29.12.2022 | Medien

„Science Care ist ein wichtiger erster Schritt“

Molekularbiologe Ulrich Elling spricht im Interview über die neue ÖAW-Anlaufstelle für angefeindete Wissenschaftler:innen.

ÖAW-Molekularbiologe Ulrich Elling war in der Corona-Pandemie in den Medien ein gefragter Gesprächspartner - und wurde dadurch zur Zielscheibe für Anfeindungen und Hassbotschaften. © ÖAW/Elia Zilberberg

Impfpflicht, Klimakrise, Migration: Auch 2022 waren wieder viele Wissenschaftler:innen aufgrund ihrer Forschungsarbeiten Hassbotschaften und Drohungen ausgesetzt. Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat deswegen die Anlaufstelle Science Care gegründet, bei der Forschende Hilfestellungen in rechtlichen Fragen und bei der Krisenkommunikation sowie psychologische Unterstützung bekommen.

Der Molekularbiologe Ulrich Elling vom IMBA – Institut für Molekulare Biotechnologie der (ÖAW) steht seit Beginn der Corona-Pandemie im Licht der Öffentlichkeit. Wie er mit Drohungen umgeht und wem er rät, sich an Science Care zu wenden, erzählt Elling im Interview.

Meine Erfahrung war, dass es - wenn immer das noch möglich war - das Beste ist, den Dialog zu suchen."

Sie sind aufgrund Ihrer Forschungsarbeiten am IMBA seit der Corona-Pandemie ein gefragter Interviewpartner für die Medien. Ihre Expertise ist unbestritten, dennoch bekommen Sie wie viele andere Wissenschaftler:innen Hassbotschaften zugesendet. Wie gehen Sie damit um?

Ulrich Elling: Es ist tatsächlich belastend, wenn man als Lieferant und Übersetzer wissenschaftlicher Fakten zwischen die Fronten der gesellschaftlichen Auseinandersetzung gerät. Das kann, wie Sie sagen, in Hassbotschaften passieren, aber auch z.B. in direkter verbaler Androhung von Gewalt. Auch die Diskussion mit Interessensvertreter:innen und Politik hat nicht immer den Ton getroffen. Meine Erfahrung war, dass es - wenn immer das noch möglich war - das Beste ist, den Dialog zu suchen. Viele Menschen, die mir Pöbel-Mails geschrieben haben, waren scheinbar überrascht, dass am anderen Ende der Leitung ein Mensch sitzt. Wenn ich es zeitlich geschafft habe, habe ich also versucht zu antworten. Dadurch konnte die einfache Attacke wenigstens zu einem Diskurs entschärft werden. Natürlich mussten auch gewisse Sicherheitsvorkehrungen implementiert werden, auf die ich hier nicht näher eingehen kann.

Was hat Ihnen geholfen?

Elling: Persönlich hat es mir sehr geholfen, mich mit anderen Wissenschaftler:nnen in sehr ähnlicher Position zu vernetzen. Wir alle hatten vergleichbare Erlebnisse und gerade während der Pandemie und in gesellschaftlicher Isolation war der Austausch wichtig, sowohl um derartige Vorkommnisse zu verdauen, als auch um eigene Positionen ständig zu hinterfragen. Es ist mir aber wichtig zu erwähnen, dass die überwiegende Mehrzahl der Reaktionen sehr produktiv und angenehm war. Die Menschen haben geradezu einen Crash-Kurs in Molekularbiologie und Infektiologie sowie in wissenschaftlicher Herangehensweise absolviert und die allermeisten Menschen waren der Wissenschaft für ihren Beitrag sehr dankbar.

Gefahren einordnen

Mit welchen Schwierigkeiten sind Wissenschaftler:innen konfrontiert, wenn solche Anfeindungen im Postfach landen?

