26.08.2021 | Corona-Psychologie

Jungsein in der Pandemie

Spurlos geht Covid-19 an niemandem vorbei. Auch jungen Menschen wird seit eineinhalb Jahren einiges abverlangt. Wie geht es Menschen unter 30 in der Pandemie, welche Erfahrungen haben sie gemacht – und gibt es auch Dinge, die sie zu schätzen gelernt haben seither? Ein Gespräch mit einer ÖAW-Studienstiftlerin, einer Doktorandin und einem Psychologen.

Eine Gruppe junger Frauen mit Masken sitzt zusammen und macht ein Foto von sich
Vielen jungen Menschen fehlt während der Pandemie vor allem der Austausch mit Gleichaltrigen. Zoom-Calls und Telefonate können das nur zu einem Teil abfangen. © Shutterstock

Man ist nur einmal jung. Diese Phrase stimmt Anneliese Moser etwas traurig. Während der Coronakrise wurde sie im ersten Lockdown siebzehn, im zweiten Lockdown achtzehn Jahre alt. Die Pandemie, die seit eineinhalb Jahren unseren Alltag bestimmt, hat in jedem Leben ihre Spuren hinterlassen, bei ihr hat sie vor allem ihre Jugend geprägt. „Jungsein heißt für mich Erfahrungen zu sammeln, viele neue Leute zu treffen und sich zu vernetzen. Ich habe weder Bars noch Diskos vermisst, mir hat vor allem der Austausch mit Gleichaltrigen gefehlt“, sagt sie. Als die Schulen geschlossen wurden, ist für sie eine sehr wichtige Komponente aus ihrem Leben weggefallen.

Die junge Frau, die aus der Nähe von Salzburg kommt, hat unterschiedliche Strategien entwickelt: Um den fehlenden Austausch auszugleichen, hat sie sich bei Online-Seminaren angemeldet und online bei Poetry-Slams zugehört. „Als Ausgleich habe ich 2020 zum Wandern angefangen. Wenn die Welt im Tal verrückt spielt, gehe ich auf den Berg“, erzählt sie. Anneliese Moser hält mittlerweile ihr Reifeprüfungszeugnis in den Händen und ist Stipendiatin der Studienstiftung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Im Herbst wird sie ihren Bildungsweg an einer Universität fortsetzen. Unter welchen Bedingungen weiß sie noch nicht. „In der Pandemie habe ich gelernt, die Dinge einfach auf mich zukommen zu lassen.“

Große Anpassungsfähigkeit der Jungen

Covid-19 löst bei jungen Menschen seltener schwere Verläufe aus als bei älteren Erwachsenen. Zuletzt haben aber auch in der jüngeren Altersgruppe die Ansteckungszahlen zugenommen. Aus Rücksicht auf Ältere mussten Jugendliche bereits seit Ausbruch der Pandemie ihr Leben einschränken. Das Miteinander in der Schule, beim Sport, in der Freizeit fehlt vielen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, gerade in einer Lebensphase, in der Peergroups und neue Freiheiten von großer Bedeutung sind. In Schule, Studium und Ausbildung mussten sie große Anpassungsfähigkeit an den Tag legen: Prüfungen und Vorlesungen wurden überwiegend online abgehalten.

Damit aus der physischen Distanz keine soziale Isolation wird, hat auch Katharina Pollack einen großen Teil ihres Lebens ins Virtuelle verlagert. Sie studiert Sound and Music Computing an der Kunstuniversität Graz und ist als Doktorandin am Institut für Schallforschung an der ÖAW beschäftigt. Lehrveranstaltungen finden über Zoom statt, Doktorats-Gruppen ebenso. „Wir haben zum Beispiel eine Schreibgruppe gegründet. Über Zoom setzen wir uns zusammen, Video ist an, Ton ist aus. Damit hat man das Gefühl, man wäre im selben Raum und arbeitet konzentriert“, erzählt Pollack. 

