17.03.2023 | Verfassungsgericht

„Selbst verlorene Klimaklagen können ein Gewinn sein“

Zwölf Jugendliche haben kürzlich beim Verfassungsgerichtshof eine Klimaklage eingebracht. Barbara Steininger, Expertin für Schadenersatzrecht an der ÖAW, erklärt, wie die Erfolgsaussichten der Klage sind, welche Rolle die Judikative beim Klimaschutz spielen kann und wie sich Klimaschädigungen überhaupt vor Gericht nachweisen lassen.

Eine öffentliche Verhandlung am österreichischen Verfassungsgerichtshof ©VfGH/Maximilian Rosenberger

"Wir sehen keinerlei Fortschritt, deshalb ziehen wir jetzt vor Gericht", sagt Smilla. Sie ist eine von zwölf Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 16 Jahren, die vor Kurzem eine Klimaklage vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) eingebracht haben. Smilla und ihre Mitkläger:innen betrachten die Bestimmungen des aktuellen Klimaschutgesetzes als nicht ausreichend. Die derzeitige Rechtslage führe nicht zu einer Reduktion der Treibhausgasemissionen und schütze damit Kinder nicht vor den Folgen des menschengemachten Klimawandels.

„Es gab schon in der Vergangenheit Versuche, den Staat auf diesem Weg für als zu lasch empfundene Klimagesetzgebung zu klagen, der VfGH hat das bisher aber abgelehnt“, erklärt Barbara Steininger vom Institut für Europäisches Schadensersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und ergänzt: „Kinderrechte kommen hier ins Spiel, um die Chancen des Antrags zu erhöhen.“

Jugendliche haben eine Klage beim VfGH eingereicht, weil sie die in der Verfassung verankerten Kinderschutzrechte durch unzureichende Klimaschutzgesetzgebung der Regierung beeinträchtigt sehen. Wie sieht der rechtliche Hintergrund aus?

Barbara Steininger: Grundsätzlich gibt es zwei Gruppen von “Klimaklagen”: Einerseits können Unternehmen oder andere Verursacher von Emissionen geklagt werden, andererseits kommen „Klimaklagen“ gegen den Staat in Betracht. Im aktuellen Fall geht es um die zweite Gruppe. Die Jugendlichen argumentieren, dass der Staat nicht genug tut, um sie vor den zukünftigen Folgen des Klimawandels zu schützen. Dazu wurde ein Individualantrag auf Gesetzesprüfung des Klimaschutzgesetzes beim VfGH eingebracht. In Österreich ist die Hürde für solche Individualanträge beim VfGH relativ hoch. Es gab schon in der Vergangenheit Versuche, den Staat auf diesem Weg für als zu lasch empfundene Klimagesetzgebung zu klagen, der VfGH hat das bisher aber abgelehnt. Kinderrechte kommen hier ins Spiel, um die Chancen des Antrags zu erhöhen. Es sind derzeit aber auch noch weitere Verfahren im Zusammenhang mit dem Klimaschutz beim VfGH anhängig.

In den Niederlanden hat eine Umweltschutzorganisation den Staat erfolgreich geklagt und eine Anhebung der Emissionsreduktionsziele erwirkt.

Wie ist die Situation in anderen Ländern?

Steininger: In den Niederlanden hat eine Umweltschutzorganisation namens URGENDA den Staat erfolgreich geklagt und eine Anhebung der Emissionsreduktionsziele erwirkt, ebenfalls mit der Argumentation, die Klimaschutzgesetze gingen nicht weit genug. Auch in Deutschland hatte eine Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht schon Erfolg. 

Warum sind die Hürden in Österreich höher?

Steininger: Die Ausgangsfrage bei den gegen Staaten gerichteten „Klimaklagen“ ist immer, wer sich überhaupt an das Gericht wenden kann. In den Niederlanden dürfen das zum Beispiel auch Vereine oder Stiftungen im Allgemeininteresse. In Österreich ist die Voraussetzung eines Individualantrages vor dem VfGH, dass man von einem Gesetz unmittelbar in einer Rechtsposition betroffen ist. Es muss also ein geltendes Gesetz geben, von dessen Auswirkungen der Antragsteller direkt beeinträchtigt wird. Die Richter in Österreich haben diese Voraussetzung in der Vergangenheit immer relativ streng ausgelegt. Im aktuellen Fall ist in diesem Zusammenhang wichtig, dass sich das bekämpfte Klimaschutzgesetz nicht an Kinder wendet und auch sonst keine Rechte und Verpflichtungen einzelner Personen normiert.

Heißt das, dass Klimaschutz in Österreich schwieriger durchzusetzen ist?

