Eine vergleichende Untersuchung von Kärnten (Österreich) und dem Teschener Gebiet (Tschechien)

Zusammenfassung


Die Studie befasst sich mit der Politik in Bezug auf Toponymie, Identität und Landschaft in zwei mehrsprachigen Gebieten – im Gebiet von Teschen in Tschechien und im südlichen Kärnten in Österreich. Beide Gebiete weisen viele Ähnlichkeiten auf und es erschien daher eine enge Zusammenarbeit zwischen tschechischen und österreichischen Forschern als sehr vorteilhaft. Die Kärntner Situation ähnelt der Situation in der Region Teschen hinsichtlich ihrer Überlagerung durch später entstandene nationale Identitäten, in Bezug auf nicht weit zurückliegende historische Lasten, die Tatsache, dass ortsübliche geographische Namen häufig von standardisierten Namen oder Namen in den beiden Standardsprachen abweichen und hinsichtlich politischer Konflikte um Ortsnamen in letzter Zeit.

 Hauptforschungsfragen waren:

  1. Was bedeuten Ortsnamen für die Identität menschlicher Gemeinschaften im Allgemeinen und insbesondere für sprachliche Minderheiten? Welche Beziehung besteht zwischen Sprache, Ort und Identität und wie verbinden uns Ortsnamen mit der Heimat?
  2. Welche toponymischen Strategien werden von verschiedenen Akteuren beim Festlegen, Aufrechterhalten und Infragestellen ethnischer/nationaler Grenzen angewandt und was sind die maßgebenden gesellschaftlichen Kräfte, welche die heutige linguistische Landschaft und den täglichen Umgang mit Toponymen prägen?
  3. Wie wird die mehrsprachige linguistische Landschaft gestaltet, in welcher Form erscheint sie, wie wird sie interpretiert und hinterfragt?
  4. Welche Rolle spielen Ortsnamen in der Diskussion um Minderheitenrechte und Kulturerhaltung? Warum, mit welchen Mitteln und Verfahren, durch wen und für wen sollen Ortsnamen geschützt werden?

Die wichtigsten Ergebnisse:

  1. Ortsnamenkonflikte in mehrsprachigen Gebieten sind – wie Ortsnamenkonflikte im Allgemeinen – die symbolische Oberfläche tiefer liegender gesellschaftlicher Probleme.
  2. Ortsnamen spielen eine große Rolle als Mittler zwischen Mensch und geographischem Raum und haben in dieser Hinsicht besondere Bedeutung für sprachliche Minderheiten.
  3. Ortsnamen von Minderheiten auf Karten sind politisch sensibler als im öffentlichen Raum.
  4. Die Dritte österreichische Landesaufnahme im späteren 19. Jahrhundert stellt in beiden Gebieten den vorher und nachher nicht übertroffenen Höhepunkt einer minderheitenfreundlichen Ortsnamenschreibung auf offiziellen topographischen Karten dar.
  5. Industrialisierung, Tourismus und Suburbanisierung wirken sich nachteilig auf kulturelle Minderheiten und damit auch auf die Bewahrung ihrer Namen aus.
  6. Minderheitennamen in der linguistischen Landschaft haben einen hohen Symbolgehalt und konzentrieren sich daher auf symbolische Orte wie Ortszentren, Kultstätten oder repräsentative Gebäude.
  7. Weder die lokale Mehrheit noch die lokale Minderheit betrachten Minderheitennamen im öffentlichen Raum als attraktiv für den Tourismus.
  8. Ortstafeln sind (in Kärnten: waren) die häufigsten Ziele von auf Minderheitennamen bezogenem Vandalismus.
  9. Die wichtigsten Förderer von Minderheitsnamen im öffentlichen Raum sind öffentliche Stellen, während private Initiativen – auch von Seiten der Minderheiten – selten bleiben.
  10. Interesse und dezidierte positive oder negative Einstellungen an bzw. gegenüber Minderheitennamen im öffentlichen Raum korrelieren mit höherer Bildung und höherem Alter.
  11. In historisch belasteten Situationen ist es schwierig, mit direkt Betroffenen nüchtern über kulturelle Merkmale und Identität zu sprechen.
  12. Während der Dialektgebrauch der Minderheit in Kärnten abnimmt und durch die slowenische Standardsprache als Identitätsmerkmal ersetzt wird, ist der lokale Dialekt das Hauptidentitätsmerkmal der Minderheit in der Region Teschen.
  13. Während Dialektnamen in der gesprochenen Sprache sehr häufig verwendet werden, wollen eben jene, die diese Namen verwenden, es nicht, dass Dialektnamen standardisiert werden und im öffentlichen Raum zu sehen sind.
  14. Ausgeprägte regionale, historisch-kulturelle raumbezogene Identitäten können (antagonistische) ethnische und nationale Identitäten überdecken und überbrücken.

Es wurde eine Kombination von Forschungsmethoden angewandt, d.h. Analyse von Toponymen auf alten und aktuellen Karten, inhaltlichen und Diskursanalyse der sprachlichen Landschaft und des Stadttextes mit besonderem Fokus auf Toponymen sowie Interviews und Enqueten über die Kenntnisse und Varianten der Ortsnamen in ausgewählten Dörfern in den beiden Regionen.

Ergebnisse


Das Projekt wurde 2019 abgeschlossen. Seine Ergebnisse wurden 2021 in Buchform publiziert:
Place-Name Politics in Multilingual Areas

Publikationen


Jordan, P. (2016), The Meaning of Bi- or Multilingual Naming in Public Space for the Cultural Identity of Linguistic Minorities. In: Nomina Africana. Journal of the Names Society of Southern Africa, 30, 1, S. 27-44.

Jordan, P. (2016), Carinthia – Burgenland. The different historical-cultural backgrounds of two minority situations and their impact on inter-ethnic relations and bilingual place naming. In: Onomàstica, Anuari de la Societat d’Onomàstica, 2, S. 169-181.

ISR-Projektteam


Projektpartner


Laufzeit


Jänner 2016 – Dezember 2018

Finanzierung


  • Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF)
  • Tschechische Wissenschaftsagentur