Eigentumstruktur und Entwicklungspotential Einfamilienhaus-Bestandes in Niederösterreich.

Hintergrund und Problemstellung

Einfamilienhausbestand. Das Einfamilienhaus ist ein vergleichsweise junger Bautypus, der von wenigen Ausnahmen in der Zwischenkriegszeit (Arbeiterwohnhäuser) und von gründerzeitlichen Villen abgesehen, in Österreich vermehrt seit den 1960er Jahren entstanden ist. Zur letzten Registerzählung im Jahr 2011 betrug der Bestand an Ein- und Zweifamilienhäusern 1,7 Millionen Gebäude, das sind rund 79 % des gesamten Gebäudebestandes in Österreich. In Niederösterreich waren sogar 93,7% der Wohngebäude Ein- und Zweifamilienhäuser (Statistik Austria 2013). Damit existiert in Österreich ein seit rund 60 Jahren beständig wachsender Gebäudebestand, dessen bauliche Strukturen die gesellschaftlichen Ansprüche, Normen sowie die technologischen Möglichkeiten der jeweiligen Errichtungsperiode widerspiegeln.

Baualter und Entwicklungspotential. Für den älteren Teil dieses Gebäudebestandes besteht ein beträchtliches, zunehmendes Entwicklungs- und Sanierungspotential. Erstens, um die historische Bausubstanz den aktuellen ästhetischen und gestalterischen Ansprüche nachfolgender Nutzergenerationen zu entsprechen und zweitens, um die Gebäude an die energetischen Anforderungen anzupassen, die sich aus der Dekarbonisierung und aus der Anpassung an den Klimawandel ergeben. Die Notwendigkeit, die Energie- und Klimaeffizienz der Einfamilienhäuser zu verbessern, ergibt sich weiters aus dem Umstand, dass vor allem ältere Ein- und Zweipersonenhaushalte häufig in nun überdimensionierten Gebäuden leben, nachdem die Kinder ausgezogen und ein Partner womöglich verstorben ist (vgl. Lindenthal und Mraz 2017). Dabei spielt der Remanenz-Effekt, also das Verharren dieser alten und kleinen Haushalte in ihrem Einfamilienhaus, auch wenn dieses für die lebenszyklus-bedingten Ansprüche zu groß ist, eine wichtige Rolle (Just 2017, Musil 2019). Mit zunehmender Alterung der Einfamilien-Haushalte steigt die Unternutzung der Einfamilienhäuser, womit die Flächen- und Energieeffizienz pro Kopf abnimmt.

Generationeneffekte. Parallel zum Altern des Gebäudebestand ist es auch zur Alterung der Haushalte gekommen, die diesen Gebäudebestand errichtet haben bzw. errichtet haben lassen. Damit ist absehbar, dass in den kommenden 10 bis 20 Jahren durch das Ableben der Baby-Boom-Generation, eine große Zahl an Einfamilienhäusern an die nächste Generation weitervererbt oder auf dem Immobilienmarkt angeboten wird. Mit dem Nachrücken geburtenschwacher Jahrgänge ist eine regional differenzierte Nachfrage nach diesen freiwerdenden Einfamilienhaus-Beständen zu erwarten: denn neben den geänderten gestalterischen und ästhetischen Ansprüchen werden nicht zwingend die gleichen Wohnstandorte wie in der Elterngeneration präferiert; die Binnenwanderungsstatistik weist auf einen starken Trend in Richtung Stadtregionen (ÖROK 2022). Die Bevölkerungsprognose der Haushaltsdynamik lässt erwarten, dass es sich hier um einen mittel- und langfristigen Trend handelt, der bis 2050 als realistisch erscheint. Ebenso weist der ökonomische Strukturwandel (Tertiärisierung) zu einem verstärkten Arbeitsplatzangebot in den großen urbanen Zentren und Stadtregionen.

Regional differenzierte Immobilienmärkte. Während in manchen Regionen der Nachfragedruck steigt und Konzepte zur Nachverdichtung (Reihenhäuser, verdichteter Flachbau, …) relevant sind, werden in anderen Regionen die Leerstände zunehmen und die Immobilienmärkte unter Druck setzen. Da bisherige Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass die Erbengeneration in unattraktiven, peripheren Lagen eine passive Haltung einnimmt, der häufig zu Leerstand und Verfall führt, lässt sich für die kommunale oder überregionale politische Ebene – vor allem für die strukturschwachen Regionen – beträchtlicher Handlungsbedarf erwarten (Zakrzewski et al. 2014; betreffend Leerstandsstudien vgl. etwa Adam et al. 2010).

