Vor 80 Jahren an der Liechtensteiner Grenze erschossen: Hilda Monte im Kampf für die „Einheit Europas“

Dienstag, 17. April 1945, im Morgengrauen: Ein Beamter der Grenzaufsichtsstelle Tisis in Feldkirch/Vorarlberg stoppt einen Fluchtversuch mit seiner Dienstwaffe. Die am Oberschenkel getroffene Frau verblutet rasch und wird (angesichts ihrer mitgeführten Papiere) auf dem evangelischen Friedhof nahe dem Feldkircher Bahnhof begraben. Doch dass es sich nicht um die Berliner Kontoristin Eva Schneider, sondern eigentlich um eine 1914 in Wien geborene Jüdin handelt, stellt sich erst später heraus.

Hilde Frieda Meisel kam am 31. Juli 1914 in der Wiener Pfeilgasse als zweite Tochter von Ernst (1886–1953) und Rosa Meisel, geb. Meyer (1889–1987) zur Welt. Es war eine Welt, die sich gerade in den ersten Tagen jenes „Großen Kriegs“ befand, der in den nachfolgenden vier Jahren viele Millionen Menschen das Lebens kosten und die Grenzen Europas neu ziehen sollte. Lange blieb die Familie nicht in Wien, denn bereits 1915 folgte der Umzug nach Berlin. Für die meisten war es eine Rückkehr, denn sowohl die Hochzeit der Eltern als auch die Geburt der Schwester Margot (1912–2003) fanden in Berlin statt. Während Ernst Meisel eine Import-Export-Firma führte, besuchte Hilde Meisel die Cecilienschule am Nikolsburger Platz – unweit der Wohnung in der Landhausstraße 3 in Berlin-Wilmersdorf.

Schon als Jugendliche schloss sie sich dem Internationalen Sozialistischen Kampfbund (ISK) an, der 1926 vom Philosophen Leonard Nelson mitbegründet wurde. 1929 – ihr Onkel, der ebenfalls in Wien geborene Komponist und Dirigent Edmund Meisel (1894-1930), war gerade auf Tournee in England – reiste Hilde Meisel erstmals nach London. Nach einigen Kursen in Kunst (London Polytechnic) und Politik (London School of Economics) kehrte sie aber nach Deutschland zurück und arbeitete als Redaktionsmitglied der erst 1932 gegründeten ISK-Tageszeitung „Der Funke“. Im selben Jahr verbrachte sie auch einige Monate als Korrespondentin der Zeitung in Paris und Brüssel, doch nach der Machtergreifung Hitlers wurde der ISK mitsamt seinem jungen Druckwerk im März 1933 verboten. Mit Unterstützung seiner ausländischen Schwesterorganisationen setzte er seine Arbeit im Untergrund fort, woran sich auch Hilde Meisel – die sich bald Hilda Monte nennen sollte – beteiligte.

Paris – London – Europa

Im Vorfeld der „Volksabstimmung“ vom 19. August 1934 – als sich Adolf Hitler nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in unfreien Wahlen zum Führer und Reichskanzler küren ließ – engagierte sich die 20-Jährige in der widerständischen Aufklärungsarbeit. Bald darauf ging es für die nunmehrige Hilda Monte dann doch ins Exil nach Paris, wo sie für die Nachfolgezeitung „Sozialistische Warte“ weiterhin in Diensten des ISK blieb. In den folgenden Jahren reiste sie aber auch immer wieder zurück ins Deutsche Reich, um in geheimer Mission Informationen auszutauschen und Widerstandsaktionen mitzuorganisieren. Zwischendurch änderte sich nur ihr Ausgangspunkt, denn 1936 emigrierte sie nach London. Dort heiratete sie zwei Jahre später den deutsch-britischen Karikaturisten John (Arthur William) Olday (auch Oldag), um damit der drohenden Ausweisung zuvorzukommen. Dass es sich dabei um eine Scheinehe handelte, kümmerte die britischen Behören nicht. Durch die Hochzeit im Besitz eines britischen Passes, blieb Hilda Monte-Olday auch die Internierung erspart, die andere „feindliche Ausländer“ ab 1940 über sich ergehen lassen mussten.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs im September 1939 markierte in Montes Wirken jedoch trotzdem einen bedeutenden Wendepunkt. Denn gemeinsam mit Fritz Eberhard (bürgerlicher Name bis 1933 Hellmuth von Rauschenplat) und Hans Lehnert trat sie nun aus dem ISK aus, da sich ihre Ansichten in Bezug auf den direkten Kampf gegen Hitler inzwischen zu stark von jenen des ISK unterschieden. Ihre Auffassung der Bekämpfung des deutschen Diktators machte sie in der Publikation „How to conquer Hitler – A Plan of Economic and Moral Warfare of the Nazi Home Front“ deutlich, die sie 1940 gemeinsam mit Eberhard veröffentlichte. Außerdem war sie am Aufbau des Radiosenders Europäische Revolution beteiligt und arbeitete für die deutschen Arbeiter-Sendungen der BBC. 1942 berichtete sie im Radio auch über die begonnene Massenvernichtung von Jüdinnen und Juden im besetzten Polen. Daneben schrieb sie Gedichte und arbeitete an ihrem Roman „Where Freedom Perished“, der allerdings erst posthum 1947 erscheinen sollte. Im Oktober 1943 kam in London ihr Buch „The Unity of Europe“ heraus, in dem sie eine Vision für ein vereintes sozialistisches Europa mit gemeinsamen Institutionen als politisch unabhängige revolutionäre Kraft zwischen den USA und der Sowjetunion entwickelte. 1944 ließ sie sich zusammen mit Anna Beyer, einer ehemaligen ISK-Kameradin, im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes OSS und österreichischer Sozialisten im besetzten Frankreich mit dem Fallschirm abwerfen, um Kontakte zur Resistance zu knüpfen. Bald darauf holten René (1907–1969) und Hanna Bertholet, geb. Grust (1901–1970), die seit 1940 den ISK von der Schweiz aus unterstützten, sie zuerst ins Tessin und dann nach Zürich, wo sie mit Gleichgesinnten Pläne für die Zeit nach der Befreiung entwarfen. In dieser Zeit fertigte Monte auch Tonskulpturen an.

