05.07.2022 | Digitale Quelle

Wie Habsburger und Osmanen miteinander tanzen lernten

Österreich und die Türkei verbindet eine lange Geschichte der Diplomatie. Bereits in der Habsburgerzeit gab es Gesandte in den Hauptstädten. Was schrieben die habsburgischen Diplomaten nach Hause? Und welche Post schickten osmanische Diplomaten nach Konstantinopel? Das kann nun in einem neuen Digitalarchiv anhand von Originalquellen nachgelesen werden. Welche historischen Schätze dort zu finden sind, erklärt ÖAW-Historiker Arno Strohmeyer.

Der Einzug des osmanischen Großbotschafters Kara Mehmed Pascha im Jahr 1665 in Wien war von einem großen Gefolge begleitet und ein gesellschaftliches Ereignis, wie die Quellen von damals berichten.
Der Einzug des osmanischen Großbotschafters Kara Mehmed Pascha im Jahr 1665 in Wien war von einem großen Gefolge begleitet und ein gesellschaftliches Ereignis, wie die Quellen von damals berichten. © Wikimedia (Ausschnitt)

Internationale Beziehungen sind sehr volatil, das lehrt die Geschichte. Zweimal standen die Türken vor Wien. Doch im 17. und 18. Jahrhundert herrschte Tauwetter zwischen den Habsburgern und dem Osmanischen Reich: „In dieser Zeit kam es zu einer Annäherung zwischen Konstantinopel und Wien und es wurde langsam Vertrauen aufgebaut, eine unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen Frieden. Letztlich kam es wirklich dazu, dass man miteinander tanzte“, erklärt Arno Strohmeyer, Direktor des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Wer das nicht glaubt, kann es jetzt nachlesen. Strohmeyer und sein Team haben Quellen der habsburgisch-osmanischen Diplomatie wissenschaftlich aufbereitet und in einem neuen Digitalarchiv mit dem Kürzel QhoD frei zugänglich im Web verfügbar gemacht. Im Gespräch erzählt Strohmeyer, was die Quellen über die gemeinsame Geschichte der Großreiche erzählen ist und welche Lehren man aus den Beziehungen von Habsburgern und Osmanen für die Gegenwart ziehen kann. Zum Beispiel jene, dass man „Diplomatie immer ernst nehmen sollte“, so der Historiker. 

HINTER DIE KULISSEN DER POLITIK BLICKEN

Worum geht es bei QhoD?

Arno Strohmeyer: Im Mittelpunkt des Projekts steht die wissenschaftliche Aufbereitung von Quellen von habsburgischen Diplomaten in Konstantinopel und osmanischen Diplomaten in Wien. Diese Gesandten waren unter anderem dazu verpflichtet, ihren Herrscher und weitere Personen über ihre Tätigkeiten zu informieren. Von den habsburgischen Diplomaten sind deshalb unzählige Briefe überliefert. Weitere wichtige Quellen sind Reiseberichte und Zeitungsartikel, weil die Gesandtschaften damals für viel Aufsehen sorgten und die Öffentlichkeit sich für sie interessierte. 

Über die Herrscher hat sich natürlich kaum einer getraut zu schimpfen, auch wenn die Briefe üblicherweise verschlüsselt waren.

Wie  lange gab es diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Reichen?

Strohmeyer: Die diplomatischen Beziehungen gab es ab der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Die Habsburger hatten seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ständig residierende Gesandte in Konstantinopel, umgekehrt ist das erst im späten 18. Jahrhundert passiert. Eine umfassende Dokumentation des gesamten Zeitraums ist nicht möglich, dafür fehlen uns schlicht die Kapazitäten. Wir konzentrieren uns für QhoD schwerpunktmäßig auf etwa 15 hochrangige Missionen im 17. und 18. Jahrhundert, die auch große symbolische Bedeutung hatten. In dieser Zeit kam es zu einer Annäherung zwischen Konstantinopel und Wien und es wurde langsam Vertrauen aufgebaut, eine unerlässliche Voraussetzung für einen stabilen Frieden. Letztlich kam es wirklich dazu, dass man miteinander tanzte.

LAGEBERICHTE UND TRATSCH

Wie wichtig waren die diplomatischen Beziehungen damals?