Politische Implikationen. Die zunehmende regional differenzierte Alterung der Gesellschaft bzw. und damit auch die Zunahme älterer Einfamilienhaus-Besitzer stellt auch die Politik vor beträchtliche Herausforderungen. Um Sanierungsprogramme, die die Bausubstanz erhalten, die Klimaeffizienz verbessern und die Dekarbonisierung vorantreiben, ist es notwendig, auf die spezifischen Potentiale und Bedürfnisse der Eigentümer einzugehen. Neben Sanierungen einzelner Gebäude werden auch liegenschaftsübergreifende Strategien an Bedeutung gewinnen, auch wenn hier insbesondere die zunehmende Problematik (aus Raumordnungssicht ungeplanter) Nachverdichtung durch den Bau von Mehrfamilienhäusern durch Investoren in homogenen Einfamilienhaussiedlungen zu nennen ist. In dieser Hinsicht sind jedenfalls vorausschauende, kommunale wie regionale Planungsstrategien zu entwickeln, sowohl aus baulicher als auch energetischer Sicht. Hier können beispielswiese Energiegemeinschaften ein wichtiges Instrument darstellen.


Ziele und Forschungsfragen

Dieses Forschungsprojekt zielt darauf ab, vor dem Hintergrund eines regional hochgradig differenzierten demographischen Wandels und ökonomischen Strukturwandels die Implikationen auf den Einfamilienhausbestand und dessen Entwicklungspotentiale abzuschätzen. Die Weiterentwicklung des Einfamilienhaus-Bestandes in Niederösterreich ist einerseits von der Eigentümerstruktur (insbesondere Anzahl und Alter der Haushaltsmitglieder sowie deren sozioökonomische Situation) sowie von der lagebedingten Marktnachfrage (zentrale vs. periphere Regionen) abhängig. Vor diesem Hintergrund sollen die gegenwärtigen sowie die in den kommenden Jahren zu erwarteten Sanierungsbedarfe abgeschätzt werden. Die baulich-technischen Bedarfe werden dabei den persönlich-sozialen Bedürfnissen der Eigentümer gegenübergestellt, um daraus Handlungsoptionen für regionale Entwicklungsstrategien, sowie die Anpassung und Kommunikation von Förderinstrumenten zu optimieren.

Dazu lassen sich folgende Forschungsfragen formulieren:

1)    Welches räumliche Muster weist die Eigentümer- und Gebäude-Altersstruktur des Einfamilienhausbestandes in Niederösterreich auf? Wie überlagert sich dieses Muster mit dem regionalen demographischen Wandel?

2)    Wie können bestehende Einfamilienhaus-Siedlungen hinsichtlich ihrer Zukunftspotentiale (zwischen Schrumpfung/Leerstand und Boom), im Sinne einer klimaeffizienten Transformation der Gesellschaft bewertet werden?

3)    Welche politischen und wohnbaupolitischen Implikationen und Handlungsbedarfe lassen sich aus den räumlichen Mustern ableiten?

Methoden und Datengrundlagen

Das Forschungsprojekt greift einen Mixed-Method-Ansatz auf, wobei quantitative und qualitative Methoden verknüpft werden.

Im quantitativen Teil wird der gesamte Bestand an Einfamilienhäusern in Niederösterreich liegenschaftsgenau erfasst und ausgewertet. Berücksichtigt werden dabei Einfamilienhäuser, Zweifamilienhäuser sowie Reihenhäuser (sofern diese einzeln parzelliert sind). Zur Bewertung dieser Wohngebäude auf Liegenschaftsebene werden folgende, zum überwiegenden Teil als open-goverment-data (OGD) verfügbare Registerdaten miteinander verknüpft:

-          Kataster (OGD, BEV)

-          Adressregister (OGD, BEV)

-          Grundbuch 2007 und 2022 (BEV)

-          Adress-, Gebäude- und Wohnungsregister (AGWR, Statistik Austria)

-          Widmungshülle (OGD, Land NÖ)

Durch das räumliche Verschneiden der Adresspunkte aus dem Adressregister mit der Eigenschaft ‚01‘ (für einen Haushalt an der Adresse) mit den Gebäudeflächen aus dem Kataster lässt sich ein Grundstock an ‚Ein-Haushalt-Häusern‘ aufbauen. Die Identifikation des Einfamilienhausbestandes erfolgt durch Dezimierung von Objekten, die sich laut Widmungshülle nicht in jenen Flächen befinden, die als Wohngebiet ausgewiesen sind. Die übrigbleibenden Objekte stellen den Einfamilienhausbestand dar und werden durch die Attribuierung aus dem AGWR um die Eigenschaft der Bauperiode erweitert. Die Altersstruktur der Eigentümer dieser Objekte wird anschließend durch Auswertung Grundbuches für die Jahre 2007 und 2022 ermittelt. An Hand der Diskrepanz zwischen Hausalter und der Altersstruktur der Eigentümer lässt sich der EFH-Bestand entsprechend gruppieren.

