existenz mit sich. Aufgrund der Schließung der Universität verloren Lise Monika und Hans Steiner ihre Arbeitsplätze und konnten auch ihr Studium nicht mehr fortsetzen. Der wirtschaftliche Einbruch und in der Folge Mangelernährung und medizinische Unterversorgung trafen die junge Familie – während des Krieges wurden zwei Töchter geboren – schwer. Die japanischen Machthaber, die später eine philippinische Marionettenregierung installierten, übten ihre Herrschaft mit größter Härte aus. Zwar wurden die in ihrer überwiegenden Mehrheit jüdischen Flüchtlinge nicht rassistisch verfolgt, doch trafen Repressalien gegen „Weiße“, wie Vorladungen zu den Behörden, Internierungen und sogar Folterungen auch Angehörige der Flüchtlingsgemeinde, so Hans Steiner, der unter dem Verdacht, die philippinische Befreiungsbewegung unterstützt zu haben, von der berüchtigten Kempeitai (japanische Militärpolizei) festgenommen und misshandelt wurde, aber mangels Beweisen freikam.

Im Februar 1945 begann die Schlacht um Manila, die die Niederlage der Besatzer besiegelte. Während die U.S. Army die Stadt mit schwerem Bombardement überzog, verwandelten die Japaner die Metropole durch systematische Brandschatzungen in eine Flammenhölle und verübten grausame Massaker unter der Zivilbevölkerung. Von japanischen Marines in dem Erdbunker aufgespürt, wo sie die letzten Tage der Kämpfe verbracht hatten, kam Familie Steiner nur knapp mit dem Leben davon. Ihre gesamte Habe war ein Raub der Flammen geworden, darunter auch Lise Monikas Buchmanuskript über philippinische Zierpflanzen und Hunderte von ihr hergestellter Pflanzenaquarelle, Resultat jahrelanger Arbeit. Die traumatisierenden Ereignisse hielt sie später in einem eindrucksvollen, in einer philippinischen Zeitung veröffentlichten Bericht fest, mit dem bitteren Resümee: „There I was running away from Hitler’s Germany, from beautiful Vienna, leaving behind my parents and property, starting life anew, meeting and marrying a fine man, having two children, trying to build up home. And it is all gone again, burned up in a few hours.“

Expertin für philippinische und pazifische Flora

Nach Kriegsende war die Fortsetzung einer Laufbahn an der durch die Kampfhandlungen zerstörten Universität vorerst nicht möglich. Steiner, die ihren Vornamen mittlerweile auf „Mona Lisa“ geändert hatte, bewies erneut ihr Talent, Notlagen kreativ zu wenden. 1946 gründete sie eine kommerzielle Pflanzenzucht („Monas Botanical Garden“), in der sie Pflanzenmaterial zu wissenschaftlichen Zwecken, für den Export sowie zur Neubepflanzung des zerstörten Stadtraums kultivierte. Weiters initiierte sie eine Art Verschönerungsverein-Bewegung, die auf die Errichtung von Parks in den Provinzen abzielte, um die kriegsbedingt verwüsteten Flächen zu begrünen. So entstanden lokale Gartenklubs in verschiedenen Landesteilen. Auch an der Neugestaltung des Botanischen Gartens von Manila hatte Steiner maßgeblichen Anteil. Mittlerweile dreifache Mutter, setzte sie ihre Forschungen zur philippinischen Flora fort und wurde zu einer anerkannten Expertin auf dem Gebiet der Tropenbotanik, insbesondere der Orchideenforschung. So war sie an einem am National Herbarium in Manila gestarteten Projekt zur Erstellung eines Herbars zur Dokumentation der einheimischen Flora (als einzige Frau und Europäerin) beteiligt. Die fünfziger und frühen sechziger Jahre waren gekennzeichnet durch intensive Feldforschung, Vortrags- und Publikationstätigkeit sowie Reisen zu Fachkongressen und Vernetzung mit Botanischen Gärten und Forschungseinrichtungen wie Kew Gardens oder Smithsonian. 1952 erschien, mit Reg S. Davis als Co-Autor, das Standardwerk „Philippine Orchids“ (2. Aufl. 1982; dass der Co-Autor als Erstgenannter aufscheint, stellte eine für die Wissenschaftlerin schmerzhafte Aneignung der von ihr geleisteten Hauptarbeit zu dem Werk dar). Auf Basis von Steiners wöchentlichen Kolumnen zu einheimischen Pflanzen in philippinischen Zeitungen entstand im selben Jahr das Buch „Philippine Ornamental Plants and Their Care“ (2. Aufl. 1960, 3. Aufl. 1986), das eine Brücke von der wissenschaftlichen Forschung zur praktischen Arbeit im Bereich des Gartenbaues schlagen sollte, war Steiner doch stets bestrebt, Wissenschaftspraxis mit breiter gesellschaftlicher Vermittlung und Bewusstseinsbildung zu verknüpfen. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Arbeit waren Taxonomie und Nomenklatur von Pflanzen. 1961 legte sie ein Wörterbuch der volkstümlichen Bezeichnungen von Nutzpflanzen des pazifischen Raums vor („A Dictionary of Vernacular Names of Pacific Foodplants“). Nachdem sie 1952 ihre Dissertation erneut an der Universität Wien eingereicht hatte, konnte sie den 1938 untersagten Studienabschluss nachholen.

