Text: Silvia Dallinger
Im autoritären Ständestaat wurde unter Mitwirkung des Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß der Kapuzinermönch Marco d’Aviano (1631–1699) wiederentdeckt. Der Kapuzinerpater soll die christlichen Heeresführer 1683 geeint und die Soldaten mit erhobenem Kreuz in der Hand in die Schlacht geführt haben (siehe “Marco d’Aviano und das Kreuz”). Nachdem Dollfuß 1934 von Nationalsozialisten ermordet worden war, rückte d’Aviano endgültig in den Mittelpunkt der Propaganda (Marco d’Aviano-Feiern). Der ‚Aviano-Dollfuß-Kult’ sollte die Verbundenheit zwischen Kirche und Staat symbolisieren und der historischen Sendung der Schaffung eines christlichen, deutschen Staates auf ständischer Grundlage unter autoritärer Führung Ausdruck verleihen.
‚Retter des österreichischen Vaterlandes’
‚Retter des österreichischen Vaterlandes’
Die zweitägige Marco d’Aviano-Feier am 11. und 12. September 1934 war sowohl eine Gedenkfeier für den Kapuzinerpater als auch eine Trauerfeier für den am 25. Juli 1934 ermordeten Bundeskanzler Engelbert Dollfuß. Im Rahmen dieser Veranstaltung wurden die vermeintlichen Gemeinsamkeiten von d’Aviano und Dollfuß betont: Beide wurden nicht nur als ‚Retter des österreichischen Vaterlandes‘, sondern auch des christlichen Abendlandes präsentiert. Sie seien starke Führer in Politik und Glauben gewesen, „mutige Kämpfer, mit dem Kreuz in der Hand“:
Es ist eine schmerzliche und dennoch stolze Erinnerung, der herrlichen Worte zu gedenken, die Dollfuß damals [in der Trabrennplatzrede am 11.09.1933] sprach: ‚Wir wollen einen christlich-deutschen Staat in unserer Heimat errichten.’ […] War er da nicht auch wie ein Marco d’Aviano, der als mutiger Kämpfer, mit dem Kreuz in der Hand, als Führer den Truppen voran in den Kampf zog? Fürwahr, er war unser Führer, der Kreuz- und Fahnenträger des neuen Österreich! (Innitzer, Aviano-Dollfuß-Sühneandacht, Kapuzinerkirche, 11.09.1934 , zit. nach: Reichspost 12.09.1934: 5)
Wie damals Marco d’Aviano die Christen gerettet hat, so hat Engelbert Dollfuß durch seinen Martertod uns die Gegenwart und die Zukunft unseres Vaterlandes gerettet. (Schmitz, Pontifikalamt auf dem Neuen Markt, 12.09.1934 , zit. nach: Reichspost 13.09.1934: 6)
Von Heiligen, Märtyrern und göttlichen Fürsprechern
Von Heiligen, Märtyrern und göttlichen Fürsprechern
Darüber hinaus seien beide als ‚heiligmäßig‘ zu sehen: d’Aviano als Gesandter Gottes und Dollfuß als Märtyrer, der für sein Vaterland gestorben sei. Kardinal Innitzer war der erste, der bei der Totenrede im Stephansdom vier Tage nach dem Attentat auf Dollfuß diesen in religiöse Sphären hob, indem er seinen Tod mit dem Tod Jesu am Kreuz verglich (vgl. Luksan et al. 2007: 71). Auch bei der Dollfuß-Trauerveranstaltung am 8. August 1934 am Heldenplatz, an der über 150 000 Menschen teilnahmen, wurden Trauerzettel verteilt, auf denen u.a. zu lesen war: “Dollfuß ist jetzt unter den Heiligen, zu denen wir beten dürfen” (Luksan et al. 2007: 80).
