DIE SCHRIFTSTELLERIN UND MALERIN EUFEMIA VON KUDRIAFFSKY (1820–1881)

Eine außergewöhnliche Frau behauptet sich in einer männerdominierten Gesellschaft.

Familie mit Migrationshintergrund

Die Familie Kudriaffsky stammte ursprünglich aus Kleinrussland, d. h. aus der heutigen Ukraine, wo sie zur dortigen Kosakenoberschicht gehörte. Eufemias Großvater Athanasius Kudriaffsky (Koudriawsky, Kudriawsky, Kudriavskij) war seit ca. 1776 an der russischen Gesandtschaft in Wien als Dolmetscher und Sekretär beschäftigt; bereits 1776 und 1781 scheint er als Vater zweier unehelicher Kinder auf. Die Kindesmutter, die Wiener Wirtstochter Katharina Krünes, heiratete er schließlich 1782. Noch im selben Jahr kam Eufemias Vater Johann zur Welt. Eine außergewöhnliche Auszeichnung erhielt Athanasius Kudriaffsky 1785, als ihm von Kaiser Joseph II. der Reichsadelsstand gewährt wurde. Der einfache Adels- und Freiherrnstand blieb sonst nur deutschen Untertanen des russischen Zaren vorbehalten. Und nur in hochpolitischen Einzelfällen waren Russen oder Ukrainern der Reichsgrafen- oder Reichsfürstenstand verliehen worden.

Athanasius’ zweitgeborener Sohn Johann von Kudriaffsky (1782–1840) heiratete 1817 die aus Oberschlesien stammende Kaufmannstochter Eufemia Wolf(f) (1791–1835) und am 4. Juni 1820 wurde die einzige Tochter Eufemia geboren. Johann von Kudriaffsky studierte an der Wiener Ingenieurakademie und fungierte dort später als Professor für Festungs- und Zivilbau. 1815 wurde er Hauptmann des Ingenieurskorps und wechselte 1817 in den Zivildienst in Wien, wo er als Oberbaudirektor und Leiter der Brücken- und Wasserbaudirektion tätig war. 1818–1836 unterrichtete er am Polytechnischen Institut und war maßgeblich an Brückenbauten und den Regulierungen der Donau und des Wienflusses beteiligt. Er gilt als Begründer der Wiener Schule des Brückenbaus.

Kindheit und Erziehung

Eufemia wuchs als Einzelkind auf und war daher meist von erwachsenen Personen umgeben. Sie erhielt eine sorgfältige Bildung, die auch später noch ihre Psyche und Sichtweisen beeinflussen sollte. Stundenlang in einer Ecke sitzend, konnte sie die Abenteuer des Robinson Crusoe oder Walter Scotts historische Romane vor ihrem geistigen Auge vorüberziehen und ihre Phantasie beflügeln lassen. Ihr Vater regte aber auch andere Lektüre an, wie etwa „Die Umwälzungen der Erdrinde“ des französischen Naturwissenschaftlers Georges Cuvier, die ihren Sinn für die Schönheiten der Natur öffnete. Eufemia galt als verschlossenes, „altkluges“ Kind, das sich nur schwer anderen mitteilen konnte. Im jugendlichen Alter wandte sie sich den klassischen Romanen etwa von James Cooper sowie den Werken von Friedrich Schiller, August von Kotzebue, Charles Dickens und Lord Byron zu, was besonders von ihrer Mutter gefördert wurde. Bei ihren Besuchen des Burgtheaters erwachte in ihr jedoch auch das Interesse für die darstellende Kunst. Ihre Begeisterung für Schauspieler:innen und ihre Interpretation der Stücke ließen sie ganze Rollen auswendig lernen und deklamieren.

