28.01.2022 | Studienstiftungsgespräche

Wie haben Sie das gemacht, Herr Androsch?

Hannes Androsch, österreichischer Finanzminister und Vizekanzler in den 1970er-Jahren, diskutierte mit jungen Studienstiftler/innen der ÖAW seine Rolle als Finanzminister der Regierung Kreisky, die Rückständigkeit des heimischen Schulsystems, wie schwierig Personalentscheidungen sind und warum Scheitern ein wichtiger Schritt in einem Prozess sein kann.

Porträtbild von Hannes Androsch
© Photo Simonis

Noch bevor das Gespräch mit den jungen Studienstifter/innen beginnt, blättert Hannes Androsch die Liste durch, in der vermerkt ist, was die Teilnehmer/innen thematisch interessiert. „Beachtlich, das sind sehr präzise Fragen“, sagt er anerkennend. Androsch erzählt einleitend, wie er aufgewachsen ist und über seinen beruflichen Werdegang. „Ich wurde 1938 in Wien geboren, meine Familie ist in der vierten Generation sozialdemokratisch geprägt. Ich habe aus eigener Initiative die Hochschule für Welthandel besucht, war sowohl als Mittelschüler sowie als Student in der Sozialistischen Jugend tätig. Mein Vater starb früh. Ich musste daher zunächst sehr früh Steuerberater und Wirtschaftsprüfer werden. Nach einigen Jahren Tätigkeit im Klub der SPÖ bin ich 1967 damals bislang jüngster Abgeordneter geworden.

„Wissen und Bildung sind unser wichtigster Rohstoff, damit nicht jährlich die klügsten Köpfe ins Ausland gehen, weil sie nicht die entsprechenden Möglichkeiten im eigenen Land finden.“

Finanzminister, Bankdirektor und Bildungsaktivist

Von 1970 bis 1981 war Androsch österreichischer Finanzminister und zusätzlich von 1976 bis 1981 Vizekanzler unter Bruno Kreisky. Danach bekleidete er bis 1988 das Amt des Generaldirektors der damaligen größten Bank Österreichs, der Creditanstalt, später war er Konsulent der Weltbank. In den letzten Jahren engagiert er sich verstärkt für Bildung, Wissenschaft und Forschung, brachte im November 2011 das Volksbegehren Bildungsinitiative auf den Weg. Eine Frage der angehenden Studierenden knüpfte daran an: Was fehlt der österreichischen Bildung? „Unser Schulsystem ist in höchstem Maße rückständig, im Unterschied zu den meisten entwickelten Ländern haben wir keine frühkindliche Betreuung, die ganztätig angeboten wird und keine verschränkten Ganztagsschulen. Dabei sind 70 Prozent der Mütter berufstätig“, so Androsch. Die Pandemie habe die Bildungsarmut und als Folge die soziale Kluft größer gemacht. Die Chancen auf sozialen Aufstieg seien gesunken. „Dabei sind Wissen und Bildung unser wichtigster Rohstoff, damit nicht jährlich die klügsten Köpfe ins Ausland gehen, weil sie nicht die entsprechenden Möglichkeiten im eigenen Land finden.“

Fehlende Anreize für Veränderung

Aber auch dazu, was wirtschaftlich falsch läuft, hat Androsch einen klaren Standpunkt: „Es gibt zu wenig Anreize für Veränderung. Wenn man klimaneutral werden möchte, fragt man sich, warum gibt es denn eine Pendlerpauschale, die vor allem den hohen Einkommen nützt? Warum sind wir die Billigtankstelle in Europa? Warum fährt nicht der gesamte öffentliche Fuhrpark mit Elektroautos? Warum finden sich keine Solar-Panels auf den Dächern der öffentlichen Gebäude? Wieso sind die ÖBB einer der größten CO2-Emittenten? Wir blockieren, wir verhindern, wir behindern. Das ist der Grund, warum wir im Klimaschutzindex auf Platz 36 sind und auch in vielen anderen Bereichen immer mehr zurückgefallen sind.

In zwei Fragerunden wurden zahlreiche Themen abgehandelt, wirtschaftliche, soziale, aber auch private. "Was waren entscheidende Erfahrungen in Ihrem Leben?", möchte ein junger Informatiker wissen. „Einschneidende Erlebnisse waren der Krieg und die Gefahren in Wien. Ich habe noch die Bomben erlebt und dann in Südmähren den Einmarsch der Roten Armee und die Vertreibung meiner Verwandten, die schon ewig dort gelebt hatten, sowie dann zehn Jahre sowjetische Besatzung in Floridsdorf", erzählt Androsch.

„Wirtschaftspolitik lässt sich nur realistisch machen. Man kann Luftschlösser bauen, aber nicht darin wohnen.“

Wirtschaftspolitik mit Realismus

Eine Kunstgeschichte-Studentin interessiert, was die schwierigsten Entscheidungen seiner Karriere waren. „Jeweils geeignete und teamfähige Leute zu finden“, sagt Androsch. Und: „Noch schwieriger ist es, wenn man sich nach langer Überlegung von jemandem trennen muss. Man hat immer mit einem Schicksal zu tun, aber das Räderwerk muss laufen, da ist auch das kleinste Rädchen wichtig, damit die Uhr nicht insgesamt zum Stehen kommt. Das Wichtigste ist es, Menschen motivieren zu können. Dazu gehören Wahrnehmung, Wertschätzung und Anerkennung jedes Einzelnen.“

Mut zum Scheitern

Eine Wirtschaftsinformatikerin fragt, wie Androsch als Wirtschaftsmensch zur SPÖ gekommen ist, das sei schließlich keine Kernkompetenz dieser Partei. „Ich bin aus humanistischer Einstellung Sozialdemokrat geworden und dies bereits in vierter Generation“, betont der ehemalige Finanzminister. „Aber Wirtschaftspolitik lässt sich nur realistisch machen. Man kann Luftschlösser bauen, aber nicht darin wohnen. Dieser Realismus hat meiner Partei Wirtschaftskompetenz und drei Mal die absolute Mehrheit gebracht, die sie davor nicht gehabt und inzwischen wieder verloren hat.“ Und wie kann man das Interesse der Jugend für Politik wiederherstellen? „Es ist das gute Recht der Jugend, Zweifel anzumelden. Aber im besten Fall entscheidet man gemeinsam, die Zukunft bestmöglich zu gestalten. Und zwar über eine Parteizugehörigkeit hinaus.“

Eine Kunstgeschichte-Studentin fragt nach Investmentratschlägen. „Man muss wagen, aber auch abwägen. Das Risiko muss überschaubar sein“, so Androsch. „Wenn man fällt, muss man sofort wieder aufstehen. Es herrscht bei uns eine schlechte Fehlerkultur, Scheitern bedeutet eine Stigmatisierung. In den USA ist das Scheitern ein wichtiger Schritt im Erfolgsprozess. Man darf Fehler nur nicht wiederholen.“

 

AUF EINEN BLICK

Die Österreichische Studienstiftung ist eine Initiative der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie fördert und begleitet junge Menschen, die Verantwortung in unterschiedlichsten Bereichen übernehmen wollen, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft. Die Geförderten werden durch die Studienstiftung auf ihrem persönlichen und intellektuellen Werdegang begleitet und unterstützt.

DAS IST DIE STUDIENSTIFTUNG

Die Studienstiftungsgespräche sind ein Angebot für alle jungen Mitglieder der Studienstiftung, sich mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in kleiner Runde treffen und austauschen zu können.

SO BEWERBE ICH MICH