Vermessen, codiert, entschlüsselt? Potenziale und Risken der zunehmenden Datenverfügbarkeit, Sechste österr. TA-Konferenz, 29. Mai 2006, Wien

Messung und Analyse sind seit jeher zentrale Elemente in Wissenschaft und Technik. Auffallend ist aber die an Breite und Tiefe bisher unübertroffene analytische Durchdringung, Verknüpfung und Auswertung von (personenbezogenen) Informationen: vermehrt wird eine Vielzahl von Einzeldaten gesammelt sowie für mannigfache Zwecke analysiert und zusammengeführt. Erhofft werden neue Einsichten und die Entschlüsselung von Wirkungszusammenhängen mit hohem Nutzenpotenzial. Neben Vorteilen wie einem möglichen Zugewinn an Lebensqualität, Sicherheit, Komfort oder Effizienz wirft die intensivierte "Vermessung" des Menschen und seiner Umwelt allerdings auch grundsätzliche Fragen auf: zum einen nach der Vermeidbarkeit von gesellschaftlich unerwünschten Folgen wie dem Missbrauch von Informationen oder der Verletzung von Grund- und Persönlichkeitsrechten; zum anderen die Frage nach dem angemessenen Umgang mit technisch machbaren Innovationen, die die Abwägung miteinander konkurrierender Werte erzwingen oder an Grenzen rationaler Entscheidbarkeit und Absehbarkeit der Folgen stoßen.

Das Spannungsfeld zwischen Erkenntnisgewinn und Prognosesicherheit einerseits und individueller Entscheidungsfreiheit andererseits findet sich in ganz unterschiedlichen Technologiefeldern:

  • in der Biotechnologie etwa bei der Analyse von Daten aus der Genomentschlüsselung und aus systembiologischen Ansätzen
  • in der Medizin bei neuen Methoden und Techniken der "Vermessung" des menschlichen Körpers zur Diagnoseverbesserung und verlässlicheren Entschlüsselung individueller Risikolagen
  • im Bereich des umweltbezogenen Technikeinsatzes bei der verfeinerten Datensammlung, Verknüpfung für Modellierungszwecke und Synthetisierung zu Maßzahlen, z.B. für "Nachhaltigkeit";
  • bei Anwendungen der Informations- und Kommunikationstechnologie bei der zunehmend individualisierten Sammlung, Verknüpfung und Auswertung von Daten im Zuge der Ausbreitung "digitaler Lebensstile"

Die TA'06 widmet sich den skizzierten Tendenzen und dem Spannungsfeld von Vorteilen, sozialem Fortschritt und wirtschaftlichem Nutzen einerseits sowie möglichen Risken bzw. unerwünschten gesellschaftlichen Folgen andererseits.

Call for papers

Von Interesse sind alle klassischen Folgendimensionen der Technikfolgenabschätzung, insbesondere soziale, organisatorische, ökonomische, politische, institutionelle, rechtliche und technische Aspekte. Willkommen sind empirische, theoretische oder methodische Beiträge etwa zu folgenden Themen:

  • TA-relevante Fallstudien, Methoden, Ergebnisse zur sozialverträglichen Technikgestaltung bei datenintensiven Anwendungen
  • Gestaltungserfordernisse, -optionen und Regulierungsfragen zugunsten verbesserter Sicherheit und zum Schutz der Privatsphäre
  • Mobile Technologien, Biometrie, RFID, Data-mining, Überwachung öffentlicher Räume, allgegenwärtige Informationstechnologien
  • Datenintensive Anwendungen und Diagnosetechniken im Bereich genetischer bzw. medizinischer Daten (z.B. Biobanken, Biomarker, maßgeschneiderte Medikation)
  • Genetische Privatsphäre, Wertekonflikte, ethische Fragen und institutionelle Umgangsformen
  • Ansätze und Methoden zur Gestaltung einer Umwelt- und Innovationspolitik, Ökologische Buchhaltung, Modellierung von Innovationsverhalten
  • Kriterienkataloge und Indikatoren zur "Vermessung" der Nachhaltigkeit von Technologien und umweltbezogenen Verhaltens

Vorträge

Vorträge

Data Mining – Alchemie oder Wissenschaft?
Bernd BRANDL, Universität Wien, Institut für Wirtschaftssoziologie

Kartierte Risikokonflikte – Vermessung von Risikodiskursen als Möglichkeit einer reflexiven Wissenspolitik
Martine ERLEMANN, Stefan BÖSCHEN, Astrid ENGEL (Universität Augsburg, Wissenschaftszentrum Umwelt / Münchner Projektgruppe für Sozialforschung / Universität Augsburg, Lehrstuhl für Soziologie)

Sicherheitstechnologien und neue urbane Sicherheitsregimes
Holger FLOETING, Deutsches Institut für Urbanistik (difu), Berlin

Gesellschaftliche Herausforderung durch intelligente Umgebungen
Ralf LINDNER, Michael FRIEDEWALD, Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe

Mehr messen = mehr wissen = nachhaltig Wirtschaften?
Susanne GEISSLER, Andrea GRIMM, Julia KATSCHNIG, Astin MALSCHINGER, Siegrun KLUG (alle Fachhochschule Wiener Neustadt für Wirtschaft und Technik, Campus Wieselburg)

Big Brother beim Lernen: Datensammlung in Lernplattformen
Elisabeth KATZLINGER, Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Datenverarbeitung in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften (idv)

Data challenges for Insuring Catastrophic Risks
Joanne LINNEROTH-BAYER, International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA), Laxenburg

Stakeholder-Dialog zu Pervasive Computing
Katrin MEIER, Stiftung Risiko-Dialog, St.Gallen

Genetische Informationen und Biobanken – im Spannungsfeld zwischen Nutzungsinteressen und Persönlichkeitsschutz
Claudia MUND, Eidgenössischer Datenschutzbeauftragter (EDSB), Bern

Staatliche Informationsgebarung – Gläserne Bürger im gläsernen Staat?
Peter PARYCEK, Donau-Universität Krems

Die Macht der Datenmacher in der fragmentierten Wissensgesellschaft
Werner RAMMERT, Technische Universität Berlin, Institut für Soziologie

Rare Information – Ein spezifisches Problem "exotischer" innovativer Technologien
Mahshid SOTOUDEH, Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA), Wien

Ein integratives Konzept zur Messung von Nachhaltigkeit - das Beispiel Energiegewinnung aus Grünland
Volker STELZER, Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft, Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS)

Das post-genomische Rätsel Mensch: Herausforderungen nach der reduktionistischen Phase
Giulio SUPERTI-FURGA, Research Center for Molecular Medicine (Ce-M-M), Wien

Die Bestimmung individueller Risikolagen durch nicht-genetische Methoden
Bernhard WIESER, Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur (IFF/IFZ), Graz