Mögen aber auch die Vorkämpfer der Idee sterblich sein, die Idee Oesterreich selbst sei unsterblich. (Starhemberg, Weihestunde, Großer Konzerthaussaal, 12.09.1934, indirekt zit. nach: Reichspost 13.09.1934: 7)
Marco d’Aviano und Engelbert Dollfuß, der eine ein Bekenner, der andere ein Märtyrer! – Mögen beide unsere Fürsprecher sein, die Anwälte an Gottes Thron für unser armes, bedrängtes Oesterreich, möge uns bald das hohe Gut zuteil werden, wofür beide arbeiteten, kämpften, litten, stritten: Der Friede, die Ehre, die Freiheit und Unabhängigkeit eines christlichen, glücklichen Oesterreichs! Amen! (Innitzer, Aviano-Dollfuß-Sühneandacht, Kapuzinerkirche, 11.09.1934 , zit. nach: Reichspost 12.09.1934: 5)
Einigkeit in schweren Zeiten
Einigkeit in schweren Zeiten
Eine weitere Parallele zwischen dem Kapuzinermönch und dem Bundeskanzler sei die einigende Kraft, die beide bewiesen hätten. Marco d’Aviano habe etwa die zerstrittenen Führer des Entsatzheeres, Jan III. Sobieski und Karl V. von Lothringen, sowie die protestantischen und katholischen Krieger geeint. Auch Engelbert Dollfuß habe eine Einigung erreicht:
Daß es möglich war, wieder den österreichischen Gedanken von heute, eine einige Front, zustandezubringen, das war das große, unsterbliche und unvergängliche Werk von Engelbert Dollfuß.“ (Starhemberg, Weihestunde, Großer Konzerthaussaal, 12.09.1934 , zit. nach: Reichspost 13.09.1934: 6)
David gegen Goliath
David gegen Goliath
Bei der konstruierten Parallele zwischen Dollfuß und d’Aviano wurde zum Teil auch von einer David-und-Goliath-Symbolik Gebrauch gemacht: ein schlichter, bescheidener und demütiger Kapuzinermönch und ein Bundeskanzler im kleinen Staat Österreich, die dennoch Großes bewirken.
Wenn es [Österreich] auch klein und bescheiden an materieller Macht ist, so vermag es doch viel durch die Kraft seiner christlichen Staatsauffassung und durch die Kraft seiner kulturellen Sendung. Wieder können wir hier durch einen Vergleich mit P. Markus Zuversicht für die Erfüllung unserer Aufgabe schöpfen, denn an ihm hat sich erwiesen, was ein einziger, armer und einfacher, aber gottbegnadeter, von Feuereifer erfüllter Mann zu leisten vermag. (Pernter, Präludiumfeier, Kahlenberg, 02.06.1935 , zit. nach: Wiener Zeitung 03.06.1935: 3)
Dollfuß sei es gewesen, der die historische Bedeutung d’Avianos wieder entdeckte und sich seiner Mission annahm:
Aus Vergangenem lernt man die Gegenwart verstehen.
Ist der Raum um Wien nicht heute wieder ein begehrenswert erscheinendes Gebiet? Waren die zu seiner Verteidigung Bestimmten nicht durch den Weltkrieg und die bittere Zeit hernach ausgeblutet und ausgesaugt? Mußten sie nicht müde, ja gleichgültig und stumpf werden?
Dollfuß brachte den an sich und ihren Staat nicht mehr glaubenden Österreichern die ihnen von Gott bestimmte geschichtliche Aufgabe wieder zum Bewußtsein. Dollfuß hat die Gedanken ‚Österreich!‘ und ‚Seid einig!‘ wieder in ihnen erweckt. Dollfuß war seit 1693 der erste österreichische Kanzler, der am Sterbetage des P. Markus von Aviano einen Kranz auf dessen Grab legte und dort auch für Österreich betete. Dollfuß hatte eben Markus von Avianos Bedeutung voll erfaßt. Von ihm kam auch der Denkmalgedanke für seinen kongenialen Bruder Markus.
Dollfuß ist tot; sein Werk aber lebt in uns und durch uns.
(Hübner-Marton 1935: 25f.)
Literatur
Literatur
Hübner-Marton, Alexander (1935): Zum Gedenken an Markus von Aviano. Zur Weihe des Denkmals für Markus von Aviano am 9. Juni 1935 in Wien. Wien.
Luksan, Martin/ Schlösser, Hermann/ Szanya, Anton (2007): Heilige Scheine. Marco d’Aviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus. Wien.
Reichspost (12.09.1934): Die Marco-d’Aviano-Feier, 5, 21.09.2009.
Reichspost (13.09.1934): Weihestunde im Konzerthaussaal, 6–7, 25.09.2009.
Wiener Zeitung (03.06.1935): Die große Marco-d’Aviano-Feier, 3, 21.09.2009.