Lebenskrise und daraus folgende Selbstverwirklichung

Nach einer ruhigen und sorgenfreien Jugendzeit verlor sie innerhalb von fünf Jahren zuerst ihre Mutter (1835) und dann ihren Vater. Im Alter von zwanzig Jahren war sie somit Vollwaise und auf sich allein gestellt. Ihr Vater war am 8. April 1840 freiwillig aus dem Leben geschieden, nachdem bei ihm „innere Verwachsungen einen krankhaften Gemütszustand“ hervorgerufen hatten. Obwohl er nach mehr als 35 Dienstjahren einen Pensionsanspruch erworben hatte, ging seine Tochter leer aus, da sie bereits das erwerbsfähige Alter erreicht hatte. Eufemia war jedoch von zarter körperlicher Beschaffenheit und litt an „Hemicrania continua“ (Migräne), die oft tagelang mit großer Heftigkeit anhielt und sie in den Zustand völliger Erschöpfung versetzte. Die k. k. Landesregierung in Österreich unter der Enns gewährte ihr deshalb bis zur Rehabilitation ihrer Gesundheit eine jährliche Gnadengabe von 300 Gulden.

Eufemia meisterte diese persönliche Krise, indem sie sich auf ihre Neigungen und künstlerischen Interessen besann und diese wiederbelebte. Sie befasste sich mit Naturwissenschaften, vor allem Botanik, legte ein Herbarium an und wagte sich sogar an das Erlernen der lateinischen Sprache. Als Erzieherin in einem Privathaushalt verschaffte sie sich schließlich ein regelmäßiges Einkommen. Durch diese zehn Jahre als Erzieherin gelang es ihr, die Isolation von der Umwelt und den Menschen zu durchbrechen. Ausgezeichnete Lehrer, neue Bekanntschaften und die Benützung einer gutsortierten Bibliothek erweiterten ihr Netzwerk und ihren Horizont.

Schülerin von Moritz Daffinger und Franz Alt

Eines Tages musste Eufemia die Tochter des Hauses zum Maler Moritz Michael Daffinger begleiten, der diese porträtieren sollte. Dieser Besuch wurde zu einem Schlüsselerlebnis für ihren weiteren Lebensweg, als ein Album mit Blumenbildern, das ihr der Maler gezeigt hatte, sie selbst zum Malen von Blumen und Pflanzen anregte. Nicht nur ihr eigenes Herbarium, sondern auch der jährliche Aufenthalt in Ischl boten reiches Material an Alpenblumen, die in der Folge ihr bevorzugtes Sujet wurden. Nach und nach erkannte sie ihr künstlerisches Talent: Als Autodidaktin und durch gelegentlichen Unterricht bei verschiedenen Meistern, wie zum Beispiel bei Franz Alt, die ihr wertvolle Hinweise in der Maltechnik gaben, konnte sie sich eine bemerkenswerte künstlerische Virtuosität aneignen. Das MAK – Museum für angewandte Kunst in Wien verwahrt noch heute in seinen Sammlungen 541 Aquarelle und Zeichnungen von Blumen, Pflanzen und Früchten, die ihre malerische Meisterschaft unter Beweis stellen.

Hinwendung zur Schriftstellerei

Eufemia von Kudriaffsky war jedoch nicht nur mit dem Malerpinsel unterwegs, sondern trat auch als umtriebige Autorin kulturhistorischer Arbeiten hervor. Ihre literarischen Artikel wurden in verschiedenen Zeitschriften und Journalen des In- und Auslands publiziert. 1859 und 1860 ging sie nach Dresden, wo sie sich einige Zeit in den dortigen Künstlerkreisen aufhielt, an Ausstellungen teilnahm, Erfahrungen sammelte und sich persönlich weiterentwickelte. Vor allem ihre literarischen Ambitionen erfuhren in Dresden einen nachhaltigen Anschub. Sie freundete sich mit Karl Gutzkow an, der ihr wiederum Zutritt etwa zu den Häusern von Major Friedrich Anton Serre, Professor Julius Hübner, Direktor Karl August Georgi, Geheimrat Carl Gustav Carus und Charles Edouard Duboc (Ps. Robert Waldmüller) verschaffte, wo unter anderem Clara Schumann, Hans Christian Andersen, Gustav Graben-Hoffmann, Rosalie Spohr und Ida von Reinsberg-Düringsfeld  verkehrten.

