18.06.2018

Wie junge Muslime sich selbst sehen

Den einen Islam gibt es nicht. Erfahrungen von Diskriminierung aber sehr wohl. Das ist eines der Zwischenergebnisse eines laufenden Forschungsprojekts von Wissenschaftler/innen der ÖAW mit muslimischen Schüler/innen in Wien.

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Forscher/innen und Beforschte sein – das sind derzeit muslimische und nicht-muslimische Schüler/innen. Sie nehmen Teil an einem partizipativen Forschungsprojekt von zwei Instituten der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte sowie dem Institut für Sozialanthropologie. An drei Wiener Schulen erforschen sie gemeinsam mit den Wissenschaftler/innen, wie junge Muslim/innen in Österreich leben und in welcher Weise sie den Islam in ihren Alltag einbauen. Zugleich wird auch das interkulturelle Zusammenleben von muslimischen und nicht-muslimischen Schüler/innen in und außerhalb der Schulen untersucht.

Studienleiter Georg Traska erzählt im Interview von ersten Ergebnissen des Projekts, davon, wie die Schüler/innen die „Kopftuchdebatte“ wahrnehmen und warum es wichtig ist, dass mit und nicht nur über junge Muslim/innen in Österreich geredet wird.
 

Das Thema Islam ist in den Medien omnipräsent und wird auch im politischen Diskurs immer wieder populistisch verarbeitet. Dabei geht häufig jegliche Differenzierung verloren.


Sie wollen mit Ihrer Studie die Vielfalt muslimischen Lebens abbilden. Warum ist das wichtig?

Georg Traska: Das Thema Islam ist in den Medien omnipräsent und wird auch im politischen Diskurs immer wieder populistisch verarbeitet. Dabei geht häufig jegliche Differenzierung verloren. Zum Beispiel, dass es auch Muslim/innen gibt, die sich wenig bis gar nicht mit der oder über die Religion definieren, sondern ausschließlich oder überwiegend über ihre Kultur. Muslim/in sein bedeutet für viele, eine kulturelle und soziale Zugehörigkeit zu leben, nicht nur eine religiöse.

Am Beginn Ihrer Studie stand daher eine Medienanalyse gemeinsam mit den Schüler/innen von drei Wiener Schulen: dem Islamischen RG Wien 15, dem BRGORG 15 Henriettenplatz und dem GRG 10 Ettenreichgasse.

Traska: Diese Schulen sind bekannt für ihren hohen Anteil an Schüler/innen mit Migrationshintergrund bzw. Anteil an Muslim/innen. Die Medienanalyse war gewissermaßen der Aufhänger der Studie, das „Warum“ unseres Tuns. Wir wollten den Schüler/innen verdeutlichen, woher unser Anliegen rührt und sie dazu bringen sich damit auseinandersetzen, wie über sie, ihre Kultur, ihre Religion berichtet wird. Die Betonung liegt auf „über“, das ist das Hauptproblem des medialen und politischen Diskurses: Es wird meist über sie berichtet und gesprochen, nicht aber mit ihnen selbst.

Dieses Muster versuchen Sie aufzubrechen, indem Sie die Schüler/innen über sich berichten lassen?

Traska: Genau. Sie haben miteinander bzw. gegenseitige Interviews geführt zu bestimmten Themen, die wir vorher gemeinsam mit ihnen erarbeitet hatten. Diese Gespräche und Diskussionen wurden auf Video aufgezeichnet. Oft kamen dabei neue Themen zum Vorschein, an die wir gar nicht gedacht hatten – oft wurden auch nicht unbedingt jene Themen und Fragen diskutiert, die wir uns als Studienleiter zu besprechen vorgestellt hatten. Die Schüler/innen stellen oft ganz andere Fragen und verknüpfen völlig andere Zusammenhänge. Da mussten wir auch unsere eigenen Projektionen ein Stück weit über Bord werfen. Das ist einer der besonders produktiven Aspekte eines partizipativen Forschungsdesigns.

War auch das – medial oft umstrittene – Kopftuch eines dieser Themen?

