Die Schülerin der legendären Jugendkunstklasse von Franz Čižek verfolgte entschlossen eine schöpferische Laufbahn, die sie durch mehrere Länder und Genres führte. Heitere Kinderszenen sind ebenso Teil ihres Werks wie düstere Holzschnitte nach Edgar Allan Poe, Porträts, Modezeichnungen oder Kostümentwürfe. Mit dem viel gelesenen Buch „Journey into a Fog“ über ihre Erfahrungen als Kunsterzieherin in Londoner Jugendclubs der 1950er-Jahre war sie auch finanziell erfolgreich.
Margarete Hamerschlag kam am 10. Mai 1902 als Tochter des praktischen Arztes Dr. Richard Hammerschlag und seiner Frau Pauline Hammerschlag, geb. Herz, in Wien zur Welt. Die Schreibweise der Vor- (Margaret(h)e/a) und Nachnamen wechselt in den Lebensdokumenten: Im „Geburts-Zeugnis“, ausgestellt von der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, ist Letzterer mit Doppelkonsonant („Hammerschlag“) angegeben, später setzt sich das einfache „m“ durch. 1904, knapp zweieinhalb Jahre nach Margaretes Geburt, wurde die Schwester Cornelia, genannt Nelly, geboren. Die Eltern vertraten sehr unterschiedliche Lebenskonzepte: Während der Vater seinen Arztberuf als soziale Aufgabe verstand und sich der Armenfürsorge in ländlichen Gegenden annehmen wollte, bevorzugte die Mutter eine urbane Umgebung mit gesellschaftlichem Umgang. Der Kompromiss bestand darin, dass sich Richard seinen gemeinnützigen Aufgaben in Wien widmen sollte, wo Pauline ein Leben nach ihren Vorstellungen führen konnte. Entsprechend wurden beide Mädchen von einer englischen Gouvernante, Nancy Harvey, unterrichtet, die auf die Schwestern großen Eindruck machte. Hamerschlags sehr gute Englischkenntnisse stammten aus dieser Zeit, auch in ihren (privaten) Aufzeichnungen wechselt sie immer wieder zwischen beiden Sprachen.
Neben dieser großbürgerlichen Erziehung erhielt Margarete Hamerschlag bereits als Kind Kunstunterricht: Sie besuchte die Jugendkunstklasse bei Franz Čižek, einem Maler, der sich in Wien auf Kunsterziehung spezialisiert hatte und seine Schülerinnen und Schüler zu einer freien und selbstbestimmten Arbeitsweise anregte. Geprägt und ermutigt durch dieses Konzept, sah sie sich schon früh als unabhängige Künstlerin, ein Selbstbild, das sie in ihrer Backfischzeit romantisch überhöhte und das sie über manche Enttäuschung hinwegtröstete. Hamerschlags Weg zeichnete sich also schon in jungen Jahren ab, und da die entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten für Frauen beschränkt waren, besuchte sie von 1917 bis 1922 die (k.k.) Kunstgewerbeschule in Wien, die seit ihrer Gründung 1867 auch Schülerinnen aufnahm – im Gegensatz zur Akademie der bildenden Künste, die Frauen erstmals zum WS 1920/21 zum Studium zuließ.