Kein „frauenzimmerliches Toilette-Geplauder“

Nach Wien zurückgekehrt, hielt sie Vorträge und veröffentlichte neben Beiträgen in Journalen („Japan und seine Literatur“, in: Das Ausland 46, 1873, Nr. 38; „Höflichkeit in Japan“, in: Das Ausland 50, 1877, Nr. 30) auch eigenständige Bücher: „Die Wohlgerüche“ (1872), „Japan. Vier Vorträge nebst einem Anhange japanischer Original-Predigten“ (1874) und „Die historische Küche“ (1880). Die Begeisterung für Japan war übrigens durch den Besuch der Wiener Weltausstellung geweckt worden. Wie schwer man es in jener Zeit als Frau hatte, kommt bei einem Rezensenten in der „Neuen Freien Presse“ vom 10. Mai 1872 deutlich zum Ausdruck: Er bemerkt über die Studie „Die Wohlgerüche“, dass er das Buch immer wieder beiseitegeschoben habe, weil er meinte, es mit einem „frauenzimmerlichen Toilette-Geplauder“ zu tun zu haben. Doch sei er bei der Lektüre sehr überrascht gewesen, dass das Büchlein eine erstaunliche Gelehrsamkeit und „manchen feinen Wink über die Bereitung der Wohlgerüche, Pomaden, Schminken – Alles in culturhistorischer Beleuchtung“ offenbart habe.

Bei der Heraldisch-Genealogischen Gesellschaft ADLER

Auf die Heraldisch-Genealogische Gesellschaft ADLER, die im Mai 1870 gegründet worden war, war Eufemia von Kudriaffsky schon bald aufmerksam geworden, da sie ähnliche Interessen wie die Gesellschaft verfolgte und auch mit einigen von deren Protagonisten persönlich bekannt war. Bereits kurz nach ihrem Beitritt zum ADLER, im Februar 1871, arbeitete sie an dessen Vereinszeitschrift mit und publizierte „Heraldisch-genealogische Notizen über die Familie Shakespeare’s“ (in: Heraldisch genealogische Zeitschrift 1, 1871). In einem weiteren Aufsatz referierte sie über „Thomas Mowbray, Herzog von Norfolk“ (in: Heraldisch genealogische Zeitschrift 3, 1873).

Ihr größter künstlerischer Beitrag war jedoch der am 22. November 1871 gehaltene Vortrag über „Die zwölf Tugenden des Ritters“, den sie mit eigener Hand in 15 Originalgemälden in ihrem künstlerischen Stil entsprechend illustrierte. Dieser wird noch heute in der Bibliothek des „Adler“ verwahrt.

Vor ihrer Erkrankung im Winter 1879/80 stellte sie noch ein umfangreiches Sammelwerk, „Die Spiele“, als ihr letztes Werk zusammen. Trotz eifriger Bemühungen des Sekretärs Josef Böck-Gnadenau wurde dafür jedoch kein Verleger gefunden. Eufemia von Kudriaffsky sollte sich von ihrer schweren Krankheit nicht mehr erholen. Sie starb am 3. Jänner 1881 an Lungenentzündung und wurde auf dem Wiener Zentralfriedhof (Gruppe 15A, Reihe 8, Grab 27) begraben. Heute befindet sich an diesem Platz die Grabstelle anderer Personen und nichts erinnert mehr an sie.


Quellen: Heraldisch-Genealogische Gesellschaft ADLER (Bibliothek); MAK – Museum für Angewandte Kunst (Sammlung online); Österreichisches Staatsarchiv / Allgemeines Verwaltungsarchiv, Adel, Reichsadelsakt 235.7 (Kudriawsky, 29.4.1785); Österreichisches Staatsarchiv / Finanz- und Hofkammerarchiv, k.k. allgemeine Hofkammer Zl. 38978/1840 und 22905/1840; Wienbibliothek im Rathaus (Handschriftensammlung: Autobiographie von Eufemia von Kudriaffsky 1820–1862 in ihrem Stammbuch).


Literatur: Wurzbach; Oesterreichische Buchdrucker-Zeitung 9, 1881, S. 27; Österreichischer Wappenalmanach, 1970, S. 18f.; Erik Amburger – Hanns Jäger-Sunstenau, Das Geschlecht der Kudriaffsky. Ukraine-Wien-St. Petersburg, in: Genealogisches Jahrbuch 10, 1970, S. 21ff.; Michael Göbl, Die Schriftstellerin und Malerin Eufemia von Kudriaffsky (1820–1881) als heraldische Künstlerin, in: Zeitschrift ADLER 32, 2023, S. 163ff.; biografiA, biografische Datenbank und Lexikon österreichischer Frauen.

(Michael Göbl)