Wie zufrieden sind Ungar:innen in Österreich?
18.07.2025
Österreich und Ungarn verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. Und auch in der Gegenwart ist die Beziehung zwischen den Nachbarländern eng. So leben aktuell über 100.000 Ungar:innen in Österreich. Aber wie erleben sie das Land und wie zufrieden sind sie hier? Dem ging die Studie „Well-being and Migration: The Hungary-Austrian Migration Nexus“ an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) nach - und stieß unter anderem bei der Rolle der beruflichen Qualifikation auf durchaus überraschende Ergebnisse.
Was Wohlbefinden mit Migration von Ungar:innen nach Österreich zu tun hat, erklären Ádám Németh, Forscher am Institut für Stadt- und Regionalforschung der ÖAW, und ÖAW-Forscher Dávid Sümeghy, im Gespräch.
Was hat Euch dazu bewogen, Migration und Wohlbefinden zusammenzudenken?
Ádám Németh: Wenn wir uns die Fachliteratur ansehen, besteht kein Konsens darüber, wie sich Migration auf das subjektive Wohlbefinden auswirkt. Wir haben viele Fallstudien, in denen wir gesehen haben, dass es eine umgekehrte U-Form gibt. Die Menschen sind vor der Migration unzufrieden und haben hohe Erwartungen. Sie fühlen sich während und nach der Migration glücklich und zufrieden. Aber nach einigen Jahren in einem neuen Land nimmt ihr subjektives Wohlbefinden wieder ab. Es gibt eine Art Enttäuschung und Desillusionierung – sie fühlen sich einsam, leiden darunter, dass ihre Familienmitglieder nicht da sind und sie von der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Wir waren vor unserem Projekt neugierig, ob das bei den in Österreich lebenden Ungar:innn auch der Fall ist.
Große Zufriedenheit
War es so?
Németh: Nein, drei Viertel der Menschen, die von Ungarn nach Österreich gezogen sind, gaben an, dass sie jetzt zufriedener sind als vor der Migration.
Wie definieren Sie Wohlbefinden?
Németh: 2013 veröffentlichte die OECD eine nützliche Richtlinie zur Messung des subjektiven Wohlbefindens. Es gibt drei Standbeine. Das Erste ist der sogenannte kognitive Aspekt, da geht es um Zufriedenheit mit dem Einkommen, mit der Unterkunft oder den persönlichen Beziehungen. Die zweite Säule ist das affektive Wohlbefinden, das betrifft die Häufigkeit positiver und negativer Emotionen wie Glück, Einsamkeit, Wut oder depressiver Zustände. Die dritte Säule untersucht, inwieweit Menschen das Gefühl haben, dass Dinge, die sie im Leben tun, lohnenswert und sinnvoll sind.
Immer mehr Ungar:innen ziehen nach Salzburg und Tirol sowie in den westlichen Teil Österreichs.
War Ausgrenzung kein Thema?
Dávid Sümeghy: Ungar:innen erwähnen kaum, dass sie diskriminiert werden. Sie sind der Meinung, dass die österreichische Gesellschaft den Ungar:innen gegenüber positiver eingestellt ist als anderen Minderheiten. Natürlich wirken sich Deutschkenntnisse auf die soziale Integration aus. Unter denjenigen, die nur begrenzte Deutschkenntnisse hatten, war der Prozentsatz an sozialer Ausgrenzung höher. Zwischen geringen Deutschkenntnissen, sozialer Ausgrenzung und vermindertem subjektiven Wohlbefinden besteht also ein klarer Zusammenhang.
Wie sieht es mit dem Stadt-Land-Gefälle aus?
Sümeghy: Wir haben festgestellt, dass in Ungarn die Menschen in Großstädten zufriedener sind mit Unterkunft, Gesundheit und sozialem Status als in ländlichen Regionen. Bei den in Österreich lebenden Ungar:innen ist das Stadt-Land-Zufriedenheitsgefälle jedoch geringer und statistisch nicht signifikant. Der Anteil Wiens als bevorzugter Wohnort innerhalb Österreichs nimmt rapide ab – der Anteil der dort lebenden Ungar:innen ist in den letzten zehn Jahren um 10 Prozent gesunken. Immer mehr Ungar:innen ziehen nach Salzburg und Tirol sowie in den westlichen Teil Österreichs. Und diese Menschen leben hauptsächlich in kleinen Dörfern. Es ist im Grunde genommen wegen einem Job, aber sie sind auch glücklich, dort zu leben.
Hohe Erwartungen
Welche Gründe gibt es für Unzufriedenheit?
Németh: Wir beobachten bei rund 75 Prozent eine Erfolgsgeschichte, sie sind zufrieden mit ihrer Entscheidung. Aber es gibt auch einen Prozentsatz an Menschen, die angeben, dass ihre Erfahrungen eher gemischt sind. Vielleicht hatten sie zu hohe Erwartungen. Sie waren zuerst als Tourist:innen in Österreich. Aber für die Mehrheit der Osteuropäer:innen ist es nicht realistisch, diesen hohen Lebensstandard zu erreichen. Das durchschnittliche Gesamteinkommen der Menschen, die aus den sogenannten neuen EU-Ländern nach Österreich kamen, macht nur 70 Prozent der einheimischen Österreicher:innen aus.
Sie haben Ungarn nie wirklich verlassen, sind aber gleichzeitig nie wirklich in Österreich angekommen.
Németh: Ein Großteil besteht aus transnationalen Migrant:innen. Sie haben Ungarn also nie wirklich verlassen, sind aber gleichzeitig nie wirklich in Österreich angekommen. Sie leben in beiden Ländern und pendeln zwischen beiden Haushalten und beiden Wohnorten. Das ist ein sehr interessanter hybrider Quasi-Pendlerlebensstil. Wobei sie damit nicht unzufrieden sind. Sie fühlen sich tatsächlich an mehreren Orten zu Hause.
Wie sieht es mit Qualifikation und Wohlbefinden aus?
Sümeghy: Fast ein Drittel unserer Stichprobe ergab, dass die Betroffenen der Meinung sind, für ihren aktuellen Job in Österreich überqualifiziert zu sein. Sie leiden darunter, weniger Einkommen zu haben, sind weniger zufrieden mit ihrer Arbeit und erleben mehr Stress. Trotzdem geben jene Migrant:innen, die planen nach Österreich auszuwandern, an, dass mehr als 60 Prozent bereit wären, auch Jobs auszuüben, für die sie überqualifiziert sind. Obwohl dies erwiesenermaßen zu weniger Zufriedenheit führt.
Auf einen Blick
Das Projekt MIGWELL an der ÖAW wurde vom Wissenschaftsfonds FWF in Österreich und dem Nationalen Büro für Forschung, Entwicklung und Innovation in Ungarn gefördert.