1921 publizierte sie unter dem Namen Gretl Hamerschlag das Buch „Kinderfreuden“ und verantwortete sowohl den Text als auch die Illustrationen. Das in einer Auflage von 1.000 Stück erschienene und auf der Handpresse der Wiener Werkstätte produzierte Buch erfreute sich großer Beliebtheit – und wird heute in Auktionshäusern für vergleichsweise hohe Beträge gehandelt. 1922/23 fertigte sie das Mappenwerk „Die Stadt“ an, das sich ebenfalls gut verkaufte; 1924 erschien im Kurt Wolff Verlag ein weiteres Mappenwerk mit Holzschnitten nach Edgar Allen Poes „Die Maske des roten Todes“. In diesen Arbeiten zeigt sie eine sehr unterschiedliche Bildsprache, die auch auf die verschiedenen Genres zurückzuführen ist. Gleichzeitig präsentierte sie sich damit als wandelbare und nicht auf das als Frauen-kompatibel geltende Kinderbuch festgelegte Künstlerin. „Die Stadt“ kann beispielsweise als künstlerischer Kontrapunkt zu den literarischen Momentaufnahmen des Flaneurs gelesen werden: Ihre Holzschnitte sind Vignetten, Momentaufnahmen des Großstadtlebens, in denen sich „Glanz und Elend“ verdichten; zudem hatte sie die Tätigkeit ihres Vaters, das geht aus Margarete Hamerschlags Aufzeichnungen hervor, sensibilisiert und ihren Blick für soziale Fragen und Probleme geschärft. Religion und religiöse Erziehung spielten in der Familie Hamerschlag hingegen eine untergeordnete Rolle. Von ihrer Amme Fanny wurde Margarete katholisch geprägt – sie blieb eine einflussreiche Gestalt, die einen Gegenpol zu den säkularen Eltern bildete. Entsprechend locker war die Bindung an das Judentum: 1926 trat sie gemeinsam mit ihrer Schwester offiziell aus der Israelitischen Kultusgemeinde Wien aus, später ließ sie sich wohl katholisch taufen.
1922 heiratete Hamerschlag den ebenfalls aus einer jüdischen Familie stammenden Architekten und Adolf Loos-Schüler Josef Berger; in den Folgejahren führte sie auch den Doppelnamen Hamerschlag-Berger bzw. Berger-Hamerschlag. Das Paar lebte in der Künstlersiedlung Am Rosenhügel, die zwischen 1922 und 1925 erbaut wurde. Margarete Hamerschlag arbeitete in dieser Zeit hauptsächlich als Illustratorin für Magazine wie „Wiener Mode“. Ihre künstlerischen Möglichkeiten waren freilich beschränkt: Frauen hatten (weiterhin) Probleme, sich an Ausstellungen zu beteiligen, auch nach dem Ersten Weltkrieg blieb ihnen der Zutritt zu bzw. eine Mitgliedschaft in den einflussreichen Künstlervereinigungen meist verwehrt. Eine der wenigen Möglichkeiten für Frauen, ihre Arbeiten öffentlich zu zeigen, bot sich im Dezember/Januar 1927/28 mit der ersten Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstlerinnen und Kunsthandwerkerinnen Wiener Frauenkunst im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, dem heutigen MAK: Margarete Hamerschlag beteiligte sich daran mit den Werken Opiumraucherin (Holzschnitt), Liebespaar von der Straße (Graphit), Liebespaar (Graphit) und Gasthaus (Aquarell).
Hamerschlags Interesse für Kleidung bzw. Mode zieht sich leitmotivisch durch ihr Werk und führte sie auch ans Theater: 1928 wurde sie als Kostümbildnerin an das 1922 von Anton Giulio Bragaglia gegründete Teatro degli Indipendenti in Rom engagiert. Mit Bragaglia, einem einflussreichen Futuristen, war sie freundschaftlich verbunden. Ihre Aktivitäten in Italien wurden auch in Österreich wahrgenommen: 1928 erschien in der Kultur- und Theaterzeitschrift „Die Bühne“ ein Artikel über Bragaglias Stück „La morte del dottor Faust“, in dem auch Hamerschlag und ihre Kostüme Erwähnung finden: Mit paternalistischem Gestus wird sie vorgestellt als „eine weibliche und eigenwillige Künstlerin, die nicht nur viel Schönes geschaffen hat, sondern selbst auch – sehr schön ist. Ihre Kostüme gaben das, was dort notwendig war: echtes Theater.“ Zurück in Wien konnte Hamerschlag an ihre Theater-Erfahrungen anknüpfen: Von 1929 bis 1931 war sie als Kostümbildnerin am Neuen Wiener Schauspielhaus (heute: Volksoper) tätig. Trotz dieser Erfolge gelang es weder Margarete Hamerschlag noch ihrem Mann Josef Berger, sich in Wien nachhaltig zu etablieren – die Auftragslage verschlechterte sich, zudem machte der sich zuspitzende Antisemitismus ein Leben für Menschen aus jüdischen Familien immer weniger erträglich. Das junge Ehepaar nutze einen Arbeitsauftrag, um Wien und Österreich zu verlassen: Im Mai 1934 schifften sie sich nach Palästina ein, wo Josef Berger am Bau eines Hotels in Haifa mitwirken sollte.
