22.06.2020 | Literarische Landschaft

Black Lives Matter – auch in der Literatur

Nach dem Tod von George Floyd nach einem brutalen Polizeieinsatz in den USA gingen weltweit Menschen auf die Straße, um gegen Rassismus zu demonstrieren. Anglistin und Junge Akademie-Mitglied Julia Lajta-Novak erklärt, wie sich diese Bewegung in der Literatur niederschlägt.

© Unsplash/James Eades

Unter #PublishingPaidMe findet auf Twitter gerade ein heftiger Austausch darüber statt, was Autor/innen verdienen. Dabei wurde deutlich, dass Schwarze Schreibende deutlich weniger an Vorschüssen bekommen, als ihre Weißen Kolleg/innen*. Das ist nur eine von vielen Ungerechtigkeiten, die durch die „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) nun verstärkt thematisiert wird. Die Anglistin Julia Lajta-Novak, die Mitglied der Jungen Akademie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ist und kürzlich einen START-Preis des FWF erhalten hat, erzählt im Interview, weshalb Schwarze Literatur lange zu wenig Beachtung fand, und warum es auch in der Wissenschaft wichtig ist, das Bewusstsein für Diskriminierungen zu schärfen.

* Schwarz und Weiß wird groß geschrieben, um darauf zu verweisen, dass es keine biologische Eigenschaft oder reelle Hautfarbe bezeichnet, sondern sich um eine politische und soziale Konstruktion handelt.

Wie schlägt sich die „Black Lives Matter“-Bewegung in der Literatur nieder?

Julia Lajta-Novak: Im Moment gibt es in vielen Zeitungen BLM-Leselisten, von der „New York Times“ über den „Guardian“ bis zur „Vogue“, die zeigen, was da an großartiger Literatur vorhanden ist, die bisher viel zu wenig Beachtung gefunden hat. Erstmals haben es in Großbritannien Schwarze Autorinnen an die Spitze der Taschenbuch-Charts geschafft. BLM schlägt sich also tatsächlich in Verkaufszahlen nieder. Bücher wie Reni Eddo-Lodges „Why I'm No Longer Talking To White People About Race“ oder Bernardine Evaristos „Girl, Woman, Other“ werden breit diskutiert.

Ist das auch der Versuch einer Weißen Leserschaft, Bildungslücken über Rassismus zu schließen?

Lajta-Novak: Das ist durchaus ein Aspekt, den Literatur leisten kann. Die eingefleischten Rassist/innen werden sich dadurch nicht beeindrucken lassen. Aber die bislang eher unaufmerksame Mitte, die selbst nie aktiv geworden ist, um antirassistische Bewegungen zu unterstützten, wird sehr wohl mobilisiert. Bisher war viel zu wenig Sichtbarkeit gegeben. Ein gutes Beispiel ist der Booker Prize 2019, den Margaret Atwood gemeinsam mit Bernardine Evaristo gewonnen hat. Über wen wurde gesprochen? Über Atwood. Selbst, wenn es eine Schwarze Autorin schafft, einen prestigeträchtigen Preis zu gewinnen, geht sie medial unter.

Ist es nicht auch schwierig, wenn man Schwarze Literatur darauf reduziert, die eigene Geschichte aufzuarbeiten?

Lajta-Novak: Sharon Dodua Otoo hat dazu sehr wichtige Worte bei der Eröffnungsrede des diesjährigen Wettlesens um den Bachmannpreis gefunden. Sie fragte: Dürfen Schwarze Blumen malen? Es gibt eine Erwartungshaltung, dass eine Schwarze Autorin ihre Community repräsentiert. Otoo betont, dass Diversität wichtig ist, dass Schwarze Autorinnen und Autoren thematisch nicht auf Anti-Rassismus reduziert werden sollten. Das hat auch die US-Kinderbuchautorin Nic Stone kürzlich in der „Cosmopolitan“ angesprochen. Sie hat sich als Teenager in den Büchern, die in der Schule gelesen wurden, nie wiedergefunden. Ihr wurde vermittelt, Schwarze erleben keine Abenteuer, sie lösen keine Rätsel, sie verlieben sich nicht, sie retten nicht die Welt. Sie kommen immer nur vor, wenn es um Rassismus oder Sklaverei geht.

Ein zentrales Thema ist Inklusion: In Fernsehrunden diskutieren noch immer vorwiegend Weiße über Schwarze Kultur. Entsteht da gerade ein neues Bewusstsein?

Lajta-Novak: Dass wir beide miteinander sprechen, sagt vielleicht auch etwas über die mangelnde Diversität des österreichischen Wissenschaftsbetriebs aus. Ich glaube aber, es wäre falsch, sich als Weiße Wissenschaftlerin zurückzuziehen und nichts zu tun. Am Institut für Anglistik und Amerikanistik der Universität Wien sind wir gerade dabei, ein öffentliches Statement zu verfassen, in dem wir uns solidarisch mit BLM erklären. Es muss verstärkt darum gehen, unseren Studierenden ein kritisches Denkwerkzeug in die Hand zu geben, mit dem sie ihre eigene Rolle reflektieren und ihre Privilegien erkennen können, um gegen Diskriminierung ankämpfen zu können.

Wie sind Sie zu dem Thema Black Literature eigentlich gekommen?

Lajta-Novak: Ich habe 2004 mein Studium abgeschlossen, bin dabei aber kaum Schwarzen Autorinnen begegnet. In London habe ich mich in die Literaturszene geworfen. Es war eine Offenbarung, wie viele tolle Autor/innen ich da gehört und gesehen habe. Viele meiner Lieblingsschriftsteller/innen sind mittlerweile Schwarze. Von Zadie Smith über Kei Miller bis zu Patience Agbabi, die eine großartige Dichterin ist. Aber im Grunde muss jeder seine eigenen Entdeckungen machen.

 

AUF EINEN BLICK

Julia Lajta-Novak ist anglistische Literatur- und Kulturwissenschafterin. Sie ist aktuell als Elise Richter Fellow an der Universität Wien tätig und ist seit 2017 Mitglied der Jungen Akademie der ÖAW. Vor Kurzem wurde sie vom Wissenschaftsfonds FWF mit einem START-Preis ausgezeichnet.