Lange Zeit nahm die Forschung die ethnische Identität der Steppenvölker als gegeben an; unter einer rasch wechselnden Oberfläche sich verschiebender Erscheinungen wurde meist eine Kontinuität breiter ethnischer Gruppierungen angenommen, zum Beispiel der Türken, Mongolen oder Ungarn. Diese Auffassung erlaubte es, an der fundamentalen Andersartigkeit der Steppenvölker festzuhalten oder ihre ferne Geschichte für nationale Meistererzählungen anzueignen. In meiner Monographie über die Awaren (1988) und in einer Reihe von Aufsätzen über Hunnen, Awaren, Bulgaren und Ungarn habe ich neue Zugänge zu Fragen der Identität in den europäischen Steppen erprobt. Die Analyse geht von der Voraussetzung aus, dass Gruppen nicht per se ethnisch sind, sondern dass Ethnizität ein Ordnungsprinzip der sozialen Welt ist, das durch Kommunikation und durch Akte der Identifikation wirksam wird, und dessen Relevanz für verschiedene Akteure (in-group und out-group in der Steppe, Beobachter außerhalb der Steppenzone, moderne Forscher etc.) unterschiedlich war.
Diese Arbeit entwickelt sich im Zusammenhang mit sehr lebhaften Forschungen über die Steppen Zentral-Eurasiens, und mit eindrucksvollen Fortschritten der awarischen Archäologie. Die Vorbereitung einer englischen Ausgabe des Buches über die Awaren hat mir Gelegenheit gegeben, es grundlegend zu überarbeiten und neue Forschungsergebnisse aufzunehmen; die Publikation ist für 2017 oder 2018 geplant. Das Buch behandelt alle Aspekte awarischer Geschichte in Europa, einschließlich eines Überblicks über die archäologischen Ergebnisse. Daneben verfolge ich eine Reihe paralleler Studien, zum Beispiel über die zentralasiatischen Ursprünge der europäischen Hunnen und über die recht unterschiedlichen Formen der Identität, die halfen, hunnische, awarische und bulgarische Gemeinwesen zusammenzuhalten.