15.02.2021

Corona: Demokratie in Gefahr?

Wenn sich Politiker*innen nur noch auf wissenschaftlichen Rat verlassen hören sie auf, ihre Aufgabe als Vertreter der Mehrheit zu erfüllen, argumentiert Alexander Bogner in seinem neuen Buch. Er sieht sogar die Demokratie gefährdet, denn: „Alternative Fakten haben Konjunktur, wenn Politik alternativlos scheint“.

Graphik: ITA

Der Autor ist Soziologe am Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der ÖAW.

Herr Bogner, Sie begannen dieses Buch zu schreiben, als Corona noch weit entfernt war. Nun ist die Pandemie eine der Hauptdarstellerinnen geworden. Wie kam es dazu?

2020 war das Corona-Jahr. Ich habe – so wie wir alle – mit Hochspannung die ZIB-Meldungen zu aktuellen Inzidenzwerten, Reproduktionszahlen und Verdoppelungsraten verfolgt. So hat sich bald auch eine soziologische Auseinandersetzung mit dem aktuellen Geschehen entwickelt. Anfangs ging es mir um das Paradox, dass die Politik sich immer mehr auf die Wissenschaft zu verlassen scheint, wir aber gleichzeitig eine Blütezeit der Verschwörungstheorin und Falschinformation erleben. Das Buch war im Sommer 2020 fertig, und seitdem haben sich die Debatten um die politische Rolle der Wissenschaft noch einmal intensiviert.

Sind die Politiker*innen abhängig geworden von der Wissenschaft?

Mehr denn je, ja. Zu Beginn der Pandemie – angesichts der dramatischen Bilder aus der Lombardei – gab es ja einen klaren Weg, den die Politik vorgab und die Gesellschaft befolgte. Es herrschte ein breiter Wertekonsens, der Lebensschutz hatte oberste Priorität. Die Politik handelte größtenteils nach den Anweisungen der Fachleute. Zu Anfang der Krise war die Virologie eindeutig die „Leitwissenschaft“.

Später, im April 2020, entwickelten sich dann politische Konflikte: Im ersten Lockdown hatten sich schnell die unerwünschten Nebenwirkungen bemerkbar gemacht, wie z.B. psycho-soziale Belastungen oder die wirtschaftliche Talfahrt. Damit wurden auch neue Expertisen und Wissenschaftsfelder relevant. Wenn die Virologie den harten Lockdown verlängern will, Ökonomen aber eine Öffnung fordern, entstehen grundlegende Wert- und Interessenkonflikte. Hier muss dann die Politik entscheiden.

Sie analysieren schon lange verschiedenste Technik-Konflikte. Gibt es in der Corona-Pandemie typische Konfliktmuster?

Die gibt es tatsächlich. In der politischen Auseinandersetzung, sei es über Corona, den Klimawandel oder das 5G-Netz, geht es heute vor allem um Wissensfragen. Wie hoch ist das gesundheitliche oder ökologische Risiko? Wie zuverlässig sind die Daten? Auch in der Corona-Krise hieß es zu Beginn: Wer die Fakten auf seiner Seite hat, wer das „bessere“ Wissen hat, der kann die Politik bestimmen. Das reicht aber nicht.

Warum nicht?

Weil Demokratie sich durch die Verfassung und Mehrheiten legitimiert und nicht durch Wahrheit. Wenn die Politik sich darauf beschränken würde zu eruieren, wer denn nun wirklich die Wahrheit hat, um ihr bedingungslos zu folgen, würde sie sich selber abschaffen.

Sehen sie hier eine Gefährdung unserer Demokratie?

Begeisterung für Wissenschaft ist wichtig, aber sie kann die Demokratie in Bedrängnis bringen. Wenn die Politik es nicht mehr als ihre Aufgabe ansieht, die Interessen der Mehrheit zu vertreten und Kompromisse zu schließen, sondern nur mehr den Fachleuten zuhört und der Wissenschaft folgt, dann ist die Demokratie gefährdet. Wir müssen zu einem öffentlichen Diskurs finden, in dem Wissen, Werte und Interessen ihren legitimen Platz finden.

Es wird gerade so stark gestritten, wie schon lange nicht mehr. Für viele ist der Lockdown eine Belastung, die Studien hinter den Maßnahmen sind für sie kaum von Bedeutung. Was hat das für Folgen?

Verschwörungstheorien sind für mich eine Gegenbewegung zur Wissenslastigkeit der Konflikte. Die neue Rhetorik zeigt das auch: Wir nennen jene, die wissenschaftlicher Expertise misstrauen, „Corona-Leugner“, so wie es auch die „Klimawandel-Leugner“ gibt. Früher hießen die, die dagegen waren, „Atomkraft-Gegner“ oder „Kapitalismus-Kritiker“. Die Ansprüche sind gestiegen: Wer in diesen Konflikten eine Rolle spielen will, muss heute über einschlägige Expertise verfügen. Wer das nicht will oder nicht schafft, nimmt eventuell den Notausgang und erschafft eine Gegenwelt zum rationalen Kosmos.

Fake-News und Verschwörungstheorien sind nicht politisch?

Das würde ich nicht sagen, aber sie sind eben eine Reaktion auf die Sonderstellung der Wissenschaft in dieser Krise. Auch für die Wissenschaft wird dies zum Problem, wenn es selbstgewiss heißt: „Die Wissenschaft hat die Fakten, ob Sie's glauben oder nicht“. Das war so ein Leitspruch der „Marches for Science“, die ja in der Trump-Ära aufkamen. Man wollte dem Irrationalismus durch eine Prise Positivismus Einhalt gebieten. Leider gibt es in der Wissenschaft aber weder unumstößliche Fakten noch ewig gültige Wahrheiten. Besonders bei Corona, wo der Wissensstand besonders dynamisch ist, entstehen jetzt Gruppen die einfach kategorisch alles ablehnen, ja sogar das Virus selbst anzweifeln.

Warum sollte man Ihr Buch lesen?

Um Aufschluss zu erhalten über aktuelle Probleme der Politik. Um Aufschluss zu erhalten über die Logik der Coronakrise und anderer Krisen, in denen vor allem mit Bezug auf Fakten, Evidenzen und kognitive Kompetenzen gestritten wird. Um zu verstehen, wie nicht nur Fake News und Verschwörungstheorien, sondern auch die Macht des Wissens die Demokratie gefährden kann.

 

Bogner, Alexander: Die Epistemisierung des Politischen. Wie die Macht des Wissens die Demokratie gefährdet

Buchseite (ITA)

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Alexander Bogner – Bio