Strohmeyer: Die Diplomatie hatte große Bedeutung, weil es sonst kaum bilaterale Beziehungen gab. Die beiden Reiche sind sich ja lange feindlich gegenübergestanden. Die Information über den Gegner kam hauptsächlich von Diplomaten, die damals oft Adelige waren oder der Elite angehörten. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert sind viele Reiseberichte der Gesandtschaften erhalten, die zeigen, wie divers die übermittelten Informationen waren. Die Briefe kann man sich ein bisschen wie eine Tageszeitung vorstellen, mit politischen Berichten, gesellschaftliche Einschätzungen und auch Tratsch.

Der Einzug des osmanischen Großbotschafters 1665 in Wien etwa war ein gesellschaftliches Ereignis. Da gab es Festlichkeiten mit Reiterspielen und es wurde Kaffee ausgeschenkt, der übrigens so nach Wien kam, nicht über die Zweite Türkenbelagerung.

Das heißt, der Tonfall wird auch mal etwas rauer?

Strohmeyer: Die Briefe an den Kaiser oder die eigene Familie konnten durchaus etwas offener sein, da gab es schon auch deftige Wortmeldungen, etwa zum Alkoholkonsum bestimmter öffentlicher Personen. Über die Herrscher hat sich natürlich kaum einer getraut zu schimpfen, auch wenn die Briefe üblicherweise verschlüsselt waren. Es gibt auch einige Tagebücher, die sind noch ungeschminkter, weil die Briefe an den Kaiser natürlich immer auch Plattformen für Selbstdarstellung waren.

Kam es vor, dass Personen die Seite wechselten?

Strohmeyer: Das kam vor. Offiziere der habsburgischen Armee etwa transferierten Waffentechnik nach Istanbul. Aber auch auf osmanischer Seite finden wir Überläufer. Und dann gab es noch die Dolmetscher, die sogenannten Dragomane. Die haben stets ihr eigenes Süppchen gekocht, als Mitglieder bestimmter Familien aus der osmanischen Elite erlangten sie mitunter großen Einfluss. Später hatten die Habsburger dann ihre eigenen Übersetzer.

WIE DER KAFFEE WIRKLICH NACH WIEN KAM

Wie war das Verhältnis zwischen Diplomaten und Gastländern?

Strohmeyer: Der Einzug des osmanischen Großbotschafters 1665 in Wien etwa war ein gesellschaftliches Ereignis. Die Gesandtschaft kam über die Kärntnerstraße in die Stadt und hat dann im zweiten Bezirk gewohnt. Da gab es Festlichkeiten mit Reiterspielen und es wurde Kaffee ausgeschenkt, der übrigens so nach Wien kam, nicht über die Zweite Türkenbelagerung. Für die Diplomaten war eine solche Mission natürlich ein Kulturschock, mit gänzlich ungewohnten Gebräuchen und Speisen. Man kann aber sehen, wie die Botschafter Vorurteile abbauten und zu differenzierten Ansichten gelangten. Ihre Familien mussten sie zuhause lassen und der Lebensstandard war nicht sonderlich hoch, Die Diplomaten aus Wien etwa lebten in Konstantinopel lange abgeschlossen in einer Karawanserei. Aber eine diplomatische Mission konnte eben auch einen enormen Karrieresprung nach sich ziehen, vorausgesetzt, sie verlief erfolgreich.

Stehen ausreichend historische Quellen zur Verfügung?

Strohmeyer: Das schwankt stark. Manche diplomatischen Missionen sind sehr gut dokumentiert im Staatsarchiv in Wien, in privaten Archiven oder in den Türkischen Staatsarchiven, bei anderen ist die Quellenlage recht dünn. Der Nachlass eines Botschafters, der in Istanbul 1648 verstorben ist, ist beispielsweise spurlos verschwunden. Manche Briefe des Kaisers, von denen wir wissen, sind ebenfalls nicht mehr auffindbar. Wir haben aber einen Reisebericht wiederentdeckt, von dem man dachte, er sei im Zweiten Weltkrieg verbrannt.

Die osmanischen Quellen sind in osmanischem Türkisch verfasst, das ist eine Mischung aus Türkisch, Persisch und Arabisch, mit einer eigenen Schrift, die nur Spezialist/innen lesen können. Diese Quellen mussten wir für die Webseite ins Deutsche oder Englische übersetzen. 

War es schwierig, an die osmanischen Quellen zu kommen?

