27.03.2020

Schallforschung in der Corona-Quarantäne

Die sozialen Kontakte sind aufgrund der Ausgangs- und Verkehrsbeschränkung extrem reduziert. In vielen Lebensbereichen sind Menschen eingeschränkt, viele Betriebe sind geschlossen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bangen um ihre Arbeit. Auch an der Akademie der Wissenschaften dürfen die Angestellten an den Instituten nur dann vor Ort arbeiten, wenn es dringend notwendig und wichtig ist, und es von der Direktorin bzw. vom Direktor erlaubt wird.

Welche Auswirkungen haben diese Maßnahmen auf die Arbeit unseres Instituts (als Beispiel einer akademischen Forschungseinrichtung)? Überraschend wenig … und doch.

Für gewöhnlich befinden sich alle Kolleginnen und Kollegen am Institut und leben dort unsere von allen geschätzte „Open-Door-Policy“, bei der mit stets offenen Bürotüren eine direkte und spontane Kommunikation ermöglicht wird, die für die interdisziplinäre wissenschaftliche Arbeit in der akustischen Spitzenforschung so wichtig ist. Daneben gibt es regelmäßig Arbeitsgruppen- und Projektmeetings, aber auch an sozialen Treffpunkten entstehen zufällige Unterhaltungen von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Diese spontanen Treffen führen oft zu neuartigen und aufregenden Forschungsrichtungen, die die Schallforschung weltweit voranbringen.

Jeden Mittwoch treffen sich alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ISF für den internen Informationsaustausch zu einem Jour Fixe, wo wichtige Mitteilungen an alle verteilt werden. Danach gibt es einen Vortrag eines eingeladenen Gastes (ein sogenannter ARI-Guest Talk) oder eine interne Präsentation (ein sogenannter Info Talk, der zur Information dient, in der Form aber auch gerne informell sein kann). Diese Präsentationen zeigen neue Aspekte auf, offenbaren neue Herangehensweisen, oder sorgen für die Gründung einer neuen Zusammenarbeit, um an der Spitze der akustischen Wissenschaft zu bleiben.

So findet das Treffen auch in Zeiten der Corona-Einschränkungen statt, nur dass das Treffen virtuell ist. Am Mittwoch, den 18. März, hat Nicola Klingler einen Vortrag als Sprachwissenschafterin zum Thema Gender-Formulierungen gehalten, bei dem sich bis zum Ende viele Kolleginnen und Kollegen rege an der Diskussion beteiligen. Dieses Treffen und der Vortrag fanden jedoch in den Wohnzimmern der Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt, die via Internet miteinander verbunden waren.

In der Woche danach hat Robert Baumgartner seinen Vortrag für die Jury des prestigeträchtigen FWF-Preises für junge unabhängige Forscher (Young Independent Researcher Groups) präsentiert. Auch hier half die rege Teilnahme der ISF-Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus dem Homeoffice für die Vorbereitung auf diesen Vortrag und mögliche Jury-Fragen. Dieses Treffen mit internationalen Wissenschafterinnen und Wissenschaftern wird nächste Woche, natürlich auch virtuell, stattfinden.

In diesen zwei Wochen werden, wie in den Wochen davor etliche andere Meetings am ISF abgehalten. Doch finden sie eben nicht physisch am ISF statt, sondern im virtuellen Raum. Es sind zum Beispiel interne Besprechungen zu bevorstehenden, von uns organisierten Konferenzen, Treffen mit Direktorinnen und Direktoren anderer Institute oder Diskussionen mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern außerhalb der Akademie.

Hier seien die IT Abteilung des ISF sowie das ARZ der ÖAW lobend erwähnt! Sie bemühen sich, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern möglichst rasch alle nötigen Tools zur Verfügung zu stellen, um von zuhause aus arbeiten zu können.

Teile der wissenschaftlichen Arbeit beinhaltet von vornherein viel Arbeit am Computer oder konzeptuell mit Papier und Stift. Diese Arbeit ist auch jetzt ohne Einschränkungen möglich. Die Kooperationen mit anderen Institutionen lassen sich, wie immer, via File Sharing und Tele-Diskussionen durchführen.

Nun muss jedoch auch die Zusammenarbeit der Angestellten am Institut auf diese Art und Weise funktionieren. Und sie funktioniert auch. Die Aktivitäten bei den virtuellen Treffpunkten zeigen wie aktiv die Wischafterinnen und Wissenschafter des ISF noch immer forschen. Hier wird aber auch bald deutlich, dass Diskussionen per Videochat oder Argumentationen in einer Textdatei ein möglicher, aber  nur ein eingeschränkter Ersatz für die gemeinsame inhaltliche Auseinandersetzung mit einem Thema vor einer Tafel oder mit einem Blatt Papier sind. Die Diskussionen unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an den immer vollgeschriebenen Tafeln in den Aufenthalts- und Vortragsräumen oder in den Büros fehlen deutlich.

Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum wissenschaftliche Kongresse so wichtig sind. Derzeit werden jedoch die meisten geplanten Veranstaltungen der Reihe nach abgesagt. Einige davon finden auch online statt. Dennoch ist dies kein wirklicher Ersatz. Der persönliche Kontakt, das persönliche Gespräch, die gemeinsame Diskussion an einer Tafel oder mit einem Blatt Papier sind gewichtige Gründe, diese Treffen in der Nach-Corona-Zeit wieder auferstehen zu lassen. Ebenso lassen die fehlenden internationalen Veranstaltungen das willkommene Herausgerissenwerden aus dem Alltag vermissen, das Zurücklassen von administrativen, organisatorischen und auch privaten Verpflichtungen, um sich ein paar Tage wirklich auf die Wissenschaft konzentrieren zu können.

Ich die experimentelle Arbeit. Da der Zugang zum Labor extrem eingeschränkt ist, sind derzeit Messungen de facto unmöglich, was diese und die davon abhängigen Arbeiten bis auf weiteres verzögert. Die bisher gesammelten Daten lassen sich andererseits jetzt in der nötigen Ruhe aufarbeiten, eine Chance zur Entschleunigung gegenüber dem sonst oftmals stressigen Berufsalltag. Insgesamt mag uns diese Pause auch Zeit zum Nachdenken, Nachlesen und Ausarbeiten von neuen Ideen geben, für deren Entwicklung wir nicht die Zeit hatten, was das Vorantreiben von neuen Forschungsarbeiten ermöglichen kann.

Aber, um das ganz klarzustellen, auch wir wünschen uns, sobald wie möglich wieder ans Institut zurückkehren zu können, nicht nur wegen der Laborarbeit, nicht nur wegen der besseren Möglichkeiten für Diskussionen, sondern auch weil der soziale Kontakt untereinander natürlich fehlt, der soziale Klebstoff, der das Team des ISF zusammenschweißt. Dinge, wie das zufällige Treffen vor der Kaffeemaschine, lassen sich nur schwer per Internet simulieren. Gerade aus solchen Treffen sind jedoch schon einige signifikante wissenschaftliche Ergebnisse erwachsen.

Die derzeitige Krise zeigt sehr schön, wie wichtig es ist, anwendungsorientierte Wissenschaft zu betreiben, in diesem Fall Forschung am Corona-Virus, aber wie wichtig auch Neugier-getriebene und rein auf Wissensvermehrung gerichtete Grundlagenforschung ist, hier in der Virologie, denn nur dadurch kann man auf Unvorhergesehenes vorbereitet sein.

Auch in der Medizin waren viele Forscher in der Vergangenheit dadurch motiviert, zu verstehen, wie der menschliche Körper funktioniert, nicht immer wollten sie eine konkrete Krankheit heilen. Medizinische Grundlagenforschung führte zum Verständnis, dass der Körper aus Zellen besteht, die von Viren befallen werden können. Eine Verbindung zum Bereich Medizin gibt es auch am ISF im Rahmen unseres Forschungsschwerpunkts zu Cochleaimplantaten. Das sind Hörhilfen, die ins Innenohr implantiert werden und sogar Tauben erlauben, wieder zu hören. Auch der Forschungsschwerpunkt Lärm ist medizinisch relevant, da neuere Untersuchungen zeigen, dass länger andauernder Lärm zu psychischen und physischen Beeinträchtigungen führt und sogar den Tod verursachen kann. Aber einen Bezug zur Virologie gibt es bei beiden Themenbereichen natürlich nicht.

Insgesamt gibt es fachlich natürlich wenig direkten Bezug der Forschungsthemen des Instituts für Schallforschung mit der Corona-Situation. Es gibt jedoch methodische Überschneidungen. Etwa die Arbeiten, in denen Wissenschafterinnen und Wissenschafter des ISF wichtige grundlegende Methoden im Bereich der Detektion von gefälschten Audio-Signalen entwickelt haben. Diese Methoden können natürliche Sprachsignale von synthetisch erzeugten unterscheiden, eine Anwendung, die in der jetzigen Krise relevant sein könnte, da das Thema Fake-News derzeit oft diskutiert wird.

Weiters sind die Simulationen der Corona-Ausbreitung methodisch eng verwandt mit statistischen Methoden wie Punktprozessen, die in anderen Anwendungen am ISF genutzt werden. Resultate aus der Grundlagenforschung zur Informationstheorie sind bedeutsam für die Entwicklung optimaler Teststrategien auf das Virus für größere Bevölkerungsgruppen und können so bei der Bewältigung der derzeitigen Krise helfen. Am ISF wird die Forschung im Bereich der Informationstheorie von Anwendungen wie der Kompression von Sprachsignalen motiviert, jedoch kommen hier genau dieselben grundlegenden Methoden zum Einsatz.

Zusammenfassend sind wir als Wissenschafterinnen und Wissenschafter zwar klar – im Vergleich zu anderen aber relativ gering – durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung an unserer Arbeit gehindert.

Unsere besten Wünsche gehen an jene, für die das nicht gilt, sowie Personen der Risikogruppe. Unser Dank gilt insbesondere auch jenen, die sich dafür einsetzen, dass das Leben trotzdem weitergeht – sie setzen sich dabei einem Infektionsrisiko aus und stellen die Infrastruktur dafür bereit, damit unter anderem wir relativ ungestört weiterarbeiten können.

Der Dank gilt auch den wunderbaren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des ISF-Teams, die es auch in dieser Krise ermöglichen, die Schallforschung voranzutreiben.