Historische Ethnographie der Vandalen

Fragestellung


Ziel des Projekts war es, das vandalischeNordafrika des fünften und sechsten Jahrhunderts zu untersuchen und dabei mit einer weit gefassten Fragestellung auf Strukturen und Hintergründe einzugehen. Auf Basis der Projektergebnisse wurde 2011 eine Monographie zur vandalischen Geschichte auf der Höhe des Forschungsstandes vorgelegt.

Im Laufe der Spätantike entstand die spezifische Rolle ethnischer Identität für die Integration politischer Großverbände auf dem Boden römischer Provinzen. Die Vandalen berührten dabei Gallien, Spanien, Afrika und teilweise auch Italien in stetiger Konkurrenz zu den Goten. Methodischer Ansatzpunkt war eine Forschungstradition, die mit dem Wissenschaftsstandort Wien, Herwig Wolfram und dem Projektleiter Walter Pohl, eng verbunden ist. Das Projekt basierte auf den Methoden und Ansätzen, die in den letzten drei Jahrzehnten durch die „Wiener Schule der historischen Ethnographie“ entwickelt wurden, versuchte diese anzuwenden und auf ihre Gültigkeit hin zu überprüfen. Dies erfolgte in enger Kooperation mit dem, auf Basis des Wittgensteinpreises des Projektleiters arbeitenden, Forschungsteam in Wien. Völker und ethnische Identitäten werden hier nicht als objektives Phänomen, sondern als subjektive Erfahrung verstanden, und ihre Entstehung nicht als biologisch determinierter, sondern als jeweils besonderer historischer Prozess betrachtet. Der Ansatz des Projekts, „vandalische Identität“ mit neuen Fragestellungen zum Identitätsbegriff und zur Konstruktion von politischer, ethnischer und kultureller Identität in der Geschichte der Spätantike und des frühen Mittelalters zu untersuchen, erwies sich in mehrfacher Hinsicht als äußerst ertragreich und die internationale Diskussion belebend. Ausgangspunkt war dabei, eine „Identität der Vandalen“ als entscheidenden politischen Motivationshorizont für eine kontinuierliche Entwicklung eines gentilen Verbandes hin zu einem Regnum nicht einfach vorauszusetzen, sondern die historischen Besonderheiten verschiedener Integrationsprozesse zu untersuchen. Dabei konnte im Sinne einer Einordnung in größere Horizonte auch der Germanenbegriff hinterfragt werden und eine Arbeit zu den Herulern vorgelegt werden.

Resultate


International beachtet und sehr positiv aufgenommen wurde der im Laufe der Projektarbeit vorgelegte Band zur vandalischen Geschichte und Archäologie, der als Kooperation des Instituts für Mittelalterforschung in Wien mit dem Institut zur Erforschung des Mittelalters und seines Nachlebens (IEMAN) in Paderborn entstanden war. Historiker und Archäologen aus Österreich, Deutschland, Italien, Frankreich und den USA kamen darin zu Wort und der Band kann als Stand der Forschung zu den Vandalen gelten, auch hinsichtlich der kritischen Gegenüberstellung archäologischer und historischer Fragestellungen.

Ob es ein vandalisches "Volk", das aus Pannonien oder sogar von der Weichsel kommend über Jahrhunderte seine Identität bewahrt haben müsste, in diesem Sinn überhaupt gegeben hat, wurde im Laufe der Projektarbeit immer zweifelhafter. Integrations- und Transformationsprozesse, die Aufgabe alter und die Annahme neuer Identitäten, dürften so rasch vor sich gegangen sein, dass sie sich nicht explizit in den Quellen wieder finden. Viele verschiedene Gruppen und Individuen sammelten sich, auf Beute und ein besseres Leben in den Provinzen des Imperiums hoffend. Die daraus hervorgegangenen soziologischen und ethnischen Strukturen konnten sich schnell wieder auflösen, zum Beispiel nach einer militärischen Niederlage.

Eine Hauptfrage des Projekts war die nach einer vandalischen Identität. Thesenhaft zugespitzt konnte dabei der Schritt vom Bild des wandernden Volkes hin zu dem einer militärischen und politischen Elite, die Vandalen genannt wurde und das wohl auch als Eigenbezeichnung verwendete, getan werden. Diese Vandalen hatten zwei Jahrzehnte in Spanien Zeit gehabt, eine hohe soziale Position in den spezifischen Bedingungen des spätrömischen Reichs einzuüben. Schon Autoren wie Prokop haben die Vandalen, die mehrere Jahrzehnte auch Partner und Verbündete der Römer gewesen waren, in einen ethnisch definierbaren Feind verwandelt. Bereits vor der Etablierung des Regnums in Afrika hatten Salvian und Orosius einen barbarischen Feind gezeichnet. Diese Elite ist in ihrem Agieren im nordafrikanischen Regnum zu greifen. Statistische, wirtschafts- und sozialgeschichtliche Aussagen über antike Strukturen sind wegen des eigentlich anekdotischen Charakters der Überlieferung nur sehr begrenzt oder gar nicht möglich. Dieser Ansatz wurde vom Projektmitarbeiter im von ihm herausgegebenen Band vorgestellt und fand weitgehende Zustimmung. Er stellt die Basis für die in Arbeit befindliche Monographie dar.

Mit dem Wiener Münzkabinett des Kunsthistorischen Museums wurde bereits während des Vorprojekts kooperiert. Gemeinsam mit dem Kooperationspartner Guido Berndt wurde auf Basis eines bereits 2005 erstellten Katalogs der Wiener Vandalenmünzen die Durchsicht und systematische Sammlung von Quellen und Forschungsliteratur vorgenommen und eine Diskussion der vandalischen Münzprägung mit historischen Fragestellungen erarbeitet. Auch entstand eine für Historiker verwendbare Zusammenfassung numismatischer Spezialdiskussionen, die bisher nicht vorlag. Ein auf einem Katalog der Wiener Münzen basierender englischsprachiger Beitrag wurde von „Early Medieval Europe“ im peer-review akzeptiert und liegt nun vor.

Als besonders ertragreich erwies sich die schwedische gelehrte Rezeption, eine Fragestellung, die vor allem im FWF-Projekt „Historische Ethnographie der Vandalen“ aufgearbeitet worden war. Auf Basis dieser Vorarbeiten konnte das Material präsentiert werden. Mit dem Skandinavisten und Historiker Stefan Donecker wurde erfolgreich kooperiert und ein längerer Aufsatz ist im Band „Vergangenheit und Vergegenwärtigung“ der Reihe „Forschungen zur Geschichte des Mittelalters“ erschienen.

Bearbeiter:
Dr. Roland Steinacher

Projektnummer: D 3942

Laufzeit: 2007 - 2009