Priester, Dichter, Volkskundler, Sprachwissenschaftler und Publizist – Urban Jarnik vereinte viele Rollen in einer Person. Sein Wirken war sowohl vom slowenischen Ableger der Aufklärung wie von der romantischen Gesinnung Herders geprägt.
Urban Jarnik wurde am 11. Mai 1784 als Sohn einer wohlhabenden Bauernfamilie auf dem Hof Nadižar in Bach/Potok bei St. Stefan/Štefan im Kärntner Gailtal geboren. Er besuchte das Gymnasium und das Priesterseminar in Klagenfurt/Celovec und verbrachte ein Studienjahr in Graz. Nach seiner Priesterweihe 1806 wirkte er zunächst als Kaplan in Tultschnig bei Krumpendorf / Čajnče pri Celovcu, danach ab 1809 in Gurnitz/Podkrnos und schließlich ab 1811 am Klagenfurter Dom. 1813 wurde er in der Klagenfurter Stadtpfarrkirche St. Egid als Prediger angestellt, wo damals sonntags auch eine slowenische Messe gelesen wurde. Ab 1818 fungierte Jarnik als Pfarrer im deutschsprachigen St. Michael am Zollfeld, ehe er von 1827 an für den Rest seines Lebens als Seelsorger in der damals noch gemischtsprachigen Pfarre Moosburg/Možberk nördlich des Wörthersees tätig war.
Als Priester setzte sich Jarnik für die Gleichberechtigung des Slowenischen ein. Anton Martin Slomšek, später Bischof von Lavant und 1999 seliggesprochen, hielt am Pfingstmontag 1838 in Jarniks Pfarre in Moosburg seine berühmte Predigt „Dolžnost svoj jezik spoštovati“ („Die Pflicht, seine eigene Sprache zu achten“).
Seine schriftstellerische Laufbahn begann Jarnik als Dichter. Die ersten diesbezüglichen Anregungen erhielt er in der Gailtaler Heimatpfarre vom Ortsgeistlichen Martin Koben, der vor seiner Versetzung nach Kärnten Professor für orientalische Philologie am Lyzeum in Ljubljana gewesen war. Am entschiedensten dürfte der Einfluss Jurij Japeljs gewesen sein, der am Klagenfurter Priesterseminar einen literarischen Zirkel leitete und den jungen slowenischen Intellektuellen für die sprachliche, literarische und nationale Erneuerung sensibilisierte. Auf Jarniks Nationalbewusstsein wirkten auch Werke und Anschauungen etwa des Lexikografen Ožbalt Gutsman oder des Sprachwissenschaftlers und Bibliothekars an der Wiener Hofbibliothek Jernej Kopitar, des Dichters Valentin Vodnik und nicht zuletzt die romantische Gesinnung Johann Gottfried Herders.
Weil Jarnik selbst erlebte, dass die slowenische Sprache neben der deutschen ein Schattendasein führte, beschloss er, sich bewusst für die Entfaltung seiner Volksgruppe und ihres Idioms einzusetzen. Schon in seinem ersten veröffentlichten Gedicht mit dem programmatischen Titel „Na Slovence“ (im Original „Na Slovenze“, d. i. „An die Slowenen“), publiziert 1811 in der Klagenfurter Zeitschrift „Carinthia“, kommt der Gedanke des nationalen Erwachens zum Ausdruck. Es wurde auch in deutscher Übersetzung veröffentlicht, wobei zum ersten Mal in Kärnten die Bezeichnung „Slovenen“ im Druck verwendet wurde. Jarnik gebrauchte in deutschen Texten das Adjektiv „slovenisch“ anstelle des damals noch üblichen „windisch“ oder „krainerisch“.
Der Slawist und Übersetzer Erich Prunč, der Jarniks Poesie grundlegend erforschte, stellt fest, dass der Priesterdichter „in mancher Hinsicht das literarische und ästhetische Niveau der zeitgenössischen slowenischen Poesie übertraf“. Jarnik gab die Dichtkunst nach einigen Jahren auf, obwohl der slowenische Nationaldichter France Prešeren, der von Jarniks Talent überzeugt war, versuchte, diesen zum Schreiben von Gedichten zu ermutigen, als er ihn 1832 gemeinsam mit Slomšek in Moosburg besuchte. Letztlich ist wohl nur rund ein Drittel von Jarniks Dichtungen erhalten.
