Text: Silvia Dallinger

Der Kapuzinermönch Marco d’Aviano (1631–1699), dem ein Monumentalstandbild vor der Kapuzinerkirche am Neuen Markt in Wien gewidmet ist, wird in Kunst und Literatur gerne mit hocherhobenem Kreuz dargestellt. Das vermeintliche Originalkreuz, mit dem er die Soldaten im Kampf gegen die Türken 1683 angefeuert haben soll, befindet sich heute im Dom von Cattaro (jetzt Kotor, Montenegro). Zu feierlichen Anlässen (1883, 1935 und 2003, Seligsprechung d’Avianos) wurde das Kreuz dreimal nach Wien überstellt.

Wie wird d‘Aviano in den Quellen beschrieben?

Wie wird d‘Aviano in den Quellen beschrieben?

Schilderungen über die aktive Beteiligung Marco d’Avianos an der Entsatzschlacht von 1683 findet man bereits in Berichten, die kurze Zeit danach erstellt worden sind. So zitiert etwa Albert Camesina in seinem Geschichtswerk „Wien’s Bedrängniß im Jahre 1683“ aus dem Jahr 1865 eine zeitgenössische Quelle:

Marcus d’Aviano, welcher auch die gantze Schlacht hindurch, wo die Gefahr am grössten gewesen, mit einem Crucifix in der Hand, von einem Ort zum andern gangen, hielt in der Leopolds-Capell eine Messe [...]. (zit. nach: Pisa/ Wasner-Peter 2000: 43)

Auch im Bericht des venezianischen Botschafters Domenico Contarini vom 26. September 1683 an den Senat heißt es:

Unterdessen stand während der ganzen Schlacht Markus von Aviano auf einem Hügel über dem Schlachtgetümmel in innigem Gebet sein Kreuz dorthin erhebend, wo die Gefahr am größten schien. (zit. nach: ebd.)

Diese Schilderungen wurden beispielsweise auch 200 Jahre später, in der 1889 von Norbert Stock publizierten Biografie „P. Markus von Aviano. Priester und Missionär aus dem Kapuzinerorden. Ein Schutzgeist an Österreichs Kaiserthrone“ wieder aufgegriffen:

Es fühlte jeder Krieger, der mit dem Stahlhelm sowohl wie der mit dem Turban, dass es der Entscheidungskampf sei zwischen Kreuz und Halbmond. Gleich nach der Messe war P. Marcus hinabgestiegen auf den linken Flügel, wo der Kampf zuerst entbrannt war. Wo er am heftigsten wogte, sah man die allen Soldaten wohlbekannte Gestalt des ehrwürdigen Paters auftauchen, mit dem Crucifix in der Rechten eine Anhöhe erklimmen und dort im Angesicht aller den Sieg erflehen. Bald war die Sonne verdunkelt durch Pulverdampf, es erdröhnten wie nahes Erdbeben die Feuerschlünde der Geschütze und spieen Tod in die Reihen der Christen. Und mitten durch diese Reihen eilte, ein Engel des Trostes, der Hilfe und der Ermunterung, P. Marcus und rief gegen die Türken Worte, wie die Kirche sie sonst gegen die Geister des Abgrundes schleudert: Ecce crucem Domini! Fugite partes adversae! [Sehet das Kreuz des Herrn! Fliehet ihr feindlichen Mächte!] (Stock 1889: 194f.)

Das Holzkreuz wird dreimal nach Wien gebracht

Das vermeintliche Original-Holzkreuz Marco d’Avianos, das sich heute im Dom von Kotor (Cattaro in Montenegro) befindet und wie eine Reliquie behandelt wird, wurde dreimal nach Wien gebracht und hier verehrt.

Es enthält unter einem Holzschuber auf der Rückseite mit goldumsponnenen Fäden befestigte Reliquien und auf der Metalleinfassung eine Art ‚Echtheitszertifikat’.

