18.08.2021 | Aktuelles Buch

Auch Beamte können Aufklärer sein

Die Französische Revolution hat unser Bild von der Aufklärung maßgeblich geprägt. Doch der historischen Vielgestaltigkeit der Aufklärung wird es nicht gerecht. ÖAW-Historiker Franz L. Fillafer zeigt in seinem neuen Buch „Aufklärung habsburgisch“, dass sogar in der Metternich-Ära einiges an Innovation passierte.

Johann Hieronymus Löschenkohl (Verlag), "Leopold II. römischer Kaiser vor Minos Richterstuhle" © Wien Museum Inv.-Nr. 117429, CC0

Eigentlich wollte sich Franz L. Fillafer ja mit dem Josephinismus beschäftigen, dem Gipfelpunkt des aufgeklärten Herrschertums in der österreichischen Geschichte. Im Zuge der Recherche für sein jüngstes Buch „Aufklärung habsburgisch“ aber merkte der Historiker am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), wie vereinfacht unser gängiger Blick auf die Aufklärung oft ist. Fillafer untersuchte deshalb die lange Zeitspanne von 1750 bis 1850. Seine überraschende Erkenntnis: Die Aufklärung wurde auch von der Bürokratie und dem katholischen Klerus betrieben. Erst im Nachhinein konnte man diese Symbiose aus religiösen und aufklärerischen Elementen nicht mehr begreifen. „Die Aufklärungsarbeit in der Habsburger Monarchie wurde nicht von einer Hautevolee von Freidenkern getragen, wie sie in Westeuropa existierte, sondern hauptsächlich von Beamten, die ein verstaubtes Image haben“, so Fillafer im Interview.

Die Forschung geht oft von einem Vorzeigemodell der Aufklärung aus, Sie sprechen von mehreren Aufklärungen. Wie ist das zu verstehen?

Franz L. Fillafer: Mein Buch ist der Versuch, die Aufklärung von dieser Fixierung auf die radikalen Ideen aus Frankreich und auf ihre angebliche Vollendung in Revolution und Liberalismus zu lösen. Die Aufklärungsarbeit in der Habsburgermonarchie wurde nicht von einer Hautevolee von Freidenkern getragen, wie sie in Westeuropa existierte, sondern hauptsächlich von Beamten, die ein verstaubtes Image haben. Meiner Meinung nach völlig zu Unrecht. Deren Arbeit konnte mehr bewirken als radikale und freidenkerische Pamphlete.

Die Aufklärungsarbeit in der Habsburgermonarchie wurde nicht von einer Hautevolee von Freidenkern getragen, wie sie in Westeuropa existierte, sondern hauptsächlich von Beamten.

Die Aufklärung hatte also auch pragmatische Seiten? 

Fillafer: Die Herrscher wurden vom Prozess, den sie in Gang gesetzt haben, überrumpelt. Viele Gedanken haben eine Eigendynamik entwickelt. Drei solche von den Aufklärern im Habsburgerreich eingefädelte Prozesse ziehen sich durch mein Buch: Sie führten vom fürstlichen Patrimonium zum Rechtsstaat, vom Autoritätsbeweis zur Empirie und vom Vorrang des ständischen Prestiges und der katholischen Religion zur staatsbürgerlichen Verdienstethik. Ursprünglich wollte ich mich ja mit der josephinischen Epoche auseinandersetzen. Die gilt als Gipfelpunkt des aufgeklärten Herrschertums in der österreichischen Geschichte. Aber ich habe dann gemerkt, dass sie vielleicht gar nicht so schillernd ist, wie die Nachfolgezeit und die Epoche davor. Josephs Ära ist deshalb interessant, weil die Parteigänger des Kaisers, die „Josephiner“ erstmals einen Alleinvertretungsanspruch der Aufklärung erhoben, Abtrünnige als Gegenaufklärer brandmarkten und einen Keil zwischen die Aufklärung und die Religion trieben.

Auf der Metternich-Ära liegt ein Mehltau, sie wirkt wie ein Kostümfilm. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt die aufklärerischen Tendenzen bereits so stark in den Staatsbildungsprozess eingewoben, dass sie nicht mehr suspendiert werden konnten.

Aufklärung und Religion galten lange als Widerspruch. Ihre Forschung widerlegt das.

Fillafer: Diese Sicht ist aus einer kulturkämpferischen Rhetorik des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Der Liberalismus versteht sich als säkularistisches Projekt, daraus ergibt sich, dass man die Symbiose aus religiösen und aufklärerischen Elementen im 18. Jahrhundert nicht mehr begreifen kann. Dabei zeigt sich, dass von der kritischen Bibelhermeneutik bis zur Naturforschung viele Fährten gelegt wurden. Die Newton-Rezeption im katholischen Bereich, die maßgeblich von Jesuiten betrieben wurde, hat sich vom Gottesbeweis gelöst und die Struktur des Kosmos erforscht. Das sind aufklärerische Ansätze im kirchlichen Milieu, die bis ins 19. Jahrhundert fortleben, seit der Französischen Revolution aber interessanterweise aber nicht mehr der Aufklärung zugeordnet werden können.

Laut ihrer These wirkt die Aufklärung aber auch bis in den Vormärz hinein, der ja eher wenig mit Toleranz und Freiheit in Verbindung gebracht wird. 

Fillafer: Auf der Metternich-Ära liegt ein Mehltau, sie wirkt wie ein Kostümfilm. Allenfalls gibt es Freigeister in Loden à la Erzherzog Johann, die vor einer Salzkammergutkulisse Regimekritik betreiben. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt die aufklärerischen Tendenzen bereits so stark in den Staatsbildungsprozess eingewoben, dass sie nicht mehr suspendiert werden konnten. Ich versuche in meinem Buch zu zeigen, dass viele Varianten der Aufklärung eben nicht in die Revolution mündeten, sondern im Habsburgerreich gerade unter den Vorzeichen der Revolutionsabwehr weiterblühen konnten und dabei auch gegeneinander ausgespielt wurden. Man kann geradezu von einem Wettbewerb der Revolutionsprävention sprechen.

Die Newton-Rezeption im katholischen Bereich, die maßgeblich von Jesuiten betrieben wurde, hat sich vom Gottesbeweis gelöst und die Struktur des Kosmos erforscht. Das sind aufklärerische Ansätze im kirchlichen Milieu, die bis ins 19. Jahrhundert fortleben.

Haben Sie für Ihr Buch viele neue Quellen erschlossen?

Fillafer: Die Quellenlage ist von der Aufbereitungsdichte her sehr unterschiedlich. Staaten wie Frankreich, die ein ungetrübtes Verhältnis zu ihrer nationalen Geschichte haben, verfügen über eine tiefenscharfe Erschließung. Das gibt es in Zentraleuropa nicht: Der Vielvölkerstaat ist zerfallen, die Quellen sind in den Nachfolgeländern zerstreut. Zudem gibt es keine positive Identifikation mit den Trägern dieses vielsprachigen und multireligiösen Staats, abgesehen von einer eher süßlichen Bewirtschaftung von Habsburgerklischees. Es hat lange gedauert, die Quellen in den verschiedenen Sprachen der Region zu erschließen, mittels deren ich überhaupt meine Argumentation aufbauen konnte. Ich versuche eine neue Deutung der Epoche, entwerfe ein Analysemodell, das man auch auf Fälle außerhalb des habsburgischen Reichs übertragen kann.

 

AUF EINEN BLICK

Franz L. Fillafer ist Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Zuvor forschte er u.a am University College London, an der Universität Konstanz und am Europäischen Hochschulinstitut Florenz. Seit 2018 ist er an der ÖAW.

Sein aktuelles Buch „Aufklärung habsburgisch. Staatsbildung, Wissenskultur und Geschichtspolitik in Zentraleuropa 1750-1850“ ist 2020 beim Wallstein Verlag erschienen.

Am 27. 9. findet an der Akademie eine Buchvorstellung mit Franz L. Fillafer statt.