Steininger: Solche Entscheidungen sind kein Indikator dafür, wie wichtig der Klimaschutz in einem Land ist. Hier geht es um die grundsätzliche Regelung des Zugangs zum Verfassungsgericht. Die Gewaltenteilung sieht ja vor, dass der Gesetzgeber die Regeln vorgibt, die Judikative ist eine Kontrollinstanz. Es stellt sich auch die Frage, ob ein Gerichtsverfahren überhaupt der richtige Ort ist, um solche Forderungen durchzusetzen. Sollen Gerichte sich einmischen, wenn es eigentlich Aufgabe des Gesetzgebers wäre, ausreichenden Klimaschutz zu gewährleisten? Auch vor dem Europäischen Gerichtshof wurde eine ähnliche Klage kürzlich zurückgewiesen. Derartige Ergebnisse sind allerdings nicht in Stein gemeißelt, so hat etwa das Bundesverfassungsgericht in Deutschland den Zugang für solche Beschwerden mit dem Verweis auf Generationengerechtigkeit gelockert.  

Gerichtssäle können ein guter „Lautsprecher“ für politische Forderungen sein, das nennt man “Strategic Litigation”.

Welche Chancen hat die Klage in Österreich?

Steininger: Das ist schwer zu sagen. Wenn sich die Richter an der bisherigen Rechtsprechung orientieren, werden sie den Fall nicht prüfen. Es bewegt sich aber gerade einiges beim Thema Klimaschutz und es ist schon denkbar, dass der VfGH diesmal Stellung bezieht.

Was würde eine Zurückweisung der aktuellen Klimaklage bedeuten?

Steininger: Auch verlorene Klimaklagen können am Ende ein Gewinn sein. Solche Verfahren schaffen Aufmerksamkeit, bilden ein Bewusstsein für die Problematik und können helfen, den Druck auf die Politik für konkrete Maßnahmen zu erhöhen. Das ist auch in der Vergangenheit schon einige Male passiert, solche Klimaklagen gibt es immer wieder. Gerichtssäle können ein guter „Lautsprecher“ für politische Forderungen sein, das nennt man “Strategic Litigation”. Auch Klagen gegen Unternehmen können diesen Effekt haben.

Was sind die Konsequenzen, wenn solche Klagen Erfolg haben?

Steininger: Gegen den deutschen Energiekonzern RWE läuft ein Verfahren und gegen Shell gibt es ein unterinstanzliches Urteil, wodurch diese Unternehmen zur Reduktion ihrer Emissionen beziehungsweise Schadenersatz für Klimaschäden gezwungen werden könnten. Selbst wenn ein Verfahren Erfolg hat, kommt es aber darauf an, ob die unterinstanzlichen Urteile auch letztinstanzlich halten. Im Fall erfolgreich geklagter Staaten waren die Ergebnisse rein quantitativ nicht sonderlich beeindruckend. Da ging es um bescheidene Anhebungen der Emissionsreduktionsziele. Die öffentliche Wirkung solcher Verfahren kann hingegen enorm sein. 

Kausalitätsnachweise sind äußerst schwierig: Man kann nicht sagen, dass die örtlichen Gletscher wegen der konkreten Emissionen von RWE schmelzen.

Sind Verfahren gegen Unternehmen einfacher durchzusetzen?

Steininger: Nein. Im Privatrecht gibt es massive Hürden. Das Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der ÖAW hat sich schon 2017 im Rahmen seiner Annual Conference on European Tort Law mit der Thematik auseinandergesetzt und bereits damals wurde festgehalten, dass zunächst schon die Frage der Rechtswidrigkeit der Emissionen Schwierigkeiten bereitet. Noch problematischer ist, dass die Kausalität in diesen Fällen kaum nachweisbar ist. Das Verfahren gegen RWE etwa wird von einem peruanischen Bauern geführt, der die Emissionen des Konzerns mitverantwortlich macht für hohe Investitionen, die in seiner Heimatgemeinde nach massiver Gletscherschmelze getätigt werden müssen. Das Gericht ist der Argumentation erst einmal gefolgt und hat einen Beweisbeschluss erlassen, aber die Kausalitätsnachweise sind äußerst schwierig. Man kann nicht sagen, dass die örtlichen Gletscher wegen der konkreten Emissionen von RWE schmelzen.

Die gerichtliche Beweisführung ist also schwierig?

Steininger: Beide Arten von „Klimaklagen“ berühren oft weitere heikle Themen: Einerseits haben westliche Länder ihren Reichtum über Jahrzehnte aufgebaut, indem sie enorme Emissionen verursacht haben. Anderseits sind nicht alle Länder in gleichem Ausmaß von den Folgen des Klimawandels betroffen. Eine angemessene Verteilung von Pflichten und Lasten ist daher sehr schwierig. Die Thematik ist insgesamt enorm komplex und am Ende muss die Politik hier neue Lösungen finden, wobei der Fokus auf der Prävention liegen sollte. 

 

AUF EINEN BLICK

Barbara Steininger hat Rechtswissenschaften in Wien und Leiden (Niederlande) studiert. Sie ist Professorin an der Universität Graz und Forscherin am Institut für Europäisches Schadenersatzrecht der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie ist zudem Vizedirektorin des Europäischen Zentrums für Schadenersatz- und Versicherungsrecht (ECTIL).

Lesetipp: Die Zeitschrift Journal of European Tort Law, herausgegeben von ECTIL und ÖAW, versammelt in einer Spezial-Ausgabe mehrere Beiträge zum Zusammenhang von Schadensersatzrecht und Klimaklagen.

Journal of European Tort Law