Die mutige Österreicherin wurde von der Internationalen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem als „Gerechte unter den Völkern“ geehrt.
Viktor Frankl, Begründer der Logotherapie und Existenzanalyse sowie Holocaustüberlebender, war seit seiner Befreiung aus dem Konzentrationslager stets dagegen aufgetreten, der deutschen und österreichischen Bevölkerung eine „Kollektivschuld“ an den Verbrechen der Nationalsozialisten zuzuweisen. Zum Beweis seiner nicht unumstrittenen Auffassung führte er Menschen an, die sich ungeachtet des Risikos, selbst in die NS-Repressionsmaschinerie zu geraten, für jüdische Verfolgte eingesetzt hatten: „Da gab es in Wien eine katholische Baronin, die unter Lebensgefahr eine Cousine von mir jahrelang in der Wohnung verborgen hielt.“ – Wer war die Frau, auf deren Beispiel Frankl seine Argumentation gegen die Kollektivschuldthese stützte?
Friderike Freiin von Mühlwerth-Gärtner wurde am 13. Jänner 1879 als Tochter des k. u. k. Oberstleutnants, Publizisten und Vorstands der Schriftenabteilung des Kriegsarchivs Friedrich Freiherr von Mühlwerth-Gärtner (1836–1890) und der Schriftstellerin Stefanie, geborene Freiin Skerlecz von Lomnicza (1842–1931), in Wien geboren. Ausgebildet bei Alexander Römpler, schlug sie zunächst eine Laufbahn als Schauspielerin ein und war ab 1898 unter dem Künstlernamen Frida Meinhardt am Deutschen Volkstheater sowie an weiteren Wiener und deutschen Bühnen engagiert, bevor sie sich mehr und mehr auf die Vortragskunst verlegte. Ihr Repertoire umfasste vor allem Werke österreichischer Schriftsteller wie Peter Rosegger, Anton Wildgans oder Franz Karl Ginzkey, aber auch heute fast vergessener Autorinnen und Autoren wie Kory Towska. Tourneen führten sie durch Österreich und das benachbarte Ausland. Dass die Künstlerin nach eigener Aussage am liebsten in den Wiener Arbeiterbildungseinrichtungen auftrat, steht in deutlichem Kontrast zu ihrem adeligen Herkunftsmilieu. Wie nahe sie ideologisch der Sozialdemokratie tatsächlich stand, ist heute kaum zu beurteilen; im Rahmen einer altruistischen Grundhaltung und der ausgeprägten Bereitschaft, sich für Menschen in Notlagen einzusetzen, erscheinen Meinhardts auf den ersten Blick widersprüchliche Einstellungen wie ihre Sympathie für die Arbeiterbewegung und ihre später erkennbare ausgeprägte Religiosität vereinbar.
Im Dezember 1907 begegnete Frida Meinhardt im Arbeiterbildungsverein in der Gumpendorfer Straße dem damals noch unbekannten Arbeiterdichter Alfons Petzold, von dessen ersten lyrischen Versuchen wie auch prekärer materieller und gesundheitlicher Situation sie tief beeindruckt war: „Als ich nun dies alles aus seinem Munde hörte und seine kranke Lunge immer mehr schmerzte und, je mehr er litt, seine Dichtungen immer schöner und mächtiger wurden, da begann mein Amoklaufen für ihn.“
Meinhardt, die man heute wohl eine Netzwerkerin nennen würde, ließ nun ihre Kontakte zu Künstler- und Intellektuellenkreisen spielen und gewann eine Reihe von Persönlichkeiten, allen voran den Burgschauspieler Ferdinand Gregori, als Gönner des aufstrebenden Literaten. Sie selbst unterstützte ihn fortan durch wirksame Öffentlichkeitsarbeit, nicht zuletzt dadurch, dass sie selbst Petzolds Gedichte vortrug. So veranstaltete sie im März 1909 den ersten Petzold-Abend im Ehrbarsaal. Zu Petzolds 1911 erschienenem Gedichtband „Seltsame Musik“, dessen Publikation im Verlag Daberkow vermutlich auf ihre Bemühungen zurückgeht, verfasste sie das Geleitwort. Mit dem Dichter, der der „aristokratischen Urschel“ anfänglich mit Misstrauen begegnet war und der das Engagement seiner GönnerInnen oftmals als Demütigung empfand, blieb sie bis zu dessen frühem Tod im Jahr 1923 verbunden, ebenso mit seiner Familie, was nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland noch von Bedeutung sein sollte.