Rückkehr wider Willen

Die 1965 gegen ihren Wunsch aufgrund der beruflichen Tätigkeit ihres Mannes erfolgte Rückkehr Mona Lisa Steiners nach Wien bedeutete einen Bruch ihrer wissenschaftlichen Karriere. Als Frau und Remigrantin mit jüdischen Wurzeln standen ihre Chancen, im akademischen Bereich Fuß zu fassen, denkbar schlecht. Zudem fehlte schlicht die Grundlage ihrer Arbeit, die tropische Flora. Einmal mehr wusste sie sich neu zu orientieren und fand eine Möglichkeit, ihre Erfahrungen mit asiatischen Kulturen und die Liebe zu den Pflanzen zu verbinden: Sie entwickelte die Wiener Schule des Blumensteckens, eine vom japanischen Ikebana inspirierte Technik des Blumenarrangements, die sie in der Österreichischen Gartenbau-Gesellschaft viele Jahre lang in Kursen vermittelte und die bis heute dort gepflegt wird. In zwei Büchern legte sie die theoretischen, praktischen und ästhetischen Aspekte des Blumensteckens dar.

1999 kehrte sie noch einmal zu einem ihrer wissenschaftlichen Schwerpunkte zurück, der Nomenklatur von Pflanzen. Sie initiierte eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung beauftragte, an der Universität für Bodenkultur erstellte mehrsprachige Internet-Datenbank für Nutzer im Bereich der Landwirtschaft, der Botanik oder der pharmazeutischen Industrie sowie interessierte Laien. Darin waren mehr als 600 Nutzpflanzen eingetragen, unter anderem in lokalen Sprachen des asiatisch-pazifischen Raums.

1996 wurde Mona Lisa Steiner die hohe philippinische Auszeichnung Banaag Award verliehen. 1998 erhielt sie den Berufstitel „Professor“. 2009 wurde eine Orchideenart nach der Forscherin benannt. Seit 2018 trägt eine Verkehrsfläche in einer Wiener Gartensiedlung ihren Namen. Ihre wissenschaftlichen Leistungen auf dem Gebiet der Tropenbotanik erfuhren u. a. im Rahmen eines Forschungsprojekts an der Universität Wien eine späte Würdigung. Mona Lisa Steiner starb am 10. April 2000 in Wien.


Weitere Werke (Auswahl): Untersuchungen über die Wirkung karzinogener Substanzen auf höhere Pflanzen, Diss. Wien, 1952; Endemic and Indigenious Species of the Philippines, in: Proceedings of the eighth Pacific Science Congress of the Pacific Science Association […] 1953, Bd. 4: Botany, 1957; The Problem of Vernacular Names of Plants in the Pacific and its Solution, in: Proceedings of the ninth Pacific Science Congress of the Pacific Science Association […] 1957, Bd. 4: Botany, 1962; Philippinische Orchideen, in: Die Orchidee 18, 1967; Blumenstecken. Wiener Schule, 1982; Trockengestecke. Wiener Schule. Anleitungen zum Trocknen und Haltbarmachen von Blumen und Pflanzenmaterial, 1982; The Hellfire of Manila, in: Philippines Free Press, 8. 2. 2003, DÖW 51.242/C2.


Literatur: Hans Steiner, Nie wieder Wien? Erinnerungen an Jugend und Exil, ed. Ruth Steiner, 2009; Christine Kanzler, „Ich kann überall Wurzeln treiben …“. Einblicke in das Leben und Werk der Wiener Botanikerin Mona Lisa Steiner (1915–2000), in: Frauen schreiben gegen Hindernisse II. Zu den Wechselwirkungen von Biografie und Schreiben im weiblichen Lebenszusammenhang, ed. Susanne Blumesberger, 2010, S. 103–112; Experimentalbiologie im Wiener Prater. Zur Geschichte der Biologischen Versuchsanstalt 1902–1945, ed. Klaus Taschwer u. a., 2016, S. 50–52; Sonja Walch, Tropenbotanik im Exil: Geschlechterspezifische Arbeitspraktiken und strukturelle Bedingungen, in: LʼHomme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 27, 2016, H. 2, S. 109–118; Michael Kiehn, Wissenschaftliche Arbeiten und Kontakte von Frau Prof. Dr. Mona Lisa Steiner im Pazifischen Raum, in: Wiener Geschichtsblätter 73, 2018, S. 105–116; Leopold Urban, Zwei Persönlichkeiten des österreichischen Gartenbaus. Verfolgte des Nationalsozialismus. Mona Lisa Steiner (1915–2000). Josef Falch (1907–1989), DÖW 52.172/04; Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Universität Wien 1938; Gedenkbuch für die Opfer des Nationalsozialismus an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Lise Monika Lindenberg, Briefe an Ignaz und Therese Lindenberg, 6. 10. 1938, DÖW 51.242/A1, 22. 2. 1939, DÖW 51.242/A2; Curriculum Vitae Dr. Mona Lisa Steiner-Lindenberg, DÖW 51.242/C1; Mona Lisa Steiner, Biografische Aufzeichnungen, DÖW 51.242/C1).

                                       (Christine Kanzler)