30.11.2022 | Klimawandel

Klimabewusstsein führt nicht zwingend zu klimafreundlichem Verhalten

Extreme Wetterereignisse haben zwar ein höheres Klimabewusstsein zu Folge aber weniger mit dem Auto fahren die Menschen deswegen trotzdem nicht. So lässt sich eine aktuelle Untersuchung des Soziologen Tobias Rüttenauer zusammenfassen. Bei der Jahreskonferenz des Wittgenstein Centre erzählt er, wie Wissenschaft, Politik und soziale Bewegungen klimafreundliches Verhalten fördern können.

Wegen Extremwettereignissen wie Hochwasser seltener mit dem Auto fahren? Das ist in der Realität - bisher - nicht flächendeckend zu beobachten. © AdobeStock

Der Zusammenhang von Bevölkerungsentwicklung und Klimawandel ist das bestimmende Thema der disjährigen “Wittgenstein Centre Conference 2022”, die vom 30. November bis 2. Dezember an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Wien stattfindet. Einer der Vortragenden ist der Soziologe Tobias Rüttenauer vom University College London. Er wird über die Auswirkungen von Erfahrungen mit extremen Wetterereignissen auf Verhalten und Einstellungen von Menschen sprechen. „Das Risiko für extreme Wetterereignisse steigt zweifellos, viele Menschen glauben aber anscheinend, dass ihr individuelles Verhalten keinen Einfluss hat“, sagt Rüttenauer auf Basis von ihm durchgeführter Untersuchungen. Warum das so ist, erklärt er im Interview.

UNTERSUCHUNG ZU HITZEWELLEN UND KLIMABEWUSSTSEIN

Wie erforscht man die Auswirkungen von extremen Wetterereignissen auf Einstellungen und Verhalten?

Tobias Rüttenauer: Wir haben Daten aus Großbritannien (GB) zu Überflutungsereignissen und Hitzewellen mit Befragungen zu Einstellungen zum Thema Klimawandel und ökologisch motivierten Handlungsweisen kombiniert. Ältere Studien haben sich oft auf Befragungen in von Wetterextremen betroffenen Gegenden konzentriert und versucht, die Ergebnisse mit nicht betroffenen Regionen zu vergleichen. Das führt aber oft zu einer Situation, in der Äpfel mit Birnen verglichen werden. Wir haben sogenannte Panel-Daten aus GB verwendet, die aus der großen, jährlich durchgeführten Befragung “Understanding Society” stammen. Damit können wir die Einstellungen und Handlungsmuster einzelner Personen vor und nach einem extremen Wetterereignis vergleichen und belastbare Schlüsse ziehen.

Wir denken oft zu kurzfristig und sind sehr starr in unseren Verhaltensweisen."

Welche Verhaltensweisen wurden hier auf Änderungen untersucht?

Rüttenauer: Zum Beispiel, ob Menschen das Licht und die Heizung ausmachen, wenn sie Räume nicht nutzen, wie viel sie Auto fahren oder wie sehr sie bei ihren Einkäufen auf Nachhaltigkeit achten. 

Was gilt als extremes Wetterereignis?

Rüttenauer: Wir haben als Parameter für eine Hitzewelle drei Tage über 29 Grad Celsius festgelegt. Das ist für britische Verhältnisse tatsächlich schon ein Ereignis. Überflutungen haben wir über Satellitendaten erhoben. Unsere Schwelle wird erreicht, wenn eine Fläche von zwei Fußballfeldern überschwemmt ist.

STARRE VERHALTENSWEISEN

Ihre Untersuchung zeigt, dass sich durch Wetterextreme mitunter zwar die Einstellungen zum Klimawandel ändern können. Auf das Verhalten wirken sie sich aber nicht aus. Ist das nicht ein Albtraum für Klimaaktivist:innen?

Rüttenauer: Absolut. Dass sich die Einstellungen ändern, ist zwar gut. Aber anscheinend lernen wir nichts aus unseren Erfahrungen. Wir denken oft zu kurzfristig und sind sehr starr in unseren Verhaltensweisen. Das Risiko für extreme Wetterereignisse steigt zweifellos, viele Menschen glauben aber anscheinend, dass ihr individuelles Verhalten keinen Einfluss hat. Das Problem daran ist, dass nichts passiert, wenn alle so denken. Eine Limitation unserer Studie ist, dass wir nicht alle Reaktionen auf Extremereignisse erfassen können. Wenn jemand zum Beispiel sein Haus isoliert, haben wir das in unserer Befragung nicht erfasst.

Das heißt, es gibt noch Hoffnung, dass sich das Verhalten in manchen Bereichen doch ändert?

Rüttenauer: In Großbritannien spielt die Grüne Partei kaum eine Rolle, weshalb wir das nicht untersuchen konnten, aber es gibt aus anderen Ländern Studien, die sagen, dass Extremereignisse den Grünen Parteien entgegenkommen.

Wenn sich mein Bewusstsein für den Klimawandel ändert, ich mein Verhalten aber nicht anpassen will, kann ich wenigstens die Grünen unterstützen, um mein Gewissen zu beruhigen."

Ob das den Klimawandel aufhalten kann, ist fraglich.