Virtuelle Austauschformen haben Grenzen

Auch am Institut für Schallforschung hat man rasch nach virtuellen Alternativen gesucht. „Der soziale Austausch fehlt sonst. Speziell die jungen Leute haben sich schnell zusammengefunden und etwas auf die Beine gestellt“, erinnert sich die ÖAW-Doktorandin an den ersten Lockdown. Dass auch sämtliche Konferenzen oder andere wissenschaftliche Veranstaltungen online realisiert werden mussten, findet Pollack immer anstrengender. „Das Kennenlernen und ins Gespräch kommen, das funktioniert nicht immer virtuell.“

Die Begrenztheit des virtuellen Lebens wird aber auch im Privaten, etwa bei Geburtstagen spürbar, wenn über den Bildschirm gefeiert wird, sagt Pollack. Schließlich kann immer nur einer reden. Immerhin: Dass die Immunisierung im eigenen sozialen Umfeld schon weit fortgeschritten ist, ist ein großer Vorteil.

Psychische Belastungen haben unter Jungen weltweit zugenommen

Was passiert, wenn junge Menschen über längere Zeit nicht die Möglichkeiten haben, das zu tun, was sie normalerweise machen würden – also mit Gleichaltrigen zusammen zu sein statt sich zuhause zurückzuziehen? Das variiere von Individuum zu Individuum, sagt Claus Lamm, der am Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden der Universität Wien forscht und ÖAW-Mitglied ist. „Generell ist aber der Mensch als soziales Wesen auf sozialen Kontakt und soziale Unterstützung angewiesen“, so der Psychologe.

Hinzu kommt: Die Jugendjahre sind eine kritische Phase der Identitätsbildung. „Vereinfacht gesagt, lernen wir als Junge, uns selbst und unseren Platz in der Gesellschaft zu finden oder zumindest zu suchen. Das kann man nun sicher alles prinzipiell wieder aufholen, aber laut internationalen Studien haben psychische Belastungen bis hin zu handfesten Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen gerade auch bei den Jugendlichen zugenommen“, erklärt Lamm. Was es jetzt brauche, seien zielgerichtete Angebote sowie mehr Aufmerksamkeit dem Thema und jedem einzelnen Betroffenen gegenüber.

Sozioökonomische Auswirkungen der Pandemie wirken wie Brennglas

Die Pandemie hinterlässt quer durch die Gesellschaft, aber insbesondere an ihren Rändern Spuren, und zwar wohl auf Jahre hinaus, ist Claus Lamm überzeugt. „Betroffen sind neben den jungen Menschen und deren Bildungs- und Ausbildungsverlusten insbesondere auch Menschen mit niedrigerem soziökonomischem Status, aber auch Menschen mit psychischen Erkrankungen.“ Die Corona-Pandemie wird häufig als Brennglas gesellschaftlicher Bruchlinien beschrieben, unter dem existierende Ungleichheiten und Problemfelder noch stärker sichtbar werden.

„Die vergangenen eineinhalb Jahre waren extrem herausfordernd“, resümiert Anneliese Moser. „Aus den für uns alle sehr fordernden Umständen habe ich aber so einiges mitgenommen.“ Sie freut sich auf die ersten Aktivitäten der ÖAW-Studienstiftung, ist stolz auf ihr Durchhaltevermögen und die neue Gelassenheit. Ähnlich sieht das Katharina Pollack. Sie hat viel über sich selbst gelernt, blickt sie zurück. Etwa, wie sie sich organisieren kann, wenn Alltagsstrukturen wie der tägliche Weg zur Arbeit wegfallen. Gemeinsam mit ihrem Freund macht die Schallforscherin jetzt viel öfter Musik. Beide spielen sie Klavier, Gitarre und Bass. „Wenn sonst nicht viel los ist wegen Corona, haben wir immer noch die gemeinsame Musik.”