Die Machtergreifung der Nationalsozialisten muss Frida Meinhardts professionelles und persönliches Netzwerk nachhaltig erschüttert haben, zählte sie doch etliche Kulturschaffende jüdischer Herkunft zu ihrem Bekanntenkreis, die nun ins Exil gezwungen oder später Opfer der Deportationen wurden. Die Schriftstellerin Else Feldmann (1884–1942) etwa suchte Meinhardt vor ihrer Verschleppung ins Vernichtungslager Sobibor im Juni 1942 auf und vertraute ihr für den Fall, dass sie nicht zurückkomme, Manuskripte zur Aufbewahrung an.
Wenige Monate später klopfte es an der Tür von Meinhardts Wohnung in der Breiten Gasse 7 in Wien-Neubau. Davor stand Valerie Laufer (1883–1958), die unter dem Eindruck der Deportation ihrer Schwester Marianne untergetaucht und auf der Suche nach einem neuen Unterschlupf war. Der Dialog zwischen den beiden Frauen ist wie folgt überliefert:
„‚Verzeihen Sie, Frau Meinhardt! Ich habe gehört, daß Sie judenfreundlich sind. Bitte, möchten Sie eine Ihnen unbekannte Jüdin bei sich aufnehmen?‘
Darauf die Befragte: ‚Leider habe ich nur ein Zimmer, weil die Behörde das andere bereits angefordert und mit einem Ehepaar belegt hat. Es ist wirklich schwer.‘ […]
‚Wissen Sie, ich habe nur ein Bett, besser gesagt ein Sofa, das ich als Bett verwende … Aber wir wollen sehen. Bleiben Sie vorläufig hier.‘“
Was als vorläufige Aufnahme vorgesehen war, sollte eine fast dreijährige Beherbergung werden; aus der Notgemeinschaft erwuchs eine lebenslange Beziehung der Frauen.
Es galt nun, ein Netzwerk aus vertrauenswürdigen Personen zu schaffen, um die Versorgung des „U-Boots“ mit Gütern des täglichen Bedarfs, die während des Krieges rationiert waren und nur auf Marken bezogen werden konnten, zu sichern. Meinhardt selbst verfügte lediglich über ein bescheidenes Einkommen aus Vorträgen, Auftritten beim Fronttheater und Schauspielunterricht. Sie zog die in Kitzbühel lebende Witwe Alfons Petzolds Hedwig (1890–1968) sowie deren Tochter Christiane (1916–1984), die in Wien mit dem Besitzer des Kaufhauses Esders Stefan Esders verheiratet war, ins Vertrauen. Zwei Schwestern, Sozialdemokratinnen und wie Laufer ehemalige Mitglieder von Wilhelm Börners Ethischer Gemeinde, zählten ebenfalls zum Unterstützerinnenkreis, eine weitere Verbündete war die Hausmeisterin der Breiten Gasse 7. Auf diese Weise konnten Lebensmittel und Kleidung beschafft werden. Später gelang es Meinhardt, für ihre Schutzbefohlene falsche Papiere zu organisieren, wodurch sich die Frauen freier bewegen konnten.
Die gefährliche Situation wurde durch die Luftangriffe der Alliierten auf Wien in den Jahren 1944 und 1945 noch verstärkt, zugleich wuchs die Hoffnung auf ein Ende des Krieges. „Hoffentlich bringe ich das Kind [aus] den Fährnissen heil heraus“, schrieb Meinhardt an Hedwig Petzold im Dezember 1944. Die Bezeichnung „Kind“ für die nur wenige Jahre Jüngere mag eine Tarnbezeichnung gewesen sein, zugleich stand sie für die Art einer Beziehung, die von bedingungsloser Fürsorge und Verantwortung geprägt war.
Nach der Befreiung blieb die Wohngemeinschaft von Frida Meinhardt und Valerie Laufer bestehen, zunächst, weil Letzterer die Rückkehr in die ihr nach dem „Anschluss“ entzogene Wohnung verwehrt blieb. In den fast drei Jahren des Zusammenlebens hatte sich zwischen den Frauen eine enge Beziehung entwickelt, deren symbiotische Natur bei Verwandten Laufers – trotz aller Dankbarkeit der Retterin gegenüber – für Irritation sorgte: „Die beiden Frauen sind unzertrennlich und tatsächlich wie halbiert, wenn getrennt“, konstatierte eine aus dem Exil zurückgekehrte Cousine.