Während ihrer relativ kurzen Zeit in Eretz Israel – sie blieb dort rund eineinhalb Jahre – unternahm Margarete Hamerschlag ausgedehnte Reisen durch den Nahen Osten und füllte ihre Skizzenbücher. Diese Reise(auf)zeichnungen sind von einer großen Offenheit: Vorurteilsfrei nähert sie sich den Menschen an, immer auf der Suche nach dem Gemeinsamen, nicht dem Trennenden. Ihren Wohnsitz hatte Margarete Hamerschlag gemeinsam mit ihrem Mann in Haifa. Dort waren sie umgeben von deutschsprachigen Emigrantinnen und Emigranten wie dem Schriftsteller Arnold Zweig, den Hamerschlag 1935 porträtierte. Er konnte – ebenso wie das junge Ehepaar – dem Zionismus wenig abgewinnen; eine Haltung, die das Leben im Jischuw schwierig machte. Dennoch hinterließ Margarete Hamerschlag in Palästina künstlerische Spuren, und eine Zusammenarbeit mit der bekannten Tänzerin Yardena Cohen, für die sie als Kostümbildnerin tätig war, macht deutlich, wie eng die Habsburgermonarchie bzw. der deutschsprachige Raum und das jüdische Palästina damals miteinander verwoben waren: Cohen, 1910 nahe Haifa geboren, kam 1930 zunächst nach Wien, um an der damaligen Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst Ausdruckstanz zu studieren, anschließend ging sie nach Dresden zu Gret Palucca und kehrte 1933 nach Palästina zurück. Ob sich Hamerschlag und Cohen bereits in Wien begegnet sind und wie eng ihre Kooperation war, sind offene Fragen, denen noch nachzugehen ist. Auch über Hamerschlags Ausstellung, die 1935 in der Neuen Galerie in Jerusalem stattgefunden hat, ist (bislang) wenig bekannt.
Trotz dieser künstlerischen Betätigungsmöglichkeiten wollte das Ehepaar Hamerschlag-Berger nicht im Nahen Osten bleiben, denn die Sicherheitslage war prekär: 1935 machten sich schon die Vorboten des im Frühjahr 1936 losbrechenden Arabischen Aufstandes bemerkbar. Bereits im Dezember 1935 übersiedelte Margarete nach London, Josef folgte 1936, und im Dezember 1937 wurde dort der gemeinsame Sohn Florian (Raymond) geboren. An den Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit lässt sich deutlich ablesen, welchen Einschnitt das Leben mit einem Kind für die Künstlerin bedeutet hat: Während sie einerseits überwältigt war von Liebe zu ihrem Sohn, spürte sie andererseits den Verlust an Selbstbestimmung und (kreativer) Freiheit. Ihre Reflexionen dazu beindrucken durch schonungslose Ehrlichkeit und sind von einer zeitlosen Aktualität.
Die Kriegszeit belastete die gesamte Familie stark: Die Luftangriffe auf London 1940/41, die Internierung Josef Bergers als „enemy alien“ auf der Isle of Man (1940), die Sorge um die weltpolitische Lage und insbesondere um die in Österreich verbliebenen Freundinnen und Freunde überschatteten alles andere. Margarete Hamerschlags Mutter gelang es, noch vor Kriegsausbruch nach England zu entkommen; der Vater war 1927 an einem Herzschlag verstorben. Ihre Schwester Nelly wohnte bereits seit Anfang der 1930er-Jahre in Paris und entging in Frankreich auf bislang ungeklärte Weise der NS-Verfolgung.
