30.11.2023 | Signalverarbeitung

Pflanzliches Signalprotein an der Schwelle zur Mehrzelligkeit

Der Schritt von Einzellern, die zur Photosynthese fähig sind, hin zu mehrzelligen Pflanzen ging mit einer Änderung der Signalverarbeitung einher. An der Schwelle zur Mehrzelligkeit stellten die Zellen auf polarisiertes Wachstum um und blieben nach der Teilung zusammen. Molekularbiologen der ÖAW konnten zeigen, dass ab diesem Punkt der Pflanzenevolution – unabhängig vom Schritt an Land – ROP-Proteine für eine universelle Signalkette in Pflanzen vorhanden waren. Die Studie wurde in Current Biology publiziert.

Brunnenlebermoos Marchantia in den Wachstumskammern des GMI © Berger Gruppe/GMI

Der Übergang von der ein- zur mehrzelligen Lebensform erforderte bei Pflanzen Mechanismen, die Zellwachstum und Zellteilung auf eine einzige Richtung beschränkten und die entstandenen Zellen zusammenhielten. Was die genetische Grundlage für diesen Übergang hin zu mehrzelligen fadenförmigen Pflanzen ist, wird international intensiv erforscht. Hugh Mulvey, Postdoktorand, und Liam Dolan, Senior-Gruppenleiter am GMI – Gregor Mendel Institut für Molekulare Pflanzenbiologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaft (ÖAW) nahmen in diesem Zusammenhang Sequenz und Funktion des ROP-Signalproteins in den Blick. Ihre Ergebnisse haben sie im Fachjournal Current Biology publiziert.

Die beiden GMI-Forscher fokussieren seit längerem auf jene Signalkettenproteine, die der RHO-GTPase-Familie angehören und als ROP-Proteine spezifisch für Pflanzen sind. Sie wussten aus früheren Experimenten, dass ROP-Proteine in Landpflanzen für die Regulierung der dreidimensionalen Gewebeentwicklung und Organbildung unerlässlich sind und konkret in die Kontrolle des polarisierten Zellwachstums und der Ausrichtung der Zellteilung involviert sind. In der aktuellen Studie wollten sie herausfinden, an welchem Zeitpunkt der pflanzlichen Stammesgeschichte diese wichtigen Proteine erstmals nachweisbar sind.

Fällt das ROP-Signal mit der Vielzelligkeit oder dem Schritt an Land zusammen?

"Wir fragten uns, ob ROP nur in Landpflanzen vorkommt oder ob dieses Signalprotein bereits in den Algen-Vorfahren der Landpflanzen entstanden ist", erläutert Hugh Mulvey den Ausgangspunkt der Studie. Die beiden Forscher verglichen nun das an Land lebende Brunnenlebermoos Marchantia mit einer Reihe unterschiedlich komplexer Grünalgen: mit der einzelligen Mesostigma, mit der Einzellerkolonie Chlorokybus, mit den mehrzelligen Fäden von Klebsormidium und den aus vielen Fäden bestehenden Coleochaete. Die beiden letzten Gruppen leben wie ihre einzelligen Algenvorfahren im Süßwasser, gehören aber zu den unmittelbaren Vorfahren der Landpflanzen.

Das bedeutet, dass die ROP-Signalübertragung mit der Entwicklung der Vielzelligkeit bei Pflanzen zusammen fällt.

Die ROP-Sequenz des Brunnenlebermooses war tatsächlich jener von Coleochaete und Klebsormidium, den mehrzelligen Vorfahren der Landpflanzen  sehr ähnlich und unterschied sich von jener der einzelligen bzw. in Zellpaketen wachsenden Arten.

Ähnlichkeit in Sequenz und Funktion

Als Nächstes stellten sich die Forscher die Frage, ob nur die Sequenz des Proteins konserviert ist oder ob ROP-Proteine von mehrzelligen Grünalgen und Landpflanzen auch ähnlich funktionieren. Eine Frage wie diese kann man mit einem Komplementierungsexperiment klären. Dabei wird das Gen im Fokus durch das homologe Gen einer anderen Art ersetzt. Im Blick auf ROP ist das Brunnenlebermoos Marchantia für diese Art von Studien ein perfektes Modell, weil es – im Gegensatz zu anderen Modellpflanzen – nur ein einziges  ROP-Gen hat.

Mulvey und Dolan stellten Marchantia-Mutanten her, die mit unterschiedlichen ROP-Homologen aus Grünalgen ausgestattet waren und verglichen die Wachstumsfunktionen der Mutanten. Dabei bestätigte sich das Bild aus den Sequenzanalysen: Die Mutanten mit dem Signalprotein aus mehrzelligen Grünalgen ließen das Brunnenlebermoos normal wachsen; Mutanten mit einem Einzeller-ROP entwickelten sich nicht normal. Durch die Kombination von phylogenetischen und genetischen Komplementationsstudien konnten Mulvey und Dolan bestätigen, dass die ROP-Signalübertragung im evolutionären Zweig, der von mehrzelligen Grünalgen im Wasser bis zu heutigen Landpflanzen führt, in hohem Maße konserviert ist. "Da die ROP-Proteine in Landpflanzen das polarisierte Zellwachstum und die Ausrichtung der Zellteilung kontrollieren, nehmen wir an, dass die Evolution der ROP-Signalübertragung in dieser Abstammungslinie zur Evolution der Mehrzelligkeit und zum morphologischen Übergang zu einem mehrzelligen Körperplan beigetragen hat", so das Resümee der beiden GMI-Forscher.

 

AUF EINEN BLICK

Originalveröffentlichung

Hugh Mulvey, Liam Dolan. "RHO of plant signalling was established early in streptophyte evolution". Current Biology. DOI: 10.1016/j.cub.2023.11.007