Frida Meinhardt nahm ihre berufliche Tätigkeit wieder auf. Bei einem Österreich-Abend der Anglo-Austrian Society im Sommer 1949 in London las sie unter anderem aus Werken vertriebener Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Felix Braun, Käthe Braun-Prager oder Mela Hartwig sowie aus einem Manuskript über die Tätigkeit österreichischer Widerstandskämpfer und stellte damit einmal mehr ihre antifaschistische Gesinnung unter Beweis. Auch bei Gedenkfeiern für Alfons Petzold wirkte sie mit. Anlässlich eines vom PEN-Club und der Vereinigung sozialistischer Journalisten und Schriftsteller veranstalteten Gedenkabends berichtete die Arbeiter-Zeitung am 12. Dezember 1952: „Als schließlich Frau Frida Meinhardt, eine der ersten, die die begnadete Kunst des Dichters erkannt hatten, Gedichte wie ‚Hand in Hand‘, ‚Die Teilnahmslosen‘ und ‚Werkleute‘ aus dem Gedächtnis rezitierte, schien es, als ob der Dichter selbst im Saale weilte.“
Frida Meinhardt starb am 20. März 1955. Zurück blieb Valerie Laufer, tief getroffen vom Verlust der Freundin, von dem sie sich nie mehr erholte.
Frida Meinhardt war eine von über 1.800 Personen in Österreich, die untergetauchte Jüdinnen und Juden beherbergten, eine Tätigkeit, die gemäß dem heute in der Forschung vertretenen Widerstandsbegriff als eine Form des Widerstehens gegen den totalitären Herrschaftsanspruch der Nationalsozialisten gilt. Arno Lustiger prägte für die Hilfeleistung an Jüdinnen und Juden den Terminus „Rettungswiderstand“, der im Fall der österreichischen Unterstützerinnen und Unterstützer von „U-Booten“ deutlich weiblich dominiert war, wie die Historikerin Brigitte Ungar-Klein nachwies.
Auch das Untertauchen jüdischer Verfolgter, um sich dem Zugriff der NS-Behörden zu entziehen, muss als Akt der Selbstbehauptung und des Widerstands begriffen werden. In Österreich versuchten sich, wie Ungar-Klein ermittelte, mehr als 1.600 Menschen auf diese Art zu retten; in mehr als 400 Fällen scheiterte der Versuch. 30 Helferinnen und Helfer bezahlten ihr humanitäres Handeln mit dem Leben.
Obwohl Frida Meinhardts mutiger Einsatz spätestens seit Erscheinen von Kurt R. Grossmanns Buch „Die unbesungenen Helden“ (1957) bekannt war, wurde sie erst 2021 von der Gedenkstätte Yad Vashem als Gerechte unter den Völkern ausgezeichnet. Ihr Beispiel, ebenso wie dasjenige der anderen an dem Rettungswerk beteiligten Personen, veranschaulicht mögliche Handlungsspielräume von Opposition gegen das nationalsozialistische Regime und liefert den Gegenbeweis für die „Lebenslüge der Nachkriegszeit“ (Harald Welzer), man habe angesichts des übermächtigen Repressionsapparats nichts gegen die Machthaber unternehmen können.
Werke: Geleitwort, in: Alfons Petzold, Seltsame Musik, 1911, S. 5–8; Alfons Petzold und die Frauen, in: Neues Wiener Journal, 24. 1. 1925, S. 6f.; Erinnerung an Alfons Petzold, in: Austro-American Tribune 11, Juni 1947; Vorwort, in: Alfons Petzold, Das rauhe Leben. Autobiographischer Roman. Ergänzt durch ein Tagebuch vom 1. Jänner 1907 bis 5. November 1922, 1947, S. 5–8.
Literatur: Gothaisches Genealogisches Taschenbuch der Freiherrlichen Häuser 69, 1919, S. 650; Alfons Petzold, Das rauhe Leben. Autobiographischer Roman. Ergänzt durch ein Tagebuch vom 1. Jänner 1907 bis 5. November 1922, 1947, passim; Viktor E. Frankl, Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen, 2. Auflage 1995, S. 80; Arno Lustiger, Rettungswiderstand. Über die Judenretter in Europa während der NS-Zeit, 2011; Christine Kanzler, „Ich habe gehört, daß Sie judenfreundlich sind.“ Geschichte einer Rettung, in: „… den Vormarsch dieses Regimes einen Millimeter aufgehalten zu haben …“. Österreichische Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, ed. Christine Kanzler, Ilse Korotin, Karin Nusko, 2015, S. 191–207; Brigitte Ungar-Klein, Schattenexistenz. Jüdische U-Boote in Wien 1938–1945, 2019, S. 96f., 109, 224; Tagblattarchiv, Wienbibliothek im Rathaus; Wiener Stadt- und Landesarchiv, Verlassenschaftssache Friederike Johanna Klotilde Leonie Müller, 7A 222/55.
(Christine Kanzler)
Wir danken dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes und der Österreichischen Nationalbibliothek für die kostenlose Bereitstellung des Bildmaterials.