Der EFH-Bestand mit den Altersinformationen werden auf Rasterzellen (500m-Zellen) aggregiert und werden dadurch mit sozioökonomischen Daten kombinierbar sein (etwa: Wanderungsbilanz, Altersstruktur, Haushaltseinkommen, …), um die zukünftigen Marktpotentiale und -risiken bewerten zu können. Die Rasterzellen erlauben des Weiteren eine Durchführung einer Clusteranalyse (Morans-I) an Hand der Altersdiskrepanz, die zur Auswahl der EFH für die qualitative Erhebung führen. Auf Einzelobjektebene lässt sich ebenfalls eine Clusteranalyse in Form einer Kerndichteschätzung durchführen, die es erlaubt, innerhalb der unterschiedlichen Altersstrukturgruppen Agglomerationen heraus zu filtern. Optional können – falls auftraggeberseitig bereitgestellt – auch die Sanierungsdaten der nö. Wohnbauförderung eingepflegt werden, um das (offizielle) Sanierungspotential abschätzen zu können.

Für die Wohnbauforschung lassen sich damit Zonen mit unterschiedlichen Handlungsbedarfen identifizieren, in denen die Herausforderungen, die Voraussetzungen und damit auch die Strategien variieren, um die Weiterentwicklung bzw. Adaption des Einfamilienhaus-Bestandes voranzutreiben.

Im qualitativen Teil des Forschungsprojektes sollen für ausgewählte, ältere Einfamilienhaus-Cluster vertiefende Analysen angestellt werden, um die  Zusammenhänge zwischen dem Alter, dem sozialen Status, den Ressourcen und Bedürfnissen der Eigentümer und dem Baualter, dem bautechnischen Zustand und dem Sanierungsbedarf der Gebäude zu erkennen und darzustellen. bzw. die Entwicklungspotentiale detaillierter zu untersuchen. Dazu soll in ca. fünf identifizierten Einfamilienhaus-Clustern der bauliche Zustand mittels Begehungen sowie Befragungen erfasst werden. Darüber hinaus soll mittels vertiefender Interviews untersucht werden, welche Hindernisse in der Bestandsentwicklung bzw. -sanierung existieren und welche Rolle dabei die Weitergabe der Liegenschaften an die nächste Generation spielt.

Neben Haushaltsbefragungen sollen in den identifizierten Einfamilienhaus-Regionen Experteninterviews mit relevanten Stakeholdern, etwa Immobilienmaklern, Bürgermeistern oder ggf. mit Energiebeauftragen (in Leader-Regionen) geführt werden.

Erkenntnisgewinn und Nutzen des Forschungsprojektes

Das Forschungsprojekt wird in Form eines Forschungsberichtes anhand der oben beschriebenen Inhalte samt kartografischen und schematischen Darstellungen aufbereitet und  bietet ein vertieftes Wissen über den Einfamilienhaus-Bestand in Niederösterreich, und lotet den Zusammenhang zwischen Baualter, Eigentümerstruktur und Entwicklungspotential auf der Ebene der Liegenschaften aus. Damit knüpft das Forschungsprojekt nicht nur an aktuelle Debatten in Forschung und Regionalplanung an, es hilft auch Strategien zur Potentialentwicklung – etwa im Bereich Klimaeffizienz, Dekarbonisierung, Nachverdichtung, Bodenverbrauch, Infrastrukturen – regional und sozial differenziert zu entwickeln. Konkret können zum Nutzen des Projektes folgende Punkte genannt werden:

-          Detailliertes räumliches Wissen über Baualter, Eigentümeralter und demographischen Wandel in Niederösterreich

-          Identifikation von Einfamilienhaus-Clustern mit einer ungünstigen Altersstruktur bzw. mit einem erhöhten Sanierungsbedarf bzw. zukünftigen potentiellen Leerstand

-          Aufzeigen der individuellen Rahmenbedingungen, die eine Sanierung bzw. Adaptierung von älteren Einfamilienhaus-Beständen verhindern

-          Entwicklung von liegenschaftsspezifischen Entwicklungstypologien

-          Entwicklung von eigentümerspezifischen Strategien und Anspracheformen, um die Akzeptanz und Annahme der Förderprogramme zu erhöhen auf Grundlage der Analysen und von Best-Practice Beispielen

-          Erarbeitung von Strategien für potentielle Nachverdichtungs- und Innenentwicklungszielgebiete in älteren, homogenen Einfamilienhausgebieten im Hinblick auf die vorhandene Infrastruktur