09.08.2021 | Studienstiftungsgespräche

Wie haben Sie das gemacht, Frau Milborn?

Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Corinna Milborn diskutierte mit jungen Studienstifter/innen der ÖAW über sexuelle Gewalt und genderneutrale Erziehung, warum sie daran glaubt, dass man mit Information die Welt verändern kann. Und wie sie gelernt hat, ihr Handy auch mal wegzulegen.

Corinna Milborn, Infochefin des TV-Senders Puls 4, erzählte jungen Studienstiftler/innen der ÖAW von ihrem beruflichen Lebensweg. © ÖAW/belle&sass

Man darf keine Scheu haben vor simplen Fragen. Auch das ist eine Lektion, die angehende Studierende mitnehmen können aus den „Studienstiftungsgesprächen“, bei denen die Studienstiftung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) ihren Stipendiat/innen die Möglichkeit bietet, sich in kleinen offenen Gesprächsrunden mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens auszutauschen. „Gute Frage, warum bin ich eigentlich Journalistin geworden?“, sagt Corinna Milborn in der Diskussion mit acht Maturant/innen: „Ich habe schon als Kind Ungerechtigkeit schwer ausgehalten. Ich möchte etwas bewegen und ich glaube, dass Informationen etwas verändern können.“

Mit Zivilcourage gegen Sexismus

Corinna Milborn, 1972 in Innsbruck geboren, ist seit 2013 Infochefin des Fernsehsenders Puls 4. Ihre zentralen Themen sind Geschlechtergerechtigkeit, Rassismus und Asyl, Umwelt- und Wirtschaftspolitik, erzählt die renommierte Journalistin, die zum Zeitpunkt des Studienstiftungsgesprächs gerade mit einem Interview in ihrem Format „Milborn Spezial“ für Aufsehen gesorgt hat. Zu Gast im Studio waren Raphaela Scharf und Katia Wagner, die den Vorwurf der sexuellen Belästigung gegen den Medienmogul Wolfgang Fellner („Österreich“) erhoben hatten. Eine Schülerin wollte wissen, wie man das Thema der sexuellen Gewalt gegen Frauen endlich aus der Nische herausbekommen kann, um es als grundlegendes gesellschaftliches Problem zu betrachten. „Ich arbeite viel an dieser Frage, es gibt kaum eine Frau, die noch nie mit herabwürdigenden oder sexistischen Situationen konfrontiert gewesen ist“, sagt Milborn: „Von den Opfern wird erwartet, dass sie schweigen, wir schauen viel zu sehr auf die Täter. Ich möchte Menschen, die sich wehren, eine Bühne bieten. Sie ermutigen, offen über ihre Erfahrungen zu sprechen.“ Österreich sei diesbezüglich im internationalen Vergleich „echt hinterher“, so Milborn: „Wir leben nach wie vor in einem System, das Frauen klein hält. Es erfordert auch bei den Männern Zivilcourage in Gruppengesprächen gegen Sexismus Stellung zu beziehen. Geschlechterbilder werden schon in der Erziehung verhärtet: Mädchen tragen bauchfreie T-Shirts und Schuhe, in denen sie kaum gehen können. Buben bekommen T-Shirts mit Superhelden und Monstern.“

Wie ist es ihr als Frau gelungen, Karriere zu machen? „Ich musste als junge Frau schon klarstellen, dass ich nicht die Getränke bringe, sondern eine Expertise habe“, so Milborn: „Man muss mehr und härter arbeiten, um sich einen Namen zu machen. Und man darf sich nicht einschüchtern lassen, eine gewisse Wurschtigkeit schadet nicht. Mir hat immer sehr geholfen, mich auf keine Intrigen einzulassen.“

Nicht für die Ewigkeit denken

Und wie schaltet man im Stressjob Journalismus ab? „Meine Familie sorgt dafür, dass ich das Handy hin und wieder weglege.“ Im Hintergrund lacht ihre Tochter. Und auch ihr Hund meldet sich während des Gesprächs mehrmals lautstark zu Wort. „Man muss das Hirn frei bekommen, damit es kreativ bleiben kann. Ich gehe gern auf Berge, male Aquarelle oder übe Klavierstücke. Ich musste auch erst lernen: Wenn ich eine Stunde nicht aufs Handy schaue, geht die Welt nicht unter.“

Besonders spannend ist neben dem Thema, wie man die Freiheit der heimischen Medienlandschaft sicherstellen kann, für die Maturant/innen aber auch die Frage, warum Corinna Milborn nach ihrem Studium ausgerechnet in Guatemala ein Jahr als Menschenrechtsbeobachterin verbracht hat. „Lateinamerika war ein Schwerpunkt meines Studiums“, erzählt sie: „Ich war in einer sehr abgelegenen Gegend in den Bergen, damals war Bürgerkrieg, man hörte Schüsse in der Nacht. Um einen Brief aufzugeben, hätte ich drei Tage lang zu Fuß gehen müssen. Es gab keine Elektrizität, kein fließendes Wasser. Es war interessant zu sehen, dass man ganz anders leben kann. Entscheidungen wurden im Konsens gefällt, oft wurde dafür mehrere Tage lang durchdiskutiert.“

Sie rät den angehenden Studierenden, ihren eigenen Interessen nachzugehen. „Es braucht eine Generation, die nicht dasselbe tut wie die vor ihnen. Ihr dürft nicht immer nur erfüllen, was andere von euch erwarten, das führt bloß zu Mittelmäßigkeit.“ Milborn gibt auch Tipps, wo man als junge Journalistin oder junger Journalist publizieren kann (etwa beim Magazin „Datum“), und worauf es ankommt bei der Berufswahl: „Ich habe viele Schleifen in meinem Leben gemacht, aber dadurch auch viel gelernt. Ich bin erst mit 30 zum Journalismus gekommen, dadurch hatte ich schon mehr Expertise und Selbstbewusstsein. Macht einfach, was ihr gerade spannend findet, und denkt nicht daran, ob ihr es ein Leben lang machen möchtet. Ihr werdet öfter mal den Job wechseln. Man muss in eurem Alter nicht für die Ewigkeit denken.“

 

AUF EINEN BLICK

Die Österreichische Studienstiftung ist eine Initiative der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Sie fördert und begleitet junge Menschen, die Verantwortung in unterschiedlichsten Bereichen übernehmen wollen, ungeachtet ihrer sozialen Herkunft. Die Geförderten werden durch die Studienstiftung auf ihrem persönlichen und intellektuellen Werdegang begleitet und unterstützt.

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Die Studienstiftungsgespräche sind ein Angebot für alle jungen Mitglieder der Studienstiftung, sich mit Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in kleiner Runde treffen und austauschen zu können.

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