Strohmeyer: Grundsätzlich haben wir mehr Material von habsburgischer Seite, weil Schriftlichkeit damals dort in der Diplomatie weiter verbreitet war und der Zugang zu den Archiven leichter ist. Osmanische Quellen haben wir hauptsächlich aus den Staatsarchiven in Istanbul und Ankara. Die österreichische Botschaft in der Türkei hat uns hier sehr geholfen, die entsprechenden Genehmigungen zu bekommen. Die osmanischen Quellen sind zudem in osmanischem Türkisch verfasst, das ist eine Mischung aus Türkisch, Persisch und Arabisch, mit einer eigenen Schrift, die nur Spezialist/innen lesen können. Diese Quellen mussten wir für die Webseite ins Deutsche oder Englische übersetzen. 

Wie lange haben die Arbeiten an QhoD gedauert?

Strohmeyer: Wir haben vor zwei Jahren begonnen, hunderte Dokumente zu sichten und aufzubereiten. Bislang sind rund 100 Briefe, fünf Reiseberichte, ein sehr schön illustriertes Reportagebuch, eine Karte, 20 Protokollregister und 17 osmanische Urkunden verfügbar. Das Material wird aber ständig von unseren Expert/innen erweitert. Zudem können auch externe Wissenschaftler/innen auf der Plattform publizieren. Einige Inhalte werden wir auch von analogen Editionsprojekten übernehmen. QhoD läuft ja noch bis Ende 2024, mit Möglichkeit einer Verlängerung bis 2032.

ZWISCHEN WELTHERRSCHAFT UND KONFLIKTVERMEIDUNG

Wie unterscheidet sich heutige Diplomatie von damaligen Gesandtschaften?

Strohmeyer: Diplomatie hat damals wie heute versucht, friedliche Lösungen zu finden. Dazu müssen aber die Rahmenbedingungen stimmen und es muss immer erst bilaterales Vertrauen aufgebaut werden. Habsburger wie Osmanen wollten den Frieden, stellten aber gleichzeitig den Anspruch auf alleinige Weltherrschaft. Es mussten Wege gefunden werden, diese Spannung zu lösen. Religiös aufgeladene Konflikte zwischen den katholischen Habsburgern und dem Islam des Osmanischen Reiches hat es natürlich auch gegeben. Einzelne Diplomaten kamen dementsprechend oft mit Feindbildern in das Gastland, stellten dann jedoch fest, dass die Fremden im jeweils anderen Reich auch nur Menschen waren. Die Grundsätze waren dieselben wie heute, aber der Kontext ist natürlich ein ganz anderer.

Einzelne Diplomaten kamen oft mit Feindbildern in das Gastland, stellten dann jedoch fest, dass die Fremden im jeweils anderen Reich auch nur Menschen waren.

Es gibt die Meinung, dass Großmächte kaum friedlich koexistieren können. Können wir dahingehend etwas aus der Beziehung zwischen Habsburgern und Osmanen lernen?

Strohmeyer: Es gibt immer Alternativen, heute wie damals. Die Osmanen haben sich lange geweigert, den habsburgischen Herrscher als Kaiser zu bezeichnen. Irgendwann haben sie aber doch eingelenkt. Diplomatie sollte man immer ernst nehmen, das ist nicht nur ein Luxus, sondern eine Möglichkeit, Vertrauen aufzubauen und Information zu vermitteln. Zwischen Staaten ergänzen sich Diplomatie und Konflikt ja auch oft. Zwischen Habsburgern und Osmanen gab es anfangs Konflikte, deren Höhepunkt die Erste Türkenbelagerung Wiens war. Im 17. Jahrhundert wurde der Umgang freundlicher, auch weil die Habsburger mit dem Dreißigjährigen Krieg beschäftigt waren und die Osmanen mit dem Perserreich. 1683 kam es zur Zweiten Belagerung Wiens, aber danach verlor der Konflikt zwischen diesen beiden Reichen an Bedeutung. Im Ersten Weltkrieg haben sie schließlich auf der selben Seite gekämpft.

 

AUF EINEN BLICK

Arno Strohmeyer ist Direktor des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Dort leitet er den Forschungsbereich Digitale Historiographie und Editionen. Zugleich ist er Professor für Allgemeine Geschichte der Neuzeit am Fachbereich Geschichte der Universität Salzburg.

Das neue Digitalarchiv wird am 5. Juli 2022 um 17 Uhr erstmals an der ÖAW präsentiert (Theatersaal, Sonnenfelsgasse 19, 1010 Wien). Die Veranstaltung kann auch via Zoom verfolgt werden (Mail an ulrike.rack@oeaw.ac.at)