Jarniks Bestellung an die Dompfarre zu Klagenfurt fiel zeitlich mit der Gründung der „Carinthia“ (1811) zusammen, der drittältesten heute noch erscheinenden Zeitschrift im deutschsprachigen Raum und ältesten Österreichs. In ihr fand Jarnik erste Publikationsmöglichkeiten. Sein Eintritt in den Kreis der „Carinthia“-Mitarbeiter markierte eine fruchtbare Periode der deutsch-slowenischen Zusammenarbeit in Kärnten. 1812 veröffentlichte Jarnik dort ein Kapitel über die Slawen aus Herders „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit“ mit dem Titel „Slavische Völker“, in dem jener den Wunsch äußert, es mögen Gebräuche, Lieder und Sagen als Grundlage einer umfassenden Geschichte der slawischen Völker gesammelt werden.
Jarniks Interesse an der Volkskunde wurde durch unkritische Nachdrucke des Kapitels „Der Gailthaler und die Gailthalerin“ aus einem Buch des Naturwissenschaftlers und Alpinisten Balthasar Hacquet ausgelöst. Seine Ergänzungen und Korrekturen zu Hacquets Darstellung veröffentlichte er unter dem Titel „Züge aus den Sitten der Gailthaler“ 1813 ebenfalls in der „Carinthia“ (Nr. 2–3). Im selben Jahr erschien sein Beitrag auch in den Wiener „Vaterländischen Blättern für den österreichischen Kaiserstaat“ (Nr. 12). Auf Anregung Kopitars verfasste Jarnik noch weitere Beiträge über Geografie und Geschichte des Gailtals sowie über Sitten und Bräuche seiner Bewohner:innen.
Das Büchlein „Zber lepih ukov za slovensko mladino“ (in der damaligen Schreibung „Sbér lépih ukov sa ,Slovensko mladíno“, d. i. „Sammlung schöner Lehren für die slowenische Jugend“, 1814) war für Schüler:innen bestimmt. Es gilt als erstes slowenisches gedrucktes Jugendbuch mit Übersetzungen aus anderen slawischen Sprachen. Jarniks „,Sadje-Reja“ (1817) wiederum, das erste Handbuch für den Obstbau in slowenischer Sprache, wandte sich an die breite ländliche Bevölkerung.
Nicht zuletzt wegen seiner 1842 im ersten Jahrgang der illyristischen Zeitschrift „Kolo“ in Zagreb erschienenen Abhandlung „Obraz slovenskoga narěčja u Koruškoj“ („Darstellung der slowenischen Mundart in Kärnten“) gilt Jarnik auch als erster slowenischer Dialektologe. Weiters sammelte er eine beträchtliche Anzahl von Wörtern aus dem slowenischen Gailtaler Dialekt für Vodniks als Manuskript erhaltenes deutsch-slowenisches Wörterbuch. Nach der Methode Josef Dobrovskýs begann er sich zudem mit Etymologie zu beschäftigen und veröffentlichte das Wörterbuch „Versuch eines Etymologikons der Slowenischen Mundart in Inner-Oesterreich“ (1832).
Anhand von etymologischen Erklärungen von Orts-, Gebiets-, Haus-, Fluss- und Bergnamen und verschiedenen historischen Quellen schrieb Jarnik seine vielzitierten „Andeutungen über Kärntens Germanisirung“, die 1826 – wiederum in der „Carinthia“ (Nr. 14, 16, 18–20, 22–26) – erschienen. Darin erörtert er die früher weitere Verbreitung des Slowenischen und die Ursachen für dessen Rückgang. Auch beschrieb er in diesem Werk detailliert die damalige slowenisch-deutsche Sprachgrenze. Der Artikel kann als erste gesellschaftspolitische und soziolinguistische Abhandlung über das Phänomen der Assimilierung einer Volksgruppe im österreichischen Raum gelten.