Traska: Ja, darüber wurde sehr ausführlich und differenziert diskutiert. Und was dabei auffällt ist, dass Mädchen mit oder ohne Kopftuch immer wieder betonen, dass das Tragen oder Nicht-Tragen des Kopftuches ihre eigene Entscheidung ist oder war und auch sein wird, in einem Raum der Selbstbestimmung. Dabei reflektieren die Schüler/innen auch den Druck, der von einer Gruppe ausgeht – ob beabsichtigt oder nicht –, oder erzählen von Einzelfällen eines familiären Zwangs.

Fühlen sich Schülerinnen als Kopftuchträgerinnen diskriminiert?

Traska: Nicht nur fühlen, sie werden es. Das reicht von verbalen Attacken im Supermarkt bis zu physischen Angriffen. Oder sie beobachten derartiges bei ihren Freundinnen und Verwandten. Außerdem bereitet es ihnen Sorgen in Hinblick auf den Arbeitsmarkt.
 

Die Schüler/innen leiden unter der Verbindung von Islam mit Terror und politischer Gewalt.


Dschihad und politischer Islamismus sind ebenfalls Themen, die beinahe täglich von Medien aufgegriffen werden. Gab es darüber Gespräche?

Traska: Auch darüber wurde natürlich gesprochen. Die meisten Schüler/innen wehren sich dagegen, diese radikalen Formen mit ihrer Religion in Verbindung zu bringen, geschweige denn gleichzusetzen. Manche bezeichnen es auch als eine falsche Interpretation oder als Missbrauch der Religion. Die Schüler/innen leiden unter dieser Verbindung von Islam mit Terror und politischer Gewalt. Einerseits wird etwas auf sie projiziert, womit sie überhaupt nichts tun haben; andererseits erleben sie das als menschlich tragisch und als furchtbaren Missbrauch ihrer Religion. Da strengen wir uns dann um weitere Differenzierung an, damit diese Phänomene nicht einfach als „nicht zum Islam gehörend“ abgewehrt und ausgegrenzt werden. Wir möchten hier im Laufe des Projekts im Übrigen auch noch weitergehen und zum Beispiel darüber sprechen, was unter religiösem Fundamentalismus – nicht nur im Islam – zu verstehen ist und worin dessen Gefahren bestehen.

Werden bei Ihrem Projekt auch die Sichtweisen von nicht-muslimischen Schüler/innen einbezogen?

Traska: Es war ein Anliegen, das unsere Schüler/innen an uns herangetragen haben, noch mehr von ihnen einzubinden. Gerade die muslimischen Schüler/innen fanden – und wir im Übrigen auch – dass bisher zu wenig Nichtmuslim/innen beteiligt sind, sie als Gesprächspartner zu vielen Themen aber wichtige Perspektiven beitragen. Wir planen ebenso, uns aus dem sozialen Raum der Schule herauszubewegen, die Schüler/innen uns „ihre“ Plätze zeigen zu lassen oder Menschen mit besonderen Erfahrungen und Expertisen zum Gespräch mit den Schüler/innen einzuladen. Das werden die nächsten Herausforderungen für uns alle werden, aber sie werden das Projekt in jeder Hinsicht bereichern.

Wie lange läuft das Projekt noch?

Traska: Die Untersuchung läuft noch bis Ende des Jahres, dann wird das Material ausgewertet und aufbereitet. Im Herbst 2019 soll es dann eine Ausstellung im Österreichischen Museum für Volkskunde geben.

 

Georg Traska ist Kunsthistoriker und wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW. Er lehrt an den Universitäten Wien und Trier. Zuvor war er u.a. am Sigmund Freud Museum und für das Bundesdenkmalamt tätig.

Das Projekt „Junge Muslim/innen in Österreich. Eine sozialanthropologisch-kulturwissenschaftliche Forschung an Wiener Schulen“ wird vom Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW und vom Institut für Sozialanthropologie der ÖAW im Rahmen des Programms Sparkling Science des Wissenschaftsministeriums durchgeführt.

Website des Projekts

Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW

Institut für Sozialanthropologie der ÖAW