Rüttenauer: Die Menschen wollen sich so freikaufen. Wenn sich mein Bewusstsein für den Klimawandel ändert, ich mein Verhalten aber nicht anpassen will, kann ich wenigstens die Grünen unterstützen, um mein Gewissen zu beruhigen. Dass das nicht immer nachhaltigere Politik bringt, sieht man gerade in Deutschland. Die Grünen sind in der Regierung, haben aber mit so großen, akuten Problemen zu kämpfen, dass die Umwelt als Thema in den Hintergrund rückt. Dass Grüne beispielsweise eine Preisbremse für Gas und Öl unterstützen, ist eigentlich absurd.

Gibt es harte Brocken, die ihre Klimaskepsis auch nach Erfahrungen mit Extremereignissen behalten?

Rüttenauer: Vergangenes Jahr gab es in Großbritannien mehrere Starkregenereignisse, unter anderem auch in London. Der Bürgermeister der Hauptstadt hat daraufhin ein Foto mit einem Aufruf zur Bekämpfung des Klimawandels getweetet. Eine Antwort darauf war “Wir sind in England, wir hatten immer schon Regen”. Es gibt Klimaverweigerer, die die Situation immer nach ihrem Glauben beurteilen. Da helfen auch Studien, Fakten und Beweise nicht weiter. Kommunikation ist in solchen Fällen sehr schwierig, auch weil der Diskurs mittlerweile ohnehin stark polarisiert ist. Ähnlich wie beim Thema Klimawandel haben wir das auch bei Corona gesehen.

VERHALTENSÄNDERUNG DURCH PREISE?

Ist Geld ist also ein besserer Motivator als die eigene Erfahrung?

Rüttenauer: Die Verbindung zwischen dem eigenen Verhalten und den Auswirkungen auf den Klimawandel muss man erst einmal herstellen. Das ist recht abstrakt. Preissteigerungen hingegen sind sehr direkt an einer Zahl ablesbar und bringen die Konsequenz sehr nah an die Handlung. Die Leute haben prinzipiell recht, wenn sie sagen, dass eine persönliche  Verhaltensänderung nur ein Tropfen auf den heißen Stein sei. Aber wenn tatsächlich 50 Prozent der Menschen vom Auto auf ein Fahrrad umsteigen, wäre das ein riesiger Erfolg im Kampf gegen den Klimawandel, errungen durch viele persönliche Entscheidungen.

Sind staatliche Maßnahmen immer effektiver als Bürgerbewegungen?

Rüttenauer: Von oben vorgegebene Maßnahmen erreichen auch jene Leute, die ich sonst nicht zum Mitmachen bewegt hätte. Ich denke, wir brauchen am Ende aber beides. Preise, Regulierung und Steuern können effektive Anreize für Verhaltensänderungen sein, aber das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Maßnahmen bekommen wir über Bewegungen, die von unten entstehen. Ohne die “Fridays for Future” wären grüne Ideen in vielen europäischen Ländern heute nicht so stark. Wir brauchen auch den öffentlichen Diskurs und das gemeinsame Nachdenken über Konzepte.

Preise, Regulierung und Steuern können effektive Anreize für Verhaltensänderungen sein, aber das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Maßnahmen bekommen wir über Bewegungen, die von unten entstehen."

Eine Steuerung über Preise bringt immer Fragen nach der fairen Verteilung.

Rüttenauer: Mit Steuern und Preisen muss man natürlich vorsichtig umgehen, zum Beispiel um zu verhindern, dass ärmere Haushalte überproportional betroffen sind. Die Gerechtigkeit ist ja auch im globalen Maßstab ein Thema. Beim gerade zu Ende gegangenen Klimagipfel COP27 wurde deshalb erstmals beschlossen, einen Fonds zur gerechten Verteilung der Kosten zwischen den Ländern einzurichten. Vermutlich bräuchten wir ein ähnliches Modell auf nationaler Ebene, bei dem diejenigen, die es sich leisten können, mehr bezahlen. 

Können wir eine katastrophale Erwärmung noch verhindern?

Rüttenauer: Einige Kolleg:innen sind der Meinung, dass es schon zu spät ist und wir ungebremst auf eine Katastrophe zusteuern. Andere Wissenschaftler:innen verstärken ihr Engagement aber sogar und unterstützen auch neue Protestformen. Das zeigt zwar eine gewisse Verzweiflung, aber keinen Fatalismus. Das Thema Klimawandel hat derzeit viel Schwung und die Aufmerksamkeit der Medien. Das ist auch eine Chance, echten Wandel zu bewirken. Wir dürfen den Kopf jetzt nicht in den Sand stecken, sondern müssen beginnen, unser Verhalten zu ändern. Es ist schön zu sehen, wie viele Leute sich bereits aktiv für Veränderung einsetzen.

 

AUF EINEN BLICK

Tobias Rüttenauer ist Assistant Professor of Quantitative Social Science am Social Research Institute des University College London. Davor war er am Nuffield College in Oxford. Promoviert hat Rüttenauer an der Universität Kaiserslautern in Deutschland.

Die Jahreskonferenz des Wittgenstein Centre, das gemeinsam von der Österreichischen Akdemie der Wissenschaften (ÖAW), der Universität Wien und dem IIASA getragen wird, befasst sich heuer mit dem Thema „Population and Climate Change“ und findet vom 30. November bis 2. Dezember 2022 an der ÖAW in Wien statt. Die Veranstaltung kann nach Anmeldung auch online verfolgt werden.

Anmeldung und Programm