Abstammungsmythen und Völkergenealogien im frühneuzeitlichen Ostseeraum

Stefan Donecker (Hg.)

Studien zur Geschichte der Ostseeregion 2 | Greifswald 2020
273 S., ill.

Genealogische Entwürfe, die den Ursprung von Reichen und Völkern in einer fernen Vergangenheit verorten, zählen zu den charakteristischen Aspekten frühneuzeitlicher Historiographie. Auch wenn derartige Abstammungserzählungen aus moderner Sicht oft widersinnig erscheinen, kann ihre identitätsstiftende und herrschaftslegitimierende Bedeutung kaum hoch genug veranschlagt werden. Gemäß den Prämissen genealogischen Denkens bestimmten die Tugenden der Vorfahren die Eigenschaften ihrer Abkömmlinge; in der ideellen Gemeinschaft, die sie verband, sah man eine unveränderliche Konstante, die über geschichtliche Prozesse erhaben war.

Die Völkergenealogien Nord- und Nordosteuropas nehmen dabei eine Sonderstellung ein: Das römische Imperium, das anderswo in Europa den wichtigsten Bezugspunkt für gelehrte Abstammungsnarrative darstellte – sei es als Protagonist oder, wie in der deutschen Germanenrezeption, als Antagonist –, stand an der Ostsee nicht zur Verfügung. Manche Gelehrte, etwa in Litauen und Russland, ließen sich davon nicht abschrecken und beanspruchten dennoch ein römisches Erbe, das allerdings eine beträchtliche kreative Freiheit im Umgang mit den Quellen erforderte. Häufiger und typischer war der Versuch, der römischen Antike eine eigene Gegenwelt gegenüberzustellen, die von prestigeträchtigen barbarischen gentes wie Goten, Sarmaten oder Kimbern getragen wurde.

Der vorliegende Band unternimmt einen Rundgang um die Ostsee und unterzieht die Thesen, die im 16. und 17. Jahrhundert zu den origines der Reiche und Völker vorgebracht wurden, einer vergleichenden Betrachtung: Auf welche Vorfahren berief man sich in den jeweiligen Ländern, und welche politische Bedeutung wohnte jenen Aussagen inne? Die Beiträge befassen sich mit Polen, Preußen, Pommern, Mecklenburg, Holstein, Dänemark, Schweden, dem Moskauer Reich, Livland und Litauen und decken somit erstmals den gesamten Ostseeraum ab. Abgerundet wird der Band durch einen Beitrag zu Wenden und Vandalen, zwei Ethnonymen, die in fast allen Abstammungsnarrativen der Region präsent waren, ohne in den Vordergrund zu treten, sowie einer Untersuchung zum Nachleben frühneuzeitlicher Völkergenealogien im Historismus, am Beispiel der 1883 veröffentlichten „Stammsage der Żamaiten“.

Inhaltsverzeichnis und Vorwort

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