Tod in Feldkirch

Im April 1945 meldete sich Monte erneut für einen heiklen Auftrag. Von Zürich aus ging sie illegal über die Grenze, um Kontakte mit Sozialisten in Vorarlberg herzustellen. In ihrem Kopf hatte sie einen Fragebogen, mit dem sie das Verhältnis verschiedener Widerstandsgruppen zueinander und die politischen Perspektiven in Vorarlberg nach der Befreiung ausloten sollte. Vermutlich stand auch die Frage, welche Möglichkeiten es gäbe, sozialistische Emigranten ins Deutsche Reich zu schleusen, um den politischen Neuanfang nach der Befreiung vorzubereiten, im Fokus. Doch die geplante Rückkehr in die Schweiz scheiterte. Drei Wochen nach Montes Tod kapitulierte die Wehrmacht – der Zweite Weltkrieg in Europa war vorbei.

Gedenken an Hilda Monte

Dass heute auf dem evangelischen Friedhof in Feldkirch ein Gedenken an Hilda Monte stattfinden kann, ist nicht zuletzt dem ersten Vorarlberger Arbeiterkammerpräsidenten der Nachkriegszeit zu verdanken. Anton Linder, bis 1934 sozialdemokratischer Landtagsabgeordneter, Bundesrat und Angehöriger des Dornbirner Gemeinderats, flüchtete nach dem Verbot seiner Partei in die Schweiz. Dort engagierte er sich bis 1945 im österreichischen Widerstand und wusste dadurch vom Schicksal Hilda Montes. 1947 erwirkte der nunmehrige Nationalratsabgeordnete schließlich die Richtigstellung der Personalien im Feldkircher Sterberegister. Als Zeugen führte er auch die Eltern Hilda Montes an, denen 1938 die Flucht nach Ägypten gelungen war.

Neben der formalen Änderung der Daten veranlasste Linder auch, dass der Grabstein mit den spezifischen Zusätzen „Hier ruht unsere unvergessliche Genossin“ sowie „sie lebte und starb im Dienste der sozialistischen Idee“ versehen ist. Dieser Stein ersetzte bald das schlichte hölzerne Grabkreuz. Ab dem Sommer 2020 wurde der Grabstein restauriert und im Februar 2021 – nach einer kurzen Posse um eine alternative Inschrift auf der nach vorne gedrehten Rückseite – in seiner ursprünglichen Form wiedererrichtet. Seit 2021 tritt das Jüdische Museum Hohenems als offizieller Grabnutzer in Erscheinung. Das 30 Jahre zuvor eröffnete Museum, das in seiner Dauerausstellung schon länger das Schicksal Hilda Montes thematisiert, war es auch, das im selben Jahr gemeinsam mit Kooperationspartnern aus dem religiösen, wissenschaftlichen sowie politischen Umfeld eine Gedenkveranstaltung organisierte. Sowohl die Enthüllung der Gedenktafel als auch der anschließende Vortrags- und Diskussionsabend wurden während der damals vorherrschenden Pandemie per Livestream übertragen und finden sich auch heute noch zur Nachschau im Internet.

Auch andernorts wird an das Schicksal Hilda Montes erinnert. So wurde bereits im Dezember 2006 ein Stolperstein vor ihrem letzten Wohnort in Berlin-Wilmersdorf verlegt. Außerdem beschäftigte sich die Forschung mehrfach mit Hilda Monte, wie etwa Angelika Rosina Kuntner für die Vorarlberger Johann-August-Malin-Gesellschaft im Jahr 2009 oder der deutsch-französische Historiker Andreas Wilkens, der der 2023 erschienenen Neuauflage von Montes Werk „The Unity of Europe“ eine umfangreiche Biographie voranstellte. Neben der Benennung von Straßen in Hamburg-Bergedorf und Bergkamen wird seit kurzem wiederum in Vorarlberg und Liechtenstein unweit ihres Sterbeortes auch an einem Radweg Hilda Montes gedacht. QR-Codes auf zwei symbolischen Grenzsteinen aus dem 2022 eröffneten Projekt „Über die Grenze“ ermöglichen Interessierten den Zugang zu einer Hörgeschichte über die vor 80 Jahren verstorbene Widerstandskämpferin.


Weitere Werke: Help Germany to revolt!, 1942 (mit Hellmuth von Rauschenplat); Where freedom perished, 1947; Gedichte, 1950 (unter dem Namen Hilde Meisel gemeinsam mit Hans Lehnert).


Literatur: Heimat Diaspora, ed. Hanno Loewy, 2008, s. Reg.; Angelika Rosina Kuntner, Ein Tod bei Feldkirch. Leben und Werk der Widerstandskämpferin Hilde Monte-Olday (1914–1945), 2009 (malingesellschaft.at); Ellen Babendreyer, Hilda Monte (1914–1945). Widerstand aus dem Londoner Exil in den 1940er Jahren, 2013 (PDF via erinnern.at); Hilda Monte. The Unity of Europe, ed. Andreas Wilkens, 2023; Stolpersteine in Berlin; Die letzten Europäer; Über die Grenze; Hohenems Genealogie.

(Raphael Einetter)