04.11.2022 | Gehirnentwicklung

Was Neuronen hilft, die richtigen Kontakte zu knüpfen

Die Feinabstimmung der Konnektivität zwischen Neuronen ist entscheidend für die Funktionalität des Gehirns. An diesem Prozess ist eine Gen-Stilllegungsmaschine beteiligt. Wichtige Komponenten davon – mit ihren Zielen und Funktionen – haben Forscher:innen der ÖAW untersucht. Die Ergebnisse wurden in Science Advances publiziert.

Visualisierung neuronaler Synapsen im Mausgehirn. Die Farbe der fluoreszierenden Neuronen entspricht der Tiefe des dreidimensionalen Hirnschnitts, um die dendritischen Dornen (sog. „Spines“) sichtbar zu machen, die Kontakte mit anderen Neuronen bilden. © Hagelkruys/IMBA

Wie erkennen Gehirnzellen, mit welchen Nachbarn sie synaptische Verbindungen aufbauen sollen? Die Konnektivität, also das Ausmaß der Verbindung zwischen Neuronen, wird in einem komplexen Prozess geregelt, wobei der Synapsenbildung eine „Identitätsfeststellung“ vorausgeht. Entscheidende Bedeutung kommt dabei dem HUSH-Komplex, einem epigenetischen Regulationsmechanismus, zu. HUSH steht für „human silencing hub“ und ist eine molekulare Maschine, die Gene spezifisch stilllegt, wenn die von ihnen kodierten Proteine nicht gebraucht werden. HUSH ist seit längerem bekannt für seine Funktion bei der Regulierung von Transposons.

Ein Team um Astrid Hagelkruys vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat zwei Proteinkomponenten dieses HUSH-Komplexes untersucht – Komponenten, deren Vorhandensein die Expression von Zelladhälsionsmolekülen (Protocadherine) zwischen Neuronen unterdrückt. Die IMBA-Forscher:innen haben Ziele und Funktionen der beiden Proteine in-vivo in Labormausmodellen und in Gehirnorganoiden aus menschlichen Stammzellen untersucht.

Veränderte Gehirnentwicklung, verändertes Verhalten

Bei den beiden Komponenten handelt es sich um die Proteine MPP8 und MORC2. Wenn sie Teil der HUSH-Stilllegungsmaschine sind, werden nur ausgewählte Protocadherine ganz gezielt hergestellt. Diese - den Zellzusammenhalt steuernden Moleküle kennzeichnen – vergleichbar einem Barcode – die Zellen, zwischen denen eine Verbindung über Synapsen hergestellt werden soll.

Mäuse, denen MPP8 und MORC2 fehlten, zeigten verringerte motorische Fähigkeiten und schlechteres räumliches Lernen.

Wenn aber MPP8 und MORC2 fehlen, funktioniert die epigenetische Stilllegung nicht: Es werden zu viele Protocadherine exprimiert. Mit diesem unspezifischen Übermaß an Kontaktmöglichkeit scheint die Identität der Neuronen zu verschwimmen und es werden nicht die richtigen Kontakte sowie insgesamt zu viele synaptische Verbindungen induziert. Und das wirkte sich auch auf das Verhalten der Tiere aus: Mäuse, denen MPP8 und MORC2 fehlten, zeigten verringerte motorische Fähigkeiten und schlechteres räumliches Lernen als ihre Artgenossen mit MPP8 und MORC2, so Astrid Hagelkruys, Senior Research Associate in der Penninger-Gruppe und korrespondierende Autorin. Bemerkenswert für die Molekularbiolog:innen war nicht zuletzt die Plastizität der HUSH-Funktion, die einerseits für die Stilllegung repetitiver Gensequenzen, wie der Transposons, wichtig ist, darüber hinaus aber die – ebenfalls repetitiv angeordneten Protocadherin-Gencluster – in Neuronen epigenetisch reguliert.

 

AUF EINEN BLICK

Publikation:

Hagelkruys, A., et al., "The HUSH complex controls brain architecture and protocadherin fidelity". Science Advances, 2022. DOI: https://doi.org/10.1126/sciadv.abo7247