Das Originalkreuz barg ursprünglich 17 Reliquien verschiedener Heiliger im Inneren. Während der Entsatzschlacht soll jedoch eine Reliquie verloren gegangen sein, so dass heute nur noch 16 davon erhalten sind.

Das erste Mal wurde das Kreuz anlässlich der 200-Jahrfeier in Wien ausgestellt: In der Historischen Ausstellung im neueröffneten Rathaus 1883 war es vom 12. bis zum 16. September als wertvollstes Exponat zu sehen. Dem polnischen Historiker Wiesław Bieńkowski (1983: 419) zufolge wurde das Kreuz angeblich von der Kathedrale in Spalato (Split/Kroatien) für die Ausstellung nach Wien gebracht. In der Wiener Zeitung vom 13. September 1883 wurde berichtet, dass das „berühmte Kreuz des P. Marcus Avianus“ am 11. September 1883 vom „ehrwürdigen Bischof Casimir Forloni von Cattaro“ nach Wien überführt worden sei. Das Kreuz wurde im „dritten Schaukasten des ersten großen Saales ausgestellt“ und musste am 16. September wieder von Bischof  persönlich nach Cattaro zurückgebracht werden (vgl. Wiener Zeitung 13.09.1883: 5).

Auch 1935 wurde das hölzerne Kreuz des Kapuzinerpaters anlässlich der ‚Marco-d’Aviano-Feiern‘ von seinem Aufbewahrungsort in der Kathedrale von Cattaro in die Wiener Kapuzinerkirche gebracht, wo es zwischen dem 3. und 15. Juni zur öffentlichen Verehrung ausgestellt war. Darüber hinaus wurde eine Kopie des Kreuzes angefertigt: Im April 1935 besuchten Mitglieder des Aviano-Denkmal-Komitees, angeführt vom Kapuzinergeneral P. Virgilio de Valstagna, Papst Pius XI. in Rom, der die Kreuzkopie in einer Audienz weihte. Dazu ein bissiger Zeitungskommentar:

Das war der Schlussakkord der Spenden-Bettelei für die besagte Statue, für die der Vatikan zwar kein Geld, aber doch seinen Segen und einen goldenen Nagel übrig hatte. (vgl. Österreichische Woche 02.05.1935: 2)

Die Kreuzkopie ist 33 cm hoch, 16 cm breit und 1,5 cm dick. Im silbernen Rahmen ist eine Legende eingraviert, die sich auf d’Avianos Taten 1683 bezieht. Die Vorderseite ist mit einer Darstellung der Schmerzhaften Muttergottes und die Rückseite mit einem Kruzifix geschmückt, die von den Wiener Malern Fischer und Holzinger angefertigt wurden. Statt der Reliquien, die sich im Originalkreuz befinden, wurde ein in Silber gefasstes Holzkreuz aus dem Sarg d’Avianos, in dem er bis zum Jahr 1918 begraben lag, im Inneren der Kreuzkopie eingelegt. Bei der Weihe des Kreuzes durch den Papst schlug dieser einen goldenen Nagel mit dem päpstlichen Wappen und der Tiara links vom Kreuzungspunkt des inneren Kreuzes ein. Bundespräsident Miklas schlug daraufhin auf der rechten Seite einen Nagel mit dem österreichischen Wappen ein: „Oberhalb der zwei Nägel zieht sich durch die Kreuzesaufschrift ‚INRI‘ eine weiße Stola, um, wie Bundespräsident Miklas sich ausdrückte, die Hingebung Österreichs an die Kirche zu symbolisieren“ (Ludwig 1935: 121f). Die Kreuzkopie wurde in der Schatzkammer der Kapuziner aufbewahrt.