Obwohl Jarnik auf dem Land lebte, nahm er rege an wissenschaftlichen Diskussionen teil und führte Briefwechsel mit bedeutenden Zeitgenossen wie Kopitar, Prešeren, Slomšek, Vodnik, Ljudevit Gaj, Franc Metelko, Janez Nepomuk Primic, Izmail Sreznevskij, Pavel Josef Šafářík, Stanko Vraz und anderen.
Jarnik gilt als Begründer der Volkskunde unter den Kärntner Slowen:innen. So erschien es nur folgerichtig, das 1992 eingerichtete Klagenfurter Slowenische Volkskundeinstitut nach ihm zu benennen (Slowenisches Volkskundeinstitut Urban Jarnik / Slovenski narodopisni inštitut Urban Jarnik). Bereits 1930 erhielt die Jarnikova ulica in Ljubljana ihren Namen, ein identischer Straßenname findet sich in Maribor. 2022 schließlich wurde im Klagenfurter Stadtteil Lendorf, an der Straße von der Landeshauptstadt nach Moosburg, eine Brücke über die Wölfnitz nach Jarnik benannt.
Jarnik verstarb am 11. Juni 1844 in Moosburg. Im Inneren der dortigen Kirche zum Hl. Michael kann man noch heute seinen Grabstein besichtigen. Er wurde im Jahr 2000 auf Initiative des Urban-Jarnik-Instituts renoviert. Der Inschrift sind nun einige Verse aus Jarniks Gedicht „Zvezdišče“ von 1812 hinzugefügt. Dieses wurde in der Nachdichtung Johann Georg Fellingers als „Die Sternenwelten“ 1815 von Franz Schubert vertont. So lebt Jarnik – „ein wahrer Menschenfreund und ein gelehrter Slawe“, wie es im Sterbbuch der Pfarre Mossburg heißt, – indirekt auch musikalisch weiter.
Weitere Werke: Die slovenischen Sibyllen, in: Carinthia, 1813, Nr. 21; Ueber die Gailthaler in Kärnthen, in: Vaterländische Blätter für den österreichischen Kaiserstaat 2, Nr. 44–46, 48 und 69–70, 1813; Molitne bukvize sa otroke [Gebetbüchlein für Kinder], 1817; Erklärung der slavischen Inschrift auf dem kärntnerischen Herzogsstuhle, in: Carinthia, 1818, Nr. 4; Die vier Hauptnationen Europaʼs, in: Carinthia, 1818, Nr. 17; Samo, König der Karantaner Slawen, in: Kärntnerische Zeitschrift 2, 1820, S. 74ff.; Vʼ duhi katolishke zerkve molezh Kristjan [Der im Geiste der katholischen Kirche betende Christ], 1822; Kleine Sammlung solcher altslavischen Wörter, welche im heutigen windischen Dialecte noch kräftig fortleben. Ein Beytrag zur Kenntniß der alten hochslovenischen Büchersprache, 1822.
Literatur: E. Prunč, Urban Jarnik (1784–1844). Textologische Grundlagen und lexikologische Untersuchung seiner Sprache, 3 Bde., 1987–88; Urban Jarnik. Pesmi in prevodi [Urban Jarnik. Gedichte und Übersetzungen], ed. E. Prunč, 2002; Simpozij o Urbanu Jarniku. Zbornik predavanj [Urban-Jarnik-Symposium. Tagungsband], ed. M. Piko-Rustia, 2003; W. Baum, Urban Jarnik – Romantik, Nationalismus und Panslawismus in Kärnten, 2009; Urban Jarnik – Po sledovih njegove življenjske poti [Urban Jarnik – Auf den Spuren seines Lebensweges] (Videofilm, 20 Min.), Regie B. Vilhar – N. Križnar, 2000.
(Uši Sereinig – Martina Piko-Rustia)
Wir bedanken uns bei Martina Piko-Rustia für die kostenlose Bereitstellung von Bildmaterial.