12.05.2023 | Archäologie

Neues aus Ephesos: Eine Palastanlage als Verwaltungsresidenz und Wohnsitz

Im Hellenismus stieg das antike Ephesos zu einem der bedeutendsten politischen, administrativen und wirtschaftlichen Zentren an der Westküste Kleinasiens auf. Diese neue Position wurde durch den Bau einer Palastanlage betont. Archäologe Christoph Baier vom Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW hat die Ausgrabungen in Ephesos geleitet.

© ÖAW-ÖAI/Niki Gail

Die jüngsten Forschungsergebnisse zu einer der größten und am meisten besuchten Ruinenstätten der Türkei präsentierte der Forscher jüngst im bereits 50. Band der Reihe „Forschungen in Ephesos“. Das Buch zeigt die Ergebnisse der erstmaligen systematischen Erforschung eines palastartigen Stadthauses im antiken Ephesos aus archäologischer und bauforscherischer Sicht und liefert Erkenntnisse zur Entwicklung des monumentalen Baus von der hellenistischen über die römische Zeit bis in die Spätantike.

Vor Kurzem haben Sie ein Buch über Ihre Forschungen in Ephesos vorgestellt. Konkret geht es um eine große Palastanlage, die hoch über dem Hafen und dem großen Theater der Stadt gelegen ist. Wie sind Sie auf diese gestoßen?

Christoph Baier: Teile der Ruine wurden bereits in den Jahren 1929/30 entdeckt. Damals wurde schon vermutet, dass es sich um einen Palast handeln könnte, um einen großen Gebäudekomplex auf einem riesigen Areal mit interessanter Architektur und in spannender geografischer Position. Allerdings ist die Anlage nie systematisch untersucht worden.

Und 80 Jahre später haben Sie nun an dieser Stelle weitergeforscht…

Baier: Genau, ich habe mir 2009 im Rahmen einer Post Graduate Masterarbeit eine kleine, aber besonders interessante Ruine in diesem Areal angeschaut und sie dokumentiert, und mir ist schnell klar geworden, dass dieser Raum nur ein Teil einer wesentlich größeren Anlage sein muss. So haben sich meine Nachforschungen Schritt für Schritt weiterentwickelt, und ich habe schließlich mehr als zehn Jahre an diesem Projekt gearbeitet.

Durch die Unterstützung des Österreichischen Archäologischen Instituts der ÖAW wurde es mir ermöglicht zum ersten Mal eine systematische Bauaufnahme der bereits freiliegenden Ruinen vorzunehmen und selbst gezielte Nachgrabungen zu machen. In weiterer Folge haben mein Team und ich die Bau- und Nutzungsgeschichte in Ausschnitten erforscht und diese in einen größeren städtebaulichen Kontext eingebettet.

Wir konnten mit einem 3D Laserscan die räumliche Struktur von hoch anstehenden Ruinen hochpräzise erfassen und daraus Pläne erstellen.

Ihr Hauptanliegen war es zunächst den Ruinenbestand zu dokumentieren. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Baier: Dafür muss man wissen, dass wir hier von einer wirklich sehr großen Anlage sprechen, welche mindestens 10.000 Quadratmeter groß ist. Nur ein ganz kleiner Ausschnitt ist bis jetzt vollständig freigelegt worden, das heißt, dass Räume bis zum Boden ausgegraben wurden. Ansonsten ist der Mauerbestand nur an der Oberkante freigelegt, sodass man den Grundriss erkennen kann. Das Ganze liegt in einem Areal außerhalb des Besucherareals und dementsprechend in der Wildnis. Die Herausforderung war es deshalb, sich erstmal einen Überblick zu verschaffen.

Zum Glück gab es in den vergangenen Jahren enorme technologische Entwicklungen, die wir nutzen konnten, um auch nicht sichtbare Baureste, welche unter der Erde liegen, festzustellen und Baustrukturen zu dokumentieren. So konnten wir beispielsweise mit einem 3D Laserscan die räumliche Struktur von hoch anstehenden Ruinen hochpräzise erfassen und daraus Pläne erstellen.

Haben Sie auch selbst weitere Grabungen getätigt?

Baier: Wir haben punktuell Nachgrabungen gemacht und in Folge Fundmaterial, wie Keramik, Münzen, tierische Überreste und Marmor durch ein interdisziplinäres Team analysiert und den verschiedenen Zeitphasen zugeordnet. So konnten wir auch Informationen zur baulichen Entwicklung, aber auch zur Nutzung des Gebäudes bekommen.

Wir konnten feststellen, dass die Palastanlage in ihrem Kern wohl auf das 2. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht.

Wie hat sich der Palast über die Jahrhunderte entwickelt?

Baier: Die Geschichte des Gebäudeareals beginnt im Hellenismus, also in der Zeit des 3. bis zum 1. Jahrhundert v. Chr., welche für Ephesos eine sehr wichtige Epoche ist. In dieser Zeit hat sich die Stadt aufgrund ihrer strategischen geografischen Position zu einem wichtigen politischen, administrativen und wirtschaftlichen Zentrum im Westen von Kleinasien entwickelt. Wir konnten feststellen, dass die Palastanlage in ihrem Kern wohl auf das 2. Jahrhundert v. Chr. zurückgeht.

