17.03.2022 | Buchtipp des Monats

Leben und Sterben in Nubien vor 3 Jahrtausenden

Die Wiener Archäologin Julia Budka erklärt, was der Inhalt eines 3.400 Jahre alten Schachtgrabes über die vielfältige Gesellschaft im kolonialen Nubien preisgibt.

© Julia Budka/sidestone press

Es begann mit einer Entdeckung 2015 auf der Insel Sai im Sudan: Bei Ausgrabungen stieß die Wiener Ägyptologin Julia Budka, Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), auf ein in Felsen gehauenes Schachtgrab – Grab 26. Darin befanden sich intakte Bestattungen von Beamten, die mit der ägyptischen Verwaltung des kolonialen Nubiens in Verbindung standen, zusammen mit Familienmitgliedern und reichen Grabbeigaben.

Was damals gefunden wurde, liegt nun in Buchform vor: „Tomb 26 on Sai Island. A New Kingdom elite tomb and its relevance for Sai and beyond” heißt ihre jüngste Publikation. Darin widmet sich Julia Budka der Beschreibung der Architektur und materiellen Kultur des Fundes, einschließlich Kapiteln über Geologie, menschliche Überreste, wissenschaftliche Analysen und eine Zusammenstellung des gefundenen Materials.

Im Interview erzählt sie, inwiefern Felsenschachtgräber und ihre Inhalte Einblicke in die vielfältige Bevölkerung, materielle Kultur, Bestattungs- und soziale Praktiken im Neuen Reich Nubiens bieten.

In Ihrem aktuellen Buch widmen Sie sich den Bestattungsgewohnheiten im Neuen Reich Nubien auf der Insel Sai. Sie haben dafür das Grab 26 ausgewählt. Warum?

Julia Budka: Das Grab 26 wurde im Rahmen meines FWF-Startprojektes und des ERC Starting Grants gefunden, ausgegraben, komplett dokumentiert und jetzt auch der Öffentlichkeit vorgestellt. Das Bemerkenswerte an diesem Grab ist, dass wir einige intakte Bestattungen hatten. Das heißt, es ist ein typisches Grab für die sogenannte 18. Dynastie, also das frühe Neue Reich auf der Insel Sai. Es hat insgesamt drei Dutzend relativ gut erhaltene Bestattungen. Und mit diesen Personen können wir die Epoche von der frühen 18. Dynastie bis ins 8. Jahrhundert vor Christus abdecken. Wir haben also eine lange Nutzungszeit.

„Bestattungen geben viel über eine Gesellschaft preis.“

Was bedeutet „intaktes Grab“ in diesem Zusammenhang?

Budka: Das Grab selbst war zwar beraubt, aber wir haben zwei Grabkammern gefunden, die tatsächlich seit dem Neuen Reich ungestört geblieben sind. Sie sind aber durch Überflutung, durch die Nilflut, in Mitleidenschaft gezogen worden. Und in einer Kammer des Felsgrabes ist die Decke zum Teil heruntergekommen.

Bestattungspraktiken als Spiegel sozialer Verhältnisse

Was kann ein Grab über das Leben und Sterben im kolonialen Nubien aussagen?

Budka: Funeräre Praktiken sind soziale Praktiken. Bestattungen geben viel über eine Gesellschaft preis. Dass wir auf Sai sowohl in der Siedlung als auch im Friedhof gearbeitet haben, war ein großer Bonus. Dadurch können wir die materielle Kultur, die wir in diesem Grab gefunden haben, mit jener aus der Siedlung vergleichen. Als Archäolog/innen wollen wir näher herankommen an antike Praktiken, wer wie bestattet wurde und warum in dieser Art und Weise – und das können wir mit Grab 26 sehr schön nachzeichnen.

„Bei einer der intakten Bestattungen wissen wir sogar den Namen und den Titel der Person.“

Welche Eckdaten zum sozialen Leben haben Sie dabei herausgefunden?

Budka: Zum einen haben wir Geschlechtsbestimmungen und Altersbestimmungen durchgeführt, zum anderen aber auch Krankheiten und degenerative Erscheinungen gefunden. Zwei Anthropologinnen im Team haben einen ausführlichen Katalog und eine Auswertung der menschlichen Überreste im Buch vorgelegt.

Bemerkenswert ist auch, dass viele Kleinkinder im Grab 26 bestattet wurden, während es im Siedlungsbefund schwierig ist Kinder – und auch Frauen – zu greifen. Insofern können wir in der Kombination Grab und Siedlung ein vollständigeres Bild der Gesellschaft zeichnen. Und das wirklich Spektakulärste an diesem Grab: Wir wissen bei einer der intakten Bestattungen auch den Namen und den Titel der Person.

