06.03.2023 | Weltfrauentag

WELTFRAUENTAG: DIE PIONIERIN BERTA KARLIK

Vor 50 Jahren wurde Berta Karlik als erste Frau zum wirklichen Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften gewählt. Historikerin Sandra Klos spricht im Interview über Karliks Pionierleistungen.

© Archiv der ÖAW

Die Physikerin Berta Karlik (1904–1990) schrieb Geschichte: Als Entdeckerin des Elementes Astat, als erste ordentliche Professorin der Uni Wien und als erste Frau, die zum wirklichen Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) gewählt wurde.

Über ihre Pionierleistungen und Forschungsbedingungen für Frauen in der österreichischen Wissenschaftsgeschichte spricht Historikerin Sandra Klos vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW im Interview.

Mit der Berta Karlik-Lecture am 8. März würdigt die Akademie die Physikerin und stellt aus Anlass des Weltfrauentags die Forschungsfelder weiblicher Mitglieder vor.

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RADIUMFORSCHUNG ALS „MEKKA FÜR FRAUEN“

Berta Karlik leistete im männlich dominierten Feld der Naturwissenschaften viel Pionierarbeit und war oftmals die Erste: Sie war erste Ordinaria an der Universität Wien und erstes weibliches wirkliches Mitglied der ÖAW. Wie begann ihre Karriere?

Sandra Klos: Kurz nach ihrer Promotion erhielt Berta Karlik ein Stipendium vom Internationalen Verband der akademischen Frauen und konnte Studienaufenthalte in England und bei Marie Curie in Frankreich absolvieren. 1931 begann sie am Institut für Radiumforschung zu arbeiten und wurde zwei Jahre später gemeinsam mit ihrer Kollegin Elizabeth Rona mit dem Haitinger-Preis der ÖAW ausgezeichnet. 1937 habilitierte sie sich und erhielt 1943 erneut den Haitinger-Preis, diesmal zusammen mit Traude Cless-Bernert für den Nachweis des Elements 85, Astat, in der Natur.

„Die Radiumforschung in der Physik etablierte sich in dieser Zeit neu. Es war Frauen möglich in ein neues Forschungsfeld, das noch nicht viel Prestige hatte, einzutreten.“

Am Institut für Radiumforschung arbeiteten in den 1920er Jahren im Vergleich zu anderen wissenschaftlichen Einrichtungen viele Frauen. Es galt als „Mekka für Frauen“. Warum?

Klos: Eine These in der Wissenschaft ist, dass diese exakten Wissenschaften für Frauen zugänglicher waren, weil dort leichter nachvollziehbare Urteile und Maßstäbe dominierten. Ein weiterer Grund: Die Radiumforschung in der Physik etablierte sich in dieser Zeit neu. Es war Frauen also möglich in ein neues Forschungsfeld, das noch nicht viel Prestige hatte, einzutreten. Und: Der damalige Leiter des Instituts, Stefan Meyer, förderte Frauen wie Karlik in ihrer Karriere.

VIELE JÜDISCHE KOLLEG:INNEN WURDEN VERTRIEBEN

Anders als viele ihrer jüdischen Kolleg:innen wurde Karliks Forschung in der NS-Zeit nicht unterbrochen. Wie kam es, dass ihr 1945 die Leitung des Instituts für Radiumforschung angeboten wurde?

Klos: Es war ein Zusammenspiel: Sie war eine exzellente Wissenschaftlerin, und war weder jüdisch noch NS-belastet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Stelle der Leitung für das Institut für Radiumforschung frei. Sie hatte sich schon eine prominente Stellung in der Physik erworben und war die einzige Kernphysikerin, die noch in Wien war. Ihre Kolleg:innen waren entweder jüdisch definiert worden, lebten deshalb im Exil oder zurückgezogen wie Stefan Meyer – oder sie waren selbst NS-belastet wie Gustav Ortner, der 1938 als Leiter des Instituts für Radiumphysik eingesetzt wurde. So kam es dann, dass sie zunächst die provisorische Leiterin des Instituts wurde, von 1947 bis 1974 die Direktorin.  