Durch unsere Forschungen konnten wir auch Rückschlüsse ziehen, welche Funktion dieses Gebäudeareal innehatte. Es weist viele architektonische und städtebauliche Merkmale einer königlichen Palastanlage auf. Konkret denken wir an eine Verwaltungsresidenz, an eine Art Gouverneurspalast, da Ephesos damals auch ein Hauptort der regionalen Verwaltung geworden ist. Wir vermuten, dass es dem obersten pergamenischen Verwaltungsbeamten und bei Bedarf auch den reisenden Königen als Residenz gedient haben könnte.

Woraus kann man das schließen?

Baier: Das hängt, neben der Architektur selbst, auch mit der städtebaulichen Position, der Anbindung an die Infrastruktur, wie dem Hafen und den räumlichen Bezügen zu anderen wichtigen Bauten, wie dem Theater, zusammen. Unsere Erkenntnisse weisen darauf hin, dass es einen gemeinsamen Planungsraster für diese beiden großen Gebäude gegeben hat. Der Palast lag auch unmittelbar im Sichtfeld derjenigen, die sich vom Meer genähert haben, und war dadurch sehr prominent und hat zu einer Monumentalisierung dieser Stadtansicht geführt.

Es hat mindestens drei Zerstörungen, wahrscheinlich durch Erdbeben, gegeben.

Welche Rolle hat die Palastanlage in späteren Jahren gespielt?

Baier: Grundsätzlich wurde diese bis ins frühe 7. Jahrhundert n. Chr. einigermaßen kontinuierlich genützt, aber nicht ohne Brüche. So hat es mindestens drei Zerstörungen, wahrscheinlich durch Erdbeben, gegeben. Die Palastanlage wurde aber immer wieder aufgebaut und der Baubestand kontinuierlich gepflegt.

In einzelnen Phasen gab es massive Ausbauten in alle Richtungen. Die neuen Gebäude in diesem Komplex hatten zeremonielle, administrative und öffentliche Funktionen. So war der Palast nicht nur Wohngebäude, sondern vielmehr eine Anlage in multifunktionellem Sinn.

All unsere Befunde legen zudem nahe, dass das Gebäude auch durch die römische Provinzialadministration weitergenutzt wurde, möglicherweise durch den Statthalter der römischen Provinz Asia selbst.

Konnten Sie auch Erkenntnisse zum Aussehen des Palastes gewinnen?

Baier: Ja, allerdings – je nach Periode – unterschiedlich detailliert. Die konkretesten Rekonstruktionen konnten wir zum ältesten Gebäude machen. Für die hellenistische Zeit gibt es zudem am ehesten Vergleichsbeispiele für bestimmte bautypologische Eigenschaften aus der königlichen Palastarchitektur.

Für die späteren Perioden, in denen es zu einer riesigen Palastanlage wurde, haben wir nur für einzelne, gut sichtbare Gebäudeteile sehr konkrete Vorstellungen. So wissen wir beispielsweise von einem sehr großen Empfangsaal für Audienzen, möglicherweise sogar Gerichtsverhandlungen. Hier kennen wir nicht nur die Raumhülle, aber auch Teile der Ausstattung, wie Marmorwandverkleidungen und Mosaikschmuck, und können auch Überlegungen zum oberen Raumabschluss anstellen.

Insgesamt haben Sie rund zehn Jahre an dem Forschungsprojekt gearbeitet, wird es noch weitere Arbeiten zur Palastanlage geben?

Baier: Wir haben jetzt ein Ergebnis vorliegen, darüber sind wir froh. Wir konnten eine fundierte Hypothese vorlegen, welche außergewöhnliche Funktion dieses Gebäudeensemble oberhalb des Theaters wohl gehabt hat.

Das ist aber aus meiner Sicht auch ein Anfang. Es gibt so eine Vielfalt an Informationen, die noch verborgen sind, und eine Fülle an Möglichkeiten, die das Areal bieten würde. Es gäbe also viele interessante Punkte, an denen man in Zukunft anknüpfen könnte. Und ich bin sicher, dass man auf Basis unserer Ergebnisse leichter definieren kann, an welchen Orten gezielte weitere Maßnahmen realistisch durchführbar wären.

Zum Abschluss unseres Interviews noch eine generelle Frage: Wie fühlt es sich an, wenn man in vergangene Zeiten eintauchen kann?

Baier: Das ist natürlich sehr spannend. Allerdings ist es weniger ein unmittelbares Gefühl, als vielmehr eines, das sich im Laufe der Zeit einstellt, wenn man die größeren Zusammenhänge zu verstehen beginnt und sich mit den historischen Rahmenbedingungen im näheren Detail befasst. Im Fall der Palastanlage etwa ist es ein faszinierender Gedanke, dass an diesem Ort, an dem wir gearbeitet haben, berühmte historische Persönlichkeiten wie Marc Anton oder Kleopatra residiert haben könnten, von denen wir wissen, dass sie sich längere Zeit in Ephesos aufgehalten haben.

 

Auf einen Blick

Christoph Baier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) der ÖAW. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Wohn- und Palastarchitektur des Hellenismus und der römischen Kaiserzeit.

Veröffentlichung zur Palastanlage in Ephesos