Elling: Man ist erstmal einfach überfordert, weil man natürlich kaum einschätzen kann, ob diese Anfeindungen eine echte Gefahr darstellen. E-Mail-Adressen und oft Telefonnummern von Wissenschaftler:innen sind im Internet öffentlich zugänglich. Das ist auch wichtig, um die Kommunikation in der wissenschaftlichen Community weltweit sicherzustellen. Das bedeutet aber eben auch, dass Leute ihren Frust oder ihre Verschwörungstheorien jederzeit abladen können. Für mich war es also sehr wertvoll, diese Schreiben hinsichtlich der von dem Schreibenden ausgehenden Gefahr richtig einordnen zu können, ohne diesen noch mehr Plattform zu bieten.

Es sind immer wieder gerade die Wissenschaftlerinnen, die zum Blitzableiter wurden. Viele haben sich deshalb leider aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, weil die Anfeindungen einfach zu viel wurden."

Die ÖAW hat vor einigen Wochen Science Care eingerichtet, eine Anlaufstelle für angefeindete Wissenschaftler:innen. Halten Sie das für einen sinnvollen Schritt?

Elling: Gerade für die Bewertung dieser Schreiben und den richtigen Umgang damit hat mich die ÖAW auch schon vor der Gründung von Science Care dankenswerterweise unterstützt. Um diesen Weg aber zu erleichtern, halte ich die Science Care-Initiative für einen sehr wichtigen ersten Schritt. Leider musste ich auch die Erfahrung machen, dass eine gefährliche Drohung trotz Anzeige nicht weiterverfolgt wurde. Auch hier kann die ÖAW helfen, juristisch Widerspruch einzulegen. Das sind aber glücklicherweise die Ausnahmen, meist hilft es schon eine Ansprechpartnerin zu haben, um die Fälle zu diskutieren, so wie ich eben quasi in einer Selbsthilfegruppe vernetzt war.

Ich möchte noch ein Thema ansprechen, das mir sehr am Herzen liegt. Es sind immer wieder gerade die Wissenschaftlerinnen, die zum Blitzableiter dieser Drohungen wurden. Viele haben sich deshalb leider aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, weil die Anfeindungen einfach zu viel wurden. Wir wünschen uns aber alle mehr Frauen in der Wissenschaft, da sind weibliche Rollenvorbilder wichtig. Gerade hier sehe ich einen besonderen Wert von Science Care.

Science Care ist ein erster wertvoller Schritt hin zur Förderung besserer Wissenschaftskommunikation durch Wissenschaftler:innen"

Wenn man eine vermeintlich bedrohliche oder belastende Situation nicht einordnen kann, dann sollte man sich melden."

Wann würden Sie empfehlen, sich an Science Care zu wenden?

Elling: Lieber zu oft als zu selten. Wenn man eine vermeintlich bedrohliche oder belastende Situation nicht einordnen kann, dann sollte man sich melden. 

Ein Blick in die Zukunft: Was muss noch passieren?

Elling: Leider hält unsere Zeit viele Herausforderungen bereit, die nicht einfach durch politische Anschauungen entschieden werden können, und die leichten Antworten sind populistisch aber nicht tragfähig. Vielmehr gilt es bei den großen Krisen unserer Zeit die Fakten genau zu analysieren und darauf basierend multidisziplinär Antworten zu finden. In vielen Fällen wird die Wissenschaft also gefordert sein, sich aus dem Elfenbeinturm in die gesellschaftlichen Debatten zu begeben. Für mich ist Science Care also ein erster wertvoller Schritt hin zur Förderung besserer Wissenschaftskommunikation durch Wissenschaftler:innen und einen Abbau an Wissenschaftsskepsis in der Bevölkerung.

 

AUF EINEN BLICK

Die ÖAW-Plattform "Science Care" unterstützt Wissenschaftler:innen, die in (sozialen) Medien zum Opfer von Anfeindungen oder Hassbotschaften wurden, mit Beratungen, konkreten Hilfestellungen und weiteren Angeboten. 

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