Auch an der Universität Wien legte sie eine steile Karriere hin.

Klos: Die Verleihung des Titels einer außerordentlichen Professorin 1946 war eine weitere Station ihrer Karriere. 1950 wurde sie zur außerordentlichen Professorin und schließlich 1956 zur ersten Ordinaria österreichweit ernannt. 1973, ein Jahr vor ihrer Emeritierung, wurde sie wirkliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften.

„Zu ihren Lebzeiten ist sie die einzige Frau als wirkliches Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse geblieben.“

MEHR ALS EINE PIONIERIN

1948 wurde die Physikerin Lise Meitner erstes weibliches Mitglied, allerdings korrespondierendes im Ausland. Warum dauerte es 25 Jahre, bis wieder eine Frau, nämlich diesmal Berta Karlik als wirkliches Mitglied gewählt wurde?

Klos: Und dann dauerte es nochmal 30 Jahre bis eine Frau als zweites wirkliches Mitglied in die mathematisch-naturwissenschaftliche Klasse gewählt wurde. Es reichte also nicht, dass einst eine Frau gewählt wurde und damit die Schwelle für andere niedriger gelegt wurde, sondern es benötigte mehr als eine Pionierin, um die Türen der ÖAW zu öffnen. Bei Berta Karlik gab es drei Wahlvorschläge, erst der dritte war erfolgreich. Zu ihren Lebzeiten ist sie die einzige Frau als wirkliches Mitglied der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse geblieben. Erst 30 Jahre später wurde mit Renee Schroeder eine zweite Frau als wirkliches Mitglied gewählt. Frauen wurden tatsächlich erst in den 1990er Jahren in größerer Zahl in die ÖAW gewählt.

Können noch etwas über den Verband akademischer Frauen erzählen, der Berta Karlik einst ein Stipendium ermöglichte?

Klos: Der Verband wurde 1919 von Professorinnen in London als „International Federation of University Women“ ins Leben gerufen. 1922 wurde ein österreichischer Verband der Akademikerinnen von der Romanistin und ersten habilitierten Frau in Österreich, Elise Richter, als Teil der internationalen Vernetzung gegründet. In den 1920er Jahren war die Vereinigung sehr aktiv um Frauen in der Wissenschaft zusammenzubringen, aber auch um Gelder für Auslandsstipendien zu organisieren. Der österreichische Verband wurde 1938 von den Nationalsozialisten:innen aufgelöst. Berta Karlik bemühte sich 1948 um den Wiederbeginn der Organisation, die bis heute besteht.

 

 

Auf einen Blick

Sandra Klos ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW. Klos studierte Geschichte in Heidelberg, Kingston/ON, Wien und Lyon. Seit 2017 Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe „Geschichte der ÖAW 1847–2022“. Ihre Dissertation an der Universität Wien beschäftigt sich mit Autobiographien von ÖAW-Mitgliedern.

Mit der Berta Karlik-Lecture am 8. März im Festsaal der ÖAW würdigt die Akademie Karliks Leistungen und setzt zugleich ein Zeichen gegen Gender-Bias im heutigen Wissenschaftsbetrieb. Im Festvortrag stellt der Physiker Walter Kutschera Karliks Werk am und für das Institut für Radiumforschung vor. Anschließend werden vier weibliche Mitglieder – die Indologin Nina Mirnig, die Computerwissenschaftlerin Ivona Brandić, die Philosophin Patrizia Giampieri-Deutsch und die Biochemikerin Andrea Barta – ihre Forschungsgebiete vorstellen.      

Ort: Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Dr. Ignaz-Seipel-Platz 2, 1010 Wien und via Livestream

Zeit: Mittwoch, 8. März 2023 um 17:30 Uhr