Schon Ende der 1940er-Jahre nahm Margarete Hamerschlag ihre Reisetätigkeit wieder auf. Es ist offensichtlich, dass sie – neben all dem anderen Grauen von Krieg und Schoah – stark unter der Einschränkung ihrer Bewegungsfreiheit gelitten hat. Zwischen 1947 und 1954 reiste sie u. a. nach Korsika, Österreich, Sardinien und auf das italienische Festland. Im Juli und August 1954 war sie für einige Wochen gemeinsam mit der ebenfalls aus Wien stammenden Choreografin und Schauspielerin Gisa Geert unterwegs, die hauptsächlich für Theater und Film in Italien arbeitete und auch mit Anton Giulio Bragaglia kooperierte. Künstlerisch konnte Hamerschlag sich nach dem Krieg wieder etablieren: Sie beteiligte sich an verschiedenen Gruppenausstellungen und war als Designerin und Illustratorin tätig.
Wenige Jahre vor ihrem frühen Tod gelang Margarete Hamerschlag ihr wahrscheinlich größter kommerzieller Erfolg: 1955 publizierte sie den Band „Journey into a Fog“, in dem sie ihre Erlebnisse als Kunstlehrerin in Londoner Jugendclubs beschreibt; illustriert mit eigenen Zeichnungen. Eine Auflage von 25.000 Stück wurde verkauft, ein Jahr später erschien eine Taschenbuchausgabe. Das Buch ermöglichte es ihr, ein Haus für die Familie zu erwerben und in wirtschaftlicher Unabhängigkeit zu leben. Mit dem Titel der Publikation spielt die Autorin auf die Lebenswirklichkeit der aus sozial randständigen Familien stammenden Jugendlichen an, die sie unterrichtete. Möglicherweise soll dieser Titel aber auch einen Bezug herstellen zum Ungewissen, Verlorenen ihrer eigenen (Exil-)Situation. Gewidmet ist das Buch den beiden prägenden Männern ihrer Wiener Kindheit und Jugend: dem Vater Richard Hammerschlag und dem Kunstlehrer Franz Čižek. Für Margarete Hamerschlag, so führt sie es im Vorwort aus, stehen diese beiden für zwei unterschiedliche, aber dennoch zusammengehörige Elemente ihres Lebens: dem festen Glauben daran, dass jeder Mensch wertvoll ist, unabhängig von seiner Herkunft, Profession oder Ethnie – und jenem, dass Kunst aus innerer Freiheit und Lebensfreude geboren wird. Margarete Hamerschlag starb am 5. April 1958 im Alter von 55 Jahren in London; ein umfangreicher, sorgfältig erschlossener Nachlass wird in den Germanic Archives des Institute of Languages, Cultures and Societies (University of London) aufbewahrt. Allen Versuchen, Margarete Hamerschlags ereignisreiches Leben und ihr vielfältiges Werk wieder in Erinnerung zu rufen, war bislang leider kein nachhaltiger Erfolg beschieden.
Literatur: Margarete Hamerschlag. 1902 Wien – 1958 London, Wien 2008 (Katalog der Galerie Walfischgasse); Margarete Hamerschlag, Wien 2012 (Katalog der Galerie Walfischgasse und der Galerie bei der Oper); Anna-Dorothea Ludewig, „a sisterhood of the worlds women“ – Margarete Hamerschlags Bild-Text-Collagen, in: Standortbestimmungen zwischen Nähe und Ferne: Studien zur österreichischen Reiseliteratur, ed. Caitríona Leahy und Florian Krobbl, 2024, S. 145ff.; Anna Nyburg, Margarete Berger Hamerschlag and the Theatre. Vienna, Rome, London, in: German-Speaking Exiles in the Performing Arts in Britain after 1933, ed. Charmian Brinson – Richard Dove, 2013, S. 125ff.; „Sonderfall“ Angewandte: Die Universität für angewandte Kunst Wien im Austrofaschismus, Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit, ed. Bernadette Reinhold – Christina Wieder, 2024; L[eopold] W[olfgang] Rochowanski, Margarete Hamerschlag, in: Deutsche Kunst und Dekoration 67, 1930/31, S. 322ff.; Irma Trattner, Margareta Hamerschlag-Berger. Eine vergessene Künstlerin im Londoner Exil, 2023.
(Anna-Dorothea Ludewig)
Wir danken Raymond F. Berger, der Österreichischen Galerie Belvedere, Karl Sedlak sowie Kat Hubschmann.