Das ist erstaunlich! Wie hieß diese Person?

Budka: Es war ein Mann namens Chnummose, ein gängiger Name des Neuen Reiches. Und er hatte einen Titel: Er war der einzige bislang belegte Vorsteher der Goldarbeiter in Nubien. Der Name stand auf seinem Uschebti und auf Faience-Gefäßen – und zum Glück ebenso sein Titel.

Spannend ist, dass wir hier eine relativ hochrangige Person haben, die wir mit einer Grabkammer assoziieren können. Auch eine weibliche Person ist hier gefunden worden, wir vermuten es ist seine Frau. Der anthropologischen Bestimmung zufolge hat er relativ gut gelebt, er hat wenig Stressmarker gehabt, war offenbar auch gut genährt und ist relativ alt geworden.

Die Rolle Nubien als Kolonie des Neuen Reiches

Welche Einsichten ermöglicht die Kombination archäologischer Kontextualisierung mit Analysen wie der Strontiumisotopenanalyse, einer Methode u.a. zur Bestimmung des Migrationsverhaltens?

Budka: Eine Strontiumisotopenanalyse alleine wäre zu einseitig, um über lokal oder nicht-lokal zu sprechen, aber in Kombination mit unserer archäologischen Auswertung macht es großen Sinn.

Denn: Dass er der Vorsteher der Goldarbeiter war, ist auch deshalb so interessant, weil Goldabbau normalerweise mit der kolonialen Eroberung Nubiens durch die Ägypter zurzeit des Neuen Reiches assoziiert wird. Die Stadt Sai wurde von den Ägyptern im Zuge der Kolonialisierung gebaut und hat auch Bezüge zum Goldabbau. Die Strontiumisotopenanalyse von Chnummose deutet darauf hin, dass Chnummose kein Kolonialist aus Ägypten war, sondern aus dem lokalen Umfeld von Sai stammt.

„Lange Zeit sind wir davon ausgegangen, dass der Goldabbau ausschließlich von den Ägyptern bewerkstelligt wurde – ein Trugschluss.“

Was bedeutet das für die Interpretation der Kolonialgeschichte in Nubien?

Budka: Lange Zeit sind wir davon ausgegangen, dass der Goldabbau ausschließlich von den Ägyptern bewerkstelligt wurde. Der Sudan wurde immer nur aus der Perspektive Ägyptens und hier geringer bewertet, weil es im Sudan selbst zurzeit des Neuen Reiches keine Schriftkulturen gab. Der Trugschluss: Die Kolonialisten bringen die Technologie in ein unterentwickeltes Land. Aber: Chnummose zeigt uns, dass die lokalen Nubier über das nötige Expertenwissen verfügten und ihr Part innerhalb der Kolonie des Neuen Reiches ein sehr aktiver war.

Diese Sichtweise bringt uns weg von kolonialen Schemata, dass nur die ägyptische Elite aktiv, die Nubier hingegen passiv gewesen wären. Nein, dieser Chnummose hat als Nubier Karriere gemacht. Und das zeigt auch, wie viele Kompromisse in einem kolonialen Umfeld gemacht werden und dass es letztlich immer auf die Personen ankommt.

Welches Buch können Sie empfehlen?

Budka: Ein Buch herausgegeben von Miguel John Versluys mit dem Titel „Beyond Egyptomania. Objects, Style and Agency”.

Und warum dieses Buch?

Budka:  Das Thema, wie sehr Objekte eine aktive Rolle spielen und eine Gesellschaft prägen, ist gerade ein heißes Thema in der Archäologie. Das Buch bringt dazu viele Beispiele, besonders für die große Faszination von Ägypten, die von der Antike bis heute greifbar ist. Auch für Nicht-Spezialist/inn/en ist es eine Bereicherung, dieses Buch zu lesen.

 

AUF EINEN BLICK

Julia Budka ist Archäologin und Professorin für Ägyptische Archäologie und Kunstgeschichte an der Universität München. Sie studierte Ägyptologie an der Universität Wien und ist seit 2019 korrespondierendes Mitglied an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2012 erhielt sie einen START-Preis des FWF sowie einen ERC Starting Grant des Europäischen Forschungsrats 2019 wurde sie mit dem ERC Consolidator Grant ausgezeichnet.

Ihr aktuelles BuchTomb 26 on Sai Island. A New Kingdom elite tomb and its relevance for Sai and beyondist 2021 im Verlag Sidestone Press erschienen.