29.06.2020 | Denkmalstürme

Kampf gegen Statuen

Als Symbol einer ausbeuterischen, rassistischen oder kolonialen Vergangenheit werden derzeit vielerorts Monumente gestürzt oder entfernt. Die ÖAW-Historiker/innen Heidemarie Uhl und Werner Telesko diskutieren über die Möglichkeiten, mit problematischen Statuen umzugehen.

Demonstranten stürzen die Statue von Christoph Kolumbus vor dem Minnesota State Capitol am 10. Juni 2020. © Ben Hovland/Shutterstock.com

In Großbritannien wurde eine Bronzestatue des Sklavenhändlers Edward Colston im Hafen versenkt, in Belgien wird die Entfernung der Denkmäler von König Leopold II. gefordert, der den Kongo blutig ausbeutete. Hierzulande ist erneut die Debatte entflammt, wie es mit dem Karl-Lueger-Denkmal weiter gehen soll. Der ehemalige Wiener Bürgermeister (1844–1910) gilt als Begründer des politischen Antisemitismus.

Werner Telesko und Heidemarie Uhl, beide Historiker/innen an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), diskutieren, warum Heldendarstellungen nicht mehr zeitgemäß sind und wie umkämpft viele Denkmäler einst waren, die uns heute selbstverständlich vorkommen.

Was soll mit problematischen Denkmälern passieren?

Werner Telesko: Kürzlich wäre in Washington das umstrittene Reiterdenkmal von Andrew Jackson,  der siebter Präsident der Vereinigten Staaten gewesen ist, fast gestürzt worden. Jackson hat zur Umsiedlung indigener Bevölkerung beigetragen, aber er ist auch einer der Gründungsväter der Demokratischen Partei. Historische Persönlichkeiten sind eben zumeist nicht entweder monolithisch gut oder schlecht. Man muss unterschiedliche Schichten offenlegen. Robert Musil schrieb bekannterweise, das Auffallendste an Denkmälern sei, dass man sie nicht bemerken würde. Davon könnte man ableiten, dass Denkmalstürze nicht notwendig seien. Sinnvoller ist es, Kontextualisierungen und künstlerische Interventionen vorzunehmen, etwa durch zeitweiliges Verhüllen oder durch Kommentare. Es sollte nicht nur um die Frage gehen: Sein oder Nichtsein, sondern darum, wie man konstruktiv in die Zukunft wirken kann.

Historische Persönlichkeiten sind zumeist nicht entweder monolithisch gut oder schlecht. Man muss unterschiedliche Schichten offenlegen.

Heidemarie Uhl: Man muss Ambivalenzen aushalten können. Der ehemalige britische Premierminister Winston Churchill hat sich verdient gemacht im Kampf gegen Nazi-Deutschland. Auf der anderen Seite hat er Kolonialismus befürwortet. Die Frage ist, wo man die Grenze zieht. Beim Denkmal für Karl Lueger wurde eine Erläuterungstafel zur Kontextualisierung angebracht. Ein nicht realisiertes Kunstprojekt wollte das Denkmal aus dem Lot rücken, in einem anderen wurde es mit Bildern von Flüchtlingen konfrontiert. Denkmäler sind im Sinne Musils zwar oft unsichtbar, aber sie sind wichtige Identitätsmarken. Als Objekte im öffentlichen Raum vermitteln sie ein starkes Statement: Wir – eine Stadt, eine Nation – halten diese Person für denkmalwürdig.

Womöglich hat sich unsere Vorstellung von Denkmälern verändert: Anstatt Helden zu verehren, werden eher Mahnmäler errichtet.

Telesko: Der Großteil der Denkmäler, die heute in Diskussion stehen, ist im 19. Jahrhundert entstanden. Die können nicht mehr funktionieren, weil es dabei zumeist um emphatische Heldenbilder geht, die in  ihrer megalomanen Ausführung mittlerweile diskreditiert sind. Aktuelle Denkmäler sind meist abstrakter. Aber auch da gibt es Vorläufer, so wurde etwa in Berlin 1926 für Rosa Luxemburg ein nichtfigurales Denkmal erschaffen.

Die Kategorie des Denkmals war nach 1945 desavouiert. Man wollte einen Bruch mit dem Genre des Nationaldenkmals, das Helden verehrte.

Uhl: Die Kategorie des Denkmals war nach 1945 desavouiert. Man wollte einen Bruch mit dem Genre des Nationaldenkmals, das Helden verehrte. Die einzigen relevanten Denkmalprojekte in der zeitgenössischen künstlerischen Moderne sind Holocaust-Denkmäler, denn sie stellen die Frage nach der Darstellbarkeit des Undarstellbaren. Die Arbeiten von Rachel Whiteread etwa, in denen es um Abwesenheit und Leere geht.

Müsste man sich mehr mit Denkmälern beschäftigen, um sie zu verstehen?

Uhl: Viele sind nicht mehr lesbar, vor allem ihr Streitwert ist längst vergessen – nach 1945 gab es zunächst durchaus Konflikte um die Errichtung von Kriegerdenkmälern für Wehrmachtssoldaten. Auch die Rituale haben sich verändert – die martialischen Aufmärsche des Kameradschaftsbundes in der Nachkriegszeit sind heute Geschichte. Wir beobachten ein Verblassen der sozialen Energien vieler Denkmäler, die innewohnende Konfliktgeschichte ist nicht mehr präsent.

Die meisten Denkmäler in Wien aus dem 19. Jahrhundert waren höchst umkämpft. Gerade jene, die uns selbstverständlich erscheinen.

Telesko: Heute gehen wir leider davon aus, dass in vergangenen Zeiten Denkmäler mit emphatischer Absicht errichtet wurden, gleichsam ganz ohne Diskussion. Dem ist nicht so. Die meisten Denkmäler in Wien aus dem 19. Jahrhundert waren etwa höchst umkämpft. Gerade jene, die uns selbstverständlich erscheinen. Die Pallas Athene vor dem Parlament ist eine Kompromisslösung. Ursprünglich war die Personifikation einer „Austria“ angedacht. Im Reichsrat fand man dafür aber keine Mehrheit. Wenn Pallas Athene heute vielleicht als kriegerische Gottheit angreifbar ist, muss man sich diesen Konflikt vergegenwärtigen. Überhaupt sollte man stärker versuchen, jedes Denkmal vor dem Hintergrund historischer und aktueller Fragen und Themen neu zu erklären.

 

AUF EINEN BLICK

Heidemarie Uhl ist Lehrbeauftragte an den Universitäten Wien und Graz und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der ÖAW.

Werner Telesko ist wirkliches Mitglied der ÖAW und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsbereich Kunstgeschichte des Instituts für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes der ÖAW.