Zuletzt brachte der Bischof von Cattaro Msgr. Ilija Janjic das originale Kreuz anlässlich der Wiener Feier von d’Avianos Seligsprechung, die am 8. Mai 2003 in der Kapuzinerkirche stattfand, nach Österreich, wo es als Altarkreuz verwendet wurde. Es blieb bis zum 1. Juni in Wien und wurde auch „während der Stadtmission in Wien bei der Nachmittagsmesse in unserer Kirche verwendet und ebenso bei der Abschlussmesse der Stadtmission im Wiener Stephansdom“ (Undesser 2003). Die Wiener Stadtmission vom 23. Mai bis zum 1. Juni 2003 stand unter dem Motto „Öffnet die Türen für Christus!“ und war von einem Internationalen Kongress für eine Neue Evangelisation begleitet.

Zu Ehren d’Avianos wurde darüber hinaus eine weitere Kopie des Kreuzes angefertigt. Im Rahmen der d’Aviano-Messe am 8. Mai überreichte Br. Johannes Undesser, Provinzial der Wiener Kapuziner, Kardinal Schönborn das kopierte Kreuz für die Erzdiözese Wien. Es birgt im Inneren eine Reliquie ‚ex ossibus‘ (‚aus den Knochen‘) und, wie schon die Kopie von 1935, ein weiteres Kreuz, das aus dem Holz jenes d’Aviano-Sarges, der bis zu dessen Umbettung 1918 seine sterblichen Überreste enthalten hat, gefertigt ist. Auch Papst Johannes Paul II. erhielt bei der Sonderaudienz anlässlich der Seligsprechung d’Avianos am 28. April 2003 in Rom eine Kopie dieses Kreuzes.

Literatur

Literatur

Bieńkowski, Wiesław (1983): Wien und Krakau 1883. Die Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum. In: Studia Austro-Polonica 3. Warschau/Krakau, 401–439.

Hamminger, Josef Dominicus/ Wiener Katholische Akademie (Hg.) (1986): Leopoldi Capelln am Kallenberg oder St. Josephskirche der PP Kamaldulenser auf dem Josephsberg (Sobieskikapelle in der St. Josephskirche)? Wo hat Pater Marco d’Aviano vor der Entscheidungsschlacht am 12. September 1683 die heilige Messe gefeiert? Wien.

Hemberger, Joseph (1896): Das Entsatz-Denkmal auf dem Kahlenberge Wien XIX. Wien.

Héyret, Marie (1931): P. Markus von Aviano. Apostolischer Missionär und päpstlicher Legat beim christlichen Heere. Zur Erinnerung an die 3. Jahrhundert-Feier seiner Geburt. München.

Krautsack, Fidelis/ Mayerl, Erhard (1999): Markus von Aviano. Künder eines geeinten christlichen Europa. Wien.

Lazaristen: Sel. Markus von Aviano (1631–1699). Das Kreuz und der Halbmond, https://www.lazaristen.at/Downloaddokus/vn/VN%2099.pdf, 02.09.2009 (Link nicht mehr online verfügbar).

Ludwig, Vinzenz Oskar (1935): Markus von Aviano. Der Retter Europas. Kleine Historische Monographien, Nr. 49. Wien.

Luksan, Martin/ Schlösser, Hermann/ Szanya, Anton (2007): Heilige Scheine. Marco d’Aviano, Engelbert Dollfuß und der österreichische Katholizismus. Wien.

Pisa, Johanna/ Wasner-Peter, Isabella (2000): Marco d’Aviano. Prediger und Diplomat. Katalog der 238. Wechselausstellung der Wiener Stadt- und Landesbibliothek (Juni – Dezember 2000). Wien.

Stock, Norbert (1899): P. Marcus von Aviano. Priester und Missionär aus dem Kapuzinerorden. Ein Schutzgeist an Österreichs Kaiserthrone. Zur 200-jährigen Säcularfeier seines Todes († 1699). Brixen.

Undesser, Br. Johannes (2003): Gedenkfeiern für P. Marco d’Aviano in Wien. In: Wiener Provinzbote der Kapuziner. Juli 2003/2, 174-178.

Wiener Zeitung (13.09.1883): Eröffnung der Historischen Ausstellung der Stadt Wien, 5, 07.07.2009.