Musik, Medizin und Psychiatrie in Wien (ca. 1780–1850)

Das Projekt verfolgt das Ziel, einen seit langem ausstehenden kulturhistorischen Beitrag zur Bedeutung der Musik in Medizin und in psychiatrischen Einrichtungen in Wien im ausgehenden 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu leisten. Unter Berücksichtigung internationaler Strömungen (wie den Psychiatriereformen in Frankreich, Deutschland und England) und nationaler Entwicklungen (wie der Einrichtung so genannter „Irren-Anstalten“ im Habsburgerreich/Kaisertum Österreich) wendet sich die Studie im Besonderen jenen psychiatrischen Einrichtungen zu, in denen Musik zur Behandlung eingesetzt wurde – darunter der Wiener k. k. Irren-Anstalt („Narrenturm“) sowie der Privat-Heilanstalt für Gemüthskranke Dr. Goergen. Literarische Primärquellen werden dabei durch Recherchen u.a. im Wiener Stadt- und Landesarchiv und im Archivbestand des Josephinums ergänzt. 

Das Projekt legt eine Synopsis kultureller, sozialpolitischer, medizin- und psychiatriehistorischer Bedingungen dar, welche Überlegungen zum „therapeutischen“ Einsatz von Musik in Wien maßgeblich beeinflusst haben: Neuhumanistische Ideale, Maximen der Aufklärung, Reformen Josephs II., der Beginn der „modernen“ Psychiatrie, medizinhistorische Theorien zu den so genannten „Geistes-, Gemüths- und Nervenkrankheiten“ sowie Erklärungsmodelle zum Einfluss der Musik auf den Körper sowie auf die „Seele“ und das „Gemüth“ etc. In diesem Zusammenhang werden die Bedeutungsspektren der folgenden Begriffe geistes- und musikgeschichtlich kontextualisiert: „Resonanz“ (als „akustische Resonanz“ und „seelische Bewegung“), „Stimmung“ (als musikalische Stimmung und „Gefühlsstimmung“) sowie „Sympathie“ (als „Resonanz“ und „Mitfühlen“). Auf Grundlage der Historischen Musikwissenschaft werden diese Begriffe auch mit dem ästhetischen Diskurs in Beziehung gesetzt.

Das Projekt widmet sich der „Wiener Geschichte der Musiktherapie“ (im weitesten Sinne), die  mit wenigen Ausnahmen sowohl von historischen als auch musiktherapeutischen Disziplinen auffallend vernachlässigt wurde. In diesem Zusammenhang wird eine erste historische Lücke (von ca. 1780–1850) zwischen frühen Überlegungen, Musik konkret bei so genannten „Geistes- und Gemüthskrankheiten“ in Wien zu verwenden, und den Anfängen der modernen „Wiener Musiktherapie“ im Jahr 1958 geschlossen werden. Das Projekt bildet damit auch die Grundlage für weiterführende Forschungen im Bereich der historischen Erschließung „musiktherapeutischer“ Ansätze in Wien und der westlichen Musiktherapie im Allgemeinen. Zudem entfaltet das Projekt auch für die Österreichische Geistes- und Kulturgeschichte an den Schnittflächen von Musik, Medizin und Psychiatrie seine Relevanz. Die Forschungsergebnisse werden in Artikeln zu ausgewählten Themenkomplexen und in Form eines Buches erscheinen. Im transdisziplinären Austausch mit internationalen und nationalen Kooperationspartnern möchte das Projekt einen Dialog zwischen Historischer Musikwissenschaft, Medizin- und Psychiatriegeschichte sowie Musiktherapie anregen, der bislang weitestgehend ausgeblieben ist.

 

 

Projektleitung und Kontakt

DDr. Andrea Korenjak


Mitarbeiter

Prof. Hubert Reitterer


Laufzeit

Juli 2014 August 2017


Finanzierung

Einzelprojekt: P 27287-G21


Kooperationspartnerinnen und -partner

Center for the History of the Emotions, Queen Mary University of London

Dr. Thomas Dixon

Prof. Dr. Penelope Gouk

Prof. Dr. Peregrine Horden

Prof. Dr. Manuela Schwartz

Prof. Dr. Christian Allesch